07.10.2010

Ich war ein stilles Mädchen, ich blieb meist im Hintergrund und fiel nicht auf. Wenn ich mit meinen Freundinnen abends unterwegs war und es darum ging, auch mal einen Jungen kennenzulernen, stand ich meist nur daneben. Dann bin ich auch noch dick geworden. Mit 16 fing ich eine Ausbildung zur Kauffrau im Groß- und Außenhandel an, ich saß viel im Büro, und abends war ich zu müde, um noch Sport zu machen. Ich nahm 50 Kilo zu und wog am Ende 124 Kilo. So viel Körpermasse, das ist nicht mehr weiblich. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut.

Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut.

Dann schaute ich im Nachbardorf bei einem Turnier im Armwrestling zu. Ich war beeindruckt: von der Kraft, aber auch von der Nervosität vor den Kämpfen. Ich bin einfach mal zum Training gegangen. Kraft hatte ich ja schon immer, als Kind bin ich jeden Tag geschwommen. Als dann ein Turnier war, sagte der Trainer zwar: "Da brauchst du gar nicht hingehen, da verlierst du eh" - aber ich ging trotzdem hin und gewann. Da wusste ich, Armwrestling könnte etwas für mich sein.

Aber mit meinem Körper war das nicht leicht. Wenn ich an den Tisch trat, an dem wir gegeneinander drückten, dachte ich dauernd nur, was die anderen wohl denken, und das war nicht gut. Beim Armwrestling muss ich selbstbewusst sein. Ich muss mir sagen: Ich haue alle weg! Sonst wird das nichts. Vor einem Wettkampf höre ich AC/DC oder Rammstein, ich brauche eine gewisse Aggressivität. Wenn ich dann meiner Gegnerin gegenüberstehe, geben wir uns die Hand, mit der wir nicht drücken. Aber ich schaue ihr nicht in die Augen - das schüchtert vor allem die ein, die noch nicht so oft gekämpft haben. Der Schiedsrichter sagt Ready - Go, und meist ist der Kampf nach ein bis zwei Sekunden schon vorbei. Den Start darf man nicht vermasseln. Da geht ein unglaublicher Ruck durch den Arm, den müssen die Muskeln und Sehnen erst mal aushalten. Das erste halbe Jahr hatte ich immer Schmerzen in den Armen.

"Hast wohl Muskeln, aber nichts im Hirn.

In unserem Verein bin ich die einzige Frau von 23 Mitgliedern. Es ist halt ein typischer Männersport. Im Training drücke ich also nur gegen Männer. Sie behandeln mich wie ihren Kumpel. Die Jungs sind stolz darauf, dass sie eine Frau im Verein haben. Aber andere Männer sagen oft, das sei nicht weiblich. Oder sie sagen: "Hast wohl Muskeln, aber nichts im Hirn." Aber ich hab was im Hirn, und weiblich finde ich mich auch. Diese Leute wissen einfach nicht, dass Armwrestling ein richtiger Sport ist.

Anfangs waren auch meine Eltern dagegen - weil ich die einzige Frau unter lauter Männern war und weil sie das Armwrestling schwachsinnig fanden. Aber ich habe weitergemacht. Meine Eltern haben mich fast immer selber entscheiden lassen. Sie haben auch nichts gesagt, als ich so dick wurde. Jeder muss im Leben seine eigenen Erfahrungen machen, und das Dicksein war so eine Erfahrung. Mittlerweile wissen meine Eltern, dass das ein ernstzunehmender Sport ist. Dreimal die Woche gehe ich nach der Arbeit ins Fitnessstudio zum Lauf- und Kraftraining. Samstags treffen wir uns vom Verein und trainieren am Tisch. Meine Eltern waren auch dabei, als ich Deutsche Meisterin im Armwrestling mit links wurde.

Ich will Deutsche Meisterin bleiben

Das Tolle an dem Sport ist, dass ich mir ein Ziel setzen kann. Ich kann mir sagen: Ich will Deutsche Meisterin bleiben. Und ich will dieses Jahr an der Weltmeisterschaft in Italien teilnehmen. Da spare ich jetzt drauf. Es hätte mir nicht genügt, nur ins Fitnessstudio zu gehen. Ich brauche ein Ziel, und dem ordne ich dann alles unter. Dazu gehört jede Menge Disziplin.

Das hat auch dazu geführt, dass ich mittlerweile 52 Kilo abgenommen habe. Ich fühle mich stark und gehe auch ganz anders auf Leute zu, viel offener. Ich kann jemanden ansprechen, ohne dauernd zu überlegen, was der jetzt wohl denkt, wenn er mich sieht. In dem Dorf, aus dem ich komme, kennen mich mittlerweile alle. Ich stand oft in der Zeitung, und manchmal sprechen mich Leute auf der Straße an und gratulieren mir. Ich muss sagen, diese Anerkennung gefällt mir gut. e

Protokoll: Nicol Ljubic

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