Der Politiker und der Kabarettist über Wahrheiten, die man den Leuten ruhig zumuten darf
Hedwig Gafga, Autorin
07.10.2010

chrismon: Sie sind politische Überzeugungstäter. Kommen Sie sich da manchmal altmodisch vor?

Gerhart Baum: Ich kämpfe jeden Tag gegen das verbreitete Desinteresse an Politik. Vor einigen Wochen stand ich hier in Köln auf der Domplatte, es war dunkel und regnete, es ging um Datenspeicherung auf Vorrat. Ich hatte ein Megafon in der Hand. Da kamen 150 Leute zusammen.

chrismon: Wie in alten Zeiten?

Baum: Ja, ein bisschen. Es geht schließlich um unsere Freiheit. Die jungen Menschen konzentrieren sich heute vor allem auf ihren eigenen Beruf. Ich habe früher nie überlegt, ob ich einen Beruf finden werde, ich hatte keine Zukunftsangst.

Georg Schramm: Vielleicht war es ein Zeichen gesellschaftlicher Entspannung, dass unsere Kinder eine Zeit lang nichts von Politik hören wollten. Aber das ändert sich gerade wieder. Es gärt und brodelt generationenübergreifend.

chrismon: Sie beide können sehr zornig werden.

Baum: Ich bin ohnehin ein ungeduldiger Mensch. Aber jetzt kommt ein Alterszorn hinzu. Es gibt Veranstaltungen, wo ich dazwischenrufe, weil ich es nicht mehr ertragen kann. Mich erbittert die schönfärberische Heuchelei.

Schramm: Das haben Sie sich früher als Innenminister nicht leisten können.

Baum: So ist es. Als Politiker war ich berufsbedingt deformiert. Wenn ich alte nichtssagende Statements von mir selber heute lese, dann schüttelt es mich.

chrismon: Muss ein Innenminister so reden?

Baum: Als Politiker ist man Teil einer Gruppe und auf wechselseitige Solidarität angewiesen. Dennoch bin ich oft meinen eigenen Weg gegangen. Ich kritisiere heute die Überreaktion des Staates in dem mentalen Ausnahmezustand der RAF-Zeit. Da kamen Gesetze zustande, die ich nicht hätte mittragen dürfen. Als Politiker muss man Kompromisse eingehen. Schlimm ist, wenn man hinterher so tut, als hätte man das von Anfang an so gewollt.

Schramm: Genau das Verhalten hat mich bei der Gesundheitsreform vor einem Jahr so in Harnisch gebracht. Warum hat die SPD, hat Ulla Schmidt nicht den Mut zu sagen: Wir sind gescheitert. Ich habe es nicht geschafft, gegen die Interessenverbände im Gesundheitswesen anzukommen. Das wäre für das Ansehen der Politik in diesem Land besser gewesen.

Baum: Die Leute würden befreit aufatmen, wenn sich dieser Politikstil ändern würde. Man darf den Leuten etwas zumuten.

chrismon: Herr Schramm, eins Ihrer Kabarettprogramme dreht sich um Gesundheitspolitik. Appellieren Sie an die Politiker, nicht den Interessenverbänden und Lobbyisten nachzugeben?

Schramm: Die sind nicht meine Adresse. Ich appelliere an die Wähler, ihren Unmut zu zeigen, weil sich ohne Druck nichts bewegt. Ich bin mal gefragt worden, was ich Herrn Ackermann, dem Chef der Deutschen Bank, sagen würde. Meine Antwort: gar nichts! Aber ich hätte doch geschrieben, der soll aufgehängt werden. Nein, ich habe geschrieben, er soll erschossen werden. Das meine ich aber nicht, sondern das meint einer am Stammtisch. Sie verwechseln mich mit einer Bühnenfigur. Ich möchte den Leuten etwas über Ackermann sagen. Mit dem Mann hätte ich nichts zu reden. Es gibt nicht viele Leute von denen, die man täglich im Fernsehen sieht, mit denen ich freiwillig reden würde.

chrismon: Aber mit Gerhart Baum wollen Sie reden.

Schramm: Der ist auffällig geworden. Er hat eine Haltung, die ist spürbar, selbst durch Fernsehkameras hindurch.

chrismon: Herr Baum, Sie haben gegen mehrere Regierungsgesetze geklagt und oft recht bekommen. Gerade eben erst gegen die geplante Onlineüberwachung. Was treibt Sie an?

Baum: Wir können als Deutsche stolz sein auf unser Grundgesetz - eine Reaktion auf die grauenhafte Nazidiktatur. Heute erleben wir eine Erosion der Grundrechte. Da ist das einzelne Gesetz vielleicht gar nicht so schlimm, aber die Summe der Maßnahmen führt in einen Staat, in dem die Bürger immer stärker überwacht werden. Wir müssen den Leuten klarmachen, dass man die Freiheit nur verteidigen kann, wenn man sie lebt. Wir müssen Bereiche haben, in denen der Staat nicht existiert. Wo wir wissen, dass wir nicht beobachtet, registriert, gefilmt, abgehört werden.

Schramm: Warum findet der Streit darüber nicht im Parlament statt, sondern indem Leute wie Sie sich ans Verfassungsgericht wenden? Das beunruhigt mich. Zum Glück haben wir heute eine Generation von verfassungstreuen Richtern. Leute wie der konservative Verfassungsrichter Udo di Fabio stellen sich offen gegen den Innenminister.

Baum: Ja, er hat die Politiker davor gewarnt, ständig neue Überlegungen zu Ausnahmesituationen anzustellen.

chrismon: Viele Leute ängstigt die Bedrohung durch Terrorismus aber viel stärker als staatliche Eingriffe wie das Abhören von Wohnungen oder Onlineüberwachung.

Baum: Die werden sich noch wundern. Alle Spuren, die wir hinterlassen, werden gesammelt - im Bereich der Gesundheit, der Steuer, beim Einkauf, im Internet. Es werden diskriminierende Profile erstellt. Wenn Sie in bestimmten Stadtvierteln wohnen, sind Versicherungsverträge für Sie teurer als für andere. Das, was mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verhindert werden sollte, geschieht in großem Umfang.

chrismon: Was würde Ihre bekannteste Figur, der Rentner Dombrowski, zu den Verfassungsklagen von Herrn Baum sagen?

Schramm: Leben Sie gesund, Herr Baum! Wir sind auf Sie angewiesen. Da müssen Sie noch ein Weilchen halten. Und werden Sie nicht straffällig! Wenn Ihnen mal die Hand ausrutscht, halb so schlimm ..., aber bitte nichts Ernsthafteres. Sonst haben Sie Ihr Renommee verspielt. Baum: (lacht)

chrismon: Herr Schramm, Sie entwickeln größere Leidenschaft bei Themen der kleinen Leute, wo es um Gerechtigkeit geht.

Schramm: Meine unbändige Wut darauf, wie unser Bildungssystem zugrunde geht, hängt damit zusammen, dass ich heute darin keine Chance mehr hätte. Ich bin das Kind von einfachen Leuten, heute bildungsferne Schichten genannt. Es hieß: Was soll denn der Sohn von dem Hilfsarbeiter auf dem Gymnasium? Aber Landesvater Georg August Zinn von der SPD legte damals großen Wert darauf, dass solche Kinder gefördert werden. Wenn wir heute die PISA-Studie angucken, ist die damals zäh errungene Chancengleichheit passé. Arbeiter- und Migrantenkinder bekommen häufig trotz gleich guter Leistungen keine Empfehlung mehr für eine höhere Schule. Das ist doch skandalös.

Baum: Ganze Bevölkerungsschichten verarmen. Da wächst ein Krisenpotenzial in unserer Gesellschaft. Ich frage mich: Wann explodiert es?

Schramm: Es hat einen sozialen Frieden im Land gegeben. Aber vielleicht war das nur ein Waffenstillstand.

Baum: Viele Jahrzehnte gab es in sozialen Grundfragen einen Konsens ...

Schramm: ...alle dran teilhaben zu lassen am Wohlstand. Vor etwa zwei Jahrzehnten ist erstmals der Begriff von der Zweidrittelgesellschaft aufgetaucht. Heute müsste man dieses Wort anders benutzen: Ein Drittel rutscht materiell ab. Und das zweite Drittel hat durch die Einführung von Hartz IV bemerkt, dass die Existenzsicherung auf ganz, ganz dünnen Beinen steht.

Baum: In Ihrem Beruf, Herr Schramm, haben Sie ganz andere Möglichkeiten als Politiker, den Menschen die Augen zu öffnen. Ihre Figuren - der Rentner Dombrowski oder der Sozialdemokrat August - sind verzweifelt, die rennen gegen die Wand.

Schramm: Das möchte ich den Leuten zeigen, die Verzweiflung von einem, der gegen die Ungerechtigkeiten anrennt, bis zu dem Punkt, wo der einen erschießen könnte, irgendeinen, der ist nicht mehr wählerisch. Die emotionale Teilhabe daran, das mobilisiert die Zuschauer. Nicht zu Gewalt, aber zu Engagement. Hoffe ich.

chrismon: Wäre der Sozialdemokrat August für mehr Sicherheit oder für mehr Freiheit?

Schramm: Das Problem liegt außerhalb seines Horizonts. Mein August, der die Geisteshaltung meines Vaters zeigt, hätte ein Unbehagen, aber er würde sagen: "Der Baum, isch waas ja net, der is doch von de FDP." Die Bedrohung würde er nicht empfinden.

chrismon: Sie sind ja mit August verwandt.

Schramm: Ich komme aus einer sozialdemokratischen Familie und habe in meinem Leben ein einziges Mal SPD gewählt - zu Willy Brandts Zeiten.

chrismon: Aber Sie gehen wählen, oder?

Schramm: Ja, ja, ich überzeuge sogar meine Frau, wählen zu gehen, was zunehmend schwieriger wird. Ganz gleich, was ich wähle, in meinem Herzen bin ich ein kleiner ängstlicher Sozialdemokrat, so empfinde ich das.

Baum: Warum ängstlich, in welcher Hinsicht?

Schramm: Weil Sozialdemokraten immer Angst haben, vaterlandslose Gesellen zu sein, die dem Wohle des Landes schaden.

Baum: ...dass man nicht mit Geld umgehen kann.

Schramm: ...dafür sind Sozialdemokraten sehr empfänglich. Die Gefahr, die Sie empfinden, ist dagegen für die meisten Leute nicht sinnlich erfahrbar, die geht denen am Arsch vorbei.

chrismon: Herr Baum, wie kommt es, dass Sie sich vor Einschränkungen der Freiheit mehr fürchten als vor Terrorismus?

Baum: Ich war selbst von Terror bedroht. Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin aber so geprägt, dass ich den Menschen sage: Ihr müsst mit dem Risiko eines Selbstmordanschlags auf dem Kölner Hauptbahnhof rechnen, und ich werde meine Haltung auch danach nicht ändern.

chrismon: Ist das nicht grausam?

Baum: Wir leben mit großen Risiken, mit Gesundheits- und Klimarisiken, mit Risiken im Straßenverkehr. Und nur bei der Verbrechensbekämpfung, da taucht ein Risiko auf, von dem wir wünschen, dass der Staat es uns möglichst komplett nimmt. Wir geben das Kostbarste dafür auf, was wir haben: unsere Freiheit.

chrismon: Nützt Vorbeugung gegen Terrorismus gar nichts?

Baum: Natürlich müssen wir uns auf neue Gefahren einstellen, aber doch nicht so, dass wir uns in einen Ausnahmezustand hineinreden. Die Angst wird politisch benutzt. Statt dass man die Menschen stark macht gegen Risiken, macht man ihnen Angst.

Schramm: Man könnte zum Beispiel die Polizei stark machen, indem man sie zeitgemäß ausrüstet. Dann wäre schon viel gewonnen. Darauf hat das Verfassungsgericht hingewiesen.

Baum: Ich finde es einfach würdelos, der Angst nachzugeben. Dagegen müssen wir ankämpfen. Bei dem Vorschlag, ein von Terroristen gekapertes Flugzeug abzuschießen, geht es um eine zutiefst ethische Frage. Auch das todgeweihte Leben ist bis zum Schluss geschützt. Es darf nicht gegen anderes Leben abgewogen werden. Das ist ein Urteil über das Lebensrecht, das musste dem Parlament vom Gericht gesagt werden!

Schramm: Es müsste das tiefste Anliegen eines Konservativen sein in einer Welt, die sich mit einer so ungeheuren Dynamik wandelt, solche Werte zu schützen.

Baum: Wenn ich mir vorstelle: Da saßen wir, ganze sechs Leute, die gegen das Gesetz Beschwerde eingelegt hatten. Dann kommt das Gericht rein und der Vorsitzende sagt: "Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Das Gesetz ist nichtig. Den Beschwerdeführern werden die notwendigen Auslagen erstattet." In dem Moment ist es weg. Dass unsere Verfassung diese Möglichkeit bietet, ist toll.

Schramm: Man muss sich Herrn Baum als einen glücklichen Menschen vorstellen.

chrismon: Sie sind Einzelkämpfer. Gibt es eigentlich Clubs, in denen Sie sich wohlfühlen?

Schramm: Ja, zum Beispiel wenn ich für Menschen spiele, die sich engagieren. Herr Baum hat vorhin davon erzählt, dass 150 Leute auf der Domplatte zusammenkamen. Da leuchteten ihm die Augen. Bei diesen Leuten steht kein materielles Interesse dahinter. Denen ist etwas wichtig.

Baum: Die laden Sie ein wegen Ihrer Haltung.

Schramm: Es klingt pathetisch, aber es ist ein Geben und Nehmen. Man gibt diesen Leuten, die sich vor Ort engagieren, etwas zurück. Im Prinzip ist das wie Truppenbetreuung. Ich hatte vor einigen Wochen in der Schule unseres Sohnes einen kleinen Auftritt. Da hat ein Religionslehrer das Thema Landminenverbot im Unterricht behandelt, eine Ausstellung von Medico International dazu organisiert und mit den Schülern einen Abend vorbereitet. Und ich hab dazu einen kleinen Oberstleutnant Sanftleben gegeben. Am Ausgang wurde für das Landminenprojekt mit gutem Erfolg gesammelt, hinterher haben wir einen getrunken, und man hatte das Gefühl, Teil einer menschlichen Gesellschaft zu sein.

chrismon: Ihre Figur, der Rentner Dombrowski, leidet darunter, dass er sich vor dem Jüngsten Gericht nur rechtfertigen kann mit dem, was er gesagt hat - nicht mit Taten. Was würden Sie tun, wenn Sie noch mal anfangen könnten?

Schramm: Dann würde ich Politologie und Volkswirtschaft studieren, und zwar um Alternativen zu dem zu finden, was bei uns passiert. Mir geht der Satz von Heiner Geißler nach, dass sowohl der Sozialismus als auch der Kapitalismus gescheitert sind. Und dieses Scheitern ist mit Händen zu greifen. Ich suche nach Leuten, die mir erklären, wo es real existierende Ansätze gibt, etwas grundsätzlich zu verändern.

Baum: Was ich an Ihnen gut finde und allen Leuten rate, die fragen, wie man leben soll: Man muss neugierig bleiben und immer weiter lernen. Ich lerne auf dem Feld der inneren Sicherheit. Ich habe gelernt, was man machen muss, um in einen fremden Computer zu kommen und was für Unwägbarkeiten es dabei gibt. Ich möchte gefordert bleiben, ich möchte mich auf etwas vorbereiten müssen. Ich brauche Situationen, die mich herausfordern. Schramm: Sie sind Triebtäter.

chrismon: Haben Sie auch einen Richter vor Augen, vor dem Sie sich am Ende rechtfertigen müssen?

Baum: Ich möchte vor mir selbst und vor meinen Freunden bestehen.

Schramm: Er ist sein eigenes Endgericht.

Baum: Ich stelle mir am Ende kein Gericht vor, sondern etwas ganz Mildes, Ruhiges. Kein Streit mehr, kein Kampf.

 

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