Wie viel Zweifel verträgt der Glauben?
Sie debattieren regelmäßig mit ihrem Gott, bekritteln die Kirche - für Gläubige anderer Religionen undenkbar.
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
07.10.2010

Diese Bibel muss man einfach lieben - nicht zuletzt wegen der Gelassenheit, mit der ihre Hauptakteure die penetranten Störungen ihrer öffentlichen Auftritte ertragen. Nehmen wir Jesus von Nazareth. Er ist nicht nur fortgesetzt den verqueren Fragen der Pharisäer ausgesetzt, sondern stößt sogar auf die massiven Zweifel der eigenen Anhänger.

Diese Bibel muss man einfach lieben

Und die Bibel transportiert diese Zweifel haarklein. Da hatte Jesus sich selbst in der Synagoge von Kapernaum wortreich als "Brot des Lebens" angepriesen, dessen Genuss Unsterblichkeit schenke. Das ging den anwesenden Zuhörern und auch den meisten seiner Anhänger entschieden zu weit. Die Bibel vermerkt ungerührt: "Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm" (Johannes 6,66).

Portrait Eduard KoppLena Uphoff

Eduard Kopp

Eduard Kopp ist Diplom-Theologe und chrismon-Autor. Er studierte Politik und Theologie, durchlief die Journalistenausbildung des ifp, München, und kam über die freie Mitarbeit beim Südwestrundfunk zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" nach Hamburg. Viele Jahre war er leitender theologischer Redakteur bei dieser Wochenzeitung und seinem Nachfolgemedium, dem evangelischen Magazin chrismon. Seine besonderen Interessengebiete sind: Fragen der Religionsfreiheit, Alltagsethik, Islam, Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Krieg und Frieden.

Sätze wie dieser lassen einen besonderen Grundzug der Bibel erkennen: Sie rechnet allenthalben mit den Zweifeln der Menschen, selbst bei zentralen Glaubensinhalten. Wenn man so will: Die Religionsfreiheit ist in der Bibel, anders als zum Beispiel im Koran, bereits zugrunde gelegt. Gerade darin zeigen sich Stärke und Menschennähe der Bibel: Sie kleistert Fragen und Vorbehalte nicht mit unhinterfragbaren Weisheiten zu. Ohne die Freiheit des Menschen, sich auf das Angebot Gottes einzulassen, wäre der Glaube eine reine Gehorsamsfrage.

Wo sich Menschen auf ein ganzes Lebenskonzept einlassen, müssen sie auch Fragen stellen dürfen. Immerhin geht es ja nicht nur um den Wahrheitsgehalt einzelner Aussagen, mit denen man sich geistig auseinandersetzt, sondern um den Sinn des eigenen Lebens. Dazu gehören so weitreichende Haltungen wie die Bereitschaft, sich selbst ganz und gar als Geschenk anzusehen (und eben nicht als Produkt der eigenen Fähigkeiten und Leistungen); das Vertrauen, dass gute Mächte die Hand über einen halten (und hektische Sorgen um das eigene Wohlergehen damit überflüssig werden); die Zuversicht, dass die Liebe Gottes auch grobe Fehlleistungen der Menschen noch zu heilen vermag (und diese nicht das endgültige eigene Scheitern bedeuten).

Zweifel an theologischen Glaubenssätzen können und müssen sein

Versteht man den Glauben in diesem umfassenden Sinn als Lebenseinstellung und eben nicht als Summe von Katechismusweisheiten, dann verändert sich auch die Zielrichtung der Frage: "Wie viel Zweifel verträgt der Glauben?" Zweifel an einzelnen theologischen Glaubenssätzen können und müssen sein; sie haben geringeres Gewicht als Vorbehalte gegenüber der Hoffnung, dass man in Gottes Hand geborgen sei. Das eine sind intellektuelle Anfragen, das andere grundsätzliche Zweifel daran, was dem eigenen Leben Sinn und Richtung geben kann. Oft genug kommen hinter einzelnen Sachfragen auch grundsätzliche Lebensfragen zum Vorschein. Da gilt es, klar zu unterscheiden.

Paul Tillich, einer der bedeutendsten evangelischen Theologen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sprach vom "protestantischen Prinzip", wenn er auf die notwendige Kritik an kirchlichen Institutionen und Traditionen, an festgefahrenen Denk- und Verhaltensmustern zu sprechen kam. Gerade, weil er die lutherische Rechtfertigungslehre und damit den Vorrang göttlicher Gnade vor aller Leistung betonte, kritisierte er jede Überbetonung von Strukturen und Denkweisen, sei es in Bezug auf Staats- oder Gesellschaftsformen, sei es selbst der Kirchen, Konfessionen oder Dogmen. "Das protestantische Prinzip", so erklärte einmal Heinz Zahrnt, der evangelische Theologe und Journalist, "greift alle geheiligten Autoritäten, Mächte, Überlieferungen, Lehren und Institutionen an und unterwirft sie der Kritik. Es kämpft gegen jede Vergegenständlichung Gottes, es duldet keine heiligen Orte, Personen, Handlungen und Stunden: Niemand kann das Göttliche an Raum und Zeit binden."

Dieser Zweifel als innerstes evangelisches Prinzip ist zwar etwas anderes als die Religionsskepsis moderner Menschen, aber beides hat auch wieder miteinander zu tun. Denn gerade dadurch, dass der Protestantismus jeden menschlichen Anspruch auf unbedingte Autorität infrage stellt, trifft sich sein Anliegen mit der Skepsis derer, die der Kirche kritisch gegenüberstehen.

Wer allerdings in einer Haltung der Kritik verharrt, dem bleibt etwas Wesentliches verborgen: dass hinter den allzumenschlichen, manchmal selbstverliebten Seiten einer Kirche die eigentliche Kirche zu finden ist: die die Zweifler liebt.

 

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