Hedwig Gafga, Autorin
Tim Wegner
07.10.2010

Johanna Maier: Eine Boxerin stellt man sich ganz anders vor. Sie sehen so zart aus. Haben Sie keine Angst um Ihr Gesicht?

Ina Menzer: Nein, die Medizin kann heute Nasen wieder gerade biegen. Auch beim Fußball wird mal ein Zahn rausgeschlagen.

chrismon: Frau Maier, können Sie verstehen, dass Frauen sich schlagen?

Maier: Ich empfinde das nicht als schlagen, sondern als Sport.

Menzer: Man sieht, da schlagen sich zwei. Aber in erster Linie entscheidet der Kopf. Bevor du in den Ring gehst, analysierst du deine Gegnerin. Manchmal hatte ich mit meinem Trainer eine Strategie aufgebaut, und auf einmal hat die Gegnerin ganz anders geboxt. In dem Moment musst du umschalten. Boxen ist nicht nur aufeinander einprügeln.

chrismon: Was fasziniert Sie am Boxen?

Menzer: Am besten fühle ich mich, wenn ich merke, dass die Gegnerin stark ist, ich ihr aber trotzdem überlegen bin. Wenn dann noch das Publikum richtig mitgeht, ist es toll. Manche Boxerinnen gehen einfach nach vorne. Dann musst du eine Taktik finden, sie auszuboxen: Rückwärtsgang - und trotzdem Schläge austeilen, aber so, dass du keine kassierst. Das ist eine Kunst für sich.

Maier: Ich denke, dass Boxer auch geistige und strategische Arbeit leisten, ehe sie in den Ring steigen. Manche Menschen unterschätzen das. Bei uns Köchen ist das ein bisschen anders: Wenn ich ein Menü zusammenstelle, fängt das zwar im Kopf an. Aber dann beschäftigt mich die Frage: Wie krieg ich eine Komposition hin, die meinen Gast glücklich macht? Da spielen alle Sinne mit.

chrismon: Frau Maier, Sie haben mal gesagt: Ich steh doch nur in der Küche, kriege Krampfadern, hacke, koche, schwitze.

Maier: Mein Beruf ist anstrengend. Kochen erfordert neben der schönen, kreativen Seite auch echte Knochenarbeit. Um ein duftendes, wunderschönes Bild auf den Teller zu zaubern, braucht man zunächst viele große Töpfe mit vorbereiteten Zutaten und Fonds. Natürlich schwitze ich - und meine Köche auch.

Menzer: Ich koche nicht gern. Es ist für mich eine Herausforderung, morgens zu überlegen, was es geben soll. Desto mehr genieße ich es, wenn ich bei meinen Schwiegereltern bin, die beide sehr gut kochen.

chrismon: Was steht im Frühling auf der Speisekarte?

Maier: Unsere Natur beginnt zu blühen, es ist die Zeit der leichten, vitaminreichen Nahrungsmittel. Jetzt kommen zarte Gemüse, Spargel, Brunnenkresse, Bärlauch, die uns entschlacken und erfrischen.

Menzer: Mit der Jahreszeit kochen, darauf achte ich nicht. Aber das Thema interessiert mich schon, ich muss ja auf meine Ernährung achten. In der Fliegengewichtsklasse darf ich höchstens 57,2 kg wiegen. Momentan, wo ich mich auf den nächsten Kampf vorbereite, gucke ich schon morgens nach dem Aufstehen, wie viel Kalorien ich am Tag vorher verbrannt habe.

Maier: Das mache ich schon lang nicht mehr, ich brauche auch keine Körperwaage. Denn das ist ja meine Philosophie: so leicht und bekömmlich zu kochen, dass man sich nach acht Gängen noch lieben kann. Wenn das noch Spaß macht, war das Essen wirklich gut!

chrismon: Viele Frauen, besonders in Ihrer Generation, Frau Maier, wollten nicht mehr am Herd stehen. Warum war es bei Ihnen anders?

Maier: Kochen gehört zu meinem Leben! Wie bei dir das Boxen.

chrismon: Und wann haben Sie das gemerkt?

Maier: Es war ein langer Weg... eigentlich entstand er aus Liebe. Als mein Mann und ich jung waren, führten seine Eltern ein gutbürgerliches Gasthaus. Dort hab ich mitgeholfen. Als meine Schwiegermutter starb, war der Platz in der Küche verwaist. Ich hatte das Kochen in Paris auch selbst schon ganz ordentlich gelernt.

chrismon: Bei Ihnen, Frau Menzer, gab es am Anfang ebenfalls eine Hürde. Die Eltern haben Nein gesagt zum Kampfsport.

Menzer: Mit zehn Jahren wollte ich in eine Karateschule. Sie ließen mich nicht. Aber der Kampfsport ging mir nicht aus dem Sinn. Ich habe weiter Karate- und Kung-Fu-Filme geguckt. Mit 13 Jahren hatte ich mit ein paar Mädels auf der Straße eine Auseinandersetzung, die waren ein paar Jahre älter als ich.

chrismon: Ging es da auch körperlich zur Sache?

Menzer: Ich bin niemand, der einen Streit provoziert. Das ist nicht meine Art. Aber die sind auf mich losgegangen. Diesen Kampf hab ich verloren. Mein Vater sagte: Das nächste Mal weißt du dich zu wehren. Deswegen hat er mich und meine Brüder zur Karateschule geschickt. Mein Ziel hatte ich erreicht. Ich müsste diesen Mädels heute eigentlich dankbar sein.

chrismon: Hat Ihre Leidenschaft fürs Boxen damit zu tun, dass Sie aus Kasachstan kamen und sich im fremden Land behaupten wollten?

Menzer: Nein, ich hab mich für den Sport begeistert. Aber ich habe zwei jüngere Brüder, für die ich die Beschützerin sein musste. Ich war immer zur Stelle, wenn es Stress gab. Wenn ich Ungerechtigkeiten sehe, weckt das in mir auch heute noch den Beschützerinstinkt der älteren Schwester.

chrismon: Frau Maier, haben Sie sich in der Welt des Kochens auch durchgeboxt?

Maier: Das könnte man fast so sagen. Unsere Gäste wollten so fett und üppig essen, wie sie es gewohnt waren. Manche rümpften die Nase. Ich bin meinem Kurs trotzdem treu geblieben. Dann kam eines Tages ein echter Feinschmecker, ein Fernsehmoderator. Er war von meinen Speisen hingerissen und machte mich buchstäblich über Nacht bekannt. Seit fünf Jahren haben wir die vierte Haube, und unser Restaurant ist jeden Tag ausgebucht.

chrismon: Gibt es etwas, worauf Sie verzichten?

Menzer: Auf ausgehen, auf Discos, auf Freunde besuchen. Schon als Mädchen war das bei mir nicht drin, weil ich jeden Tag im Gym war. Aber ich bereue nichts.

Maier: Ich hab vielleicht zu wenig Zeit für mic h... oder vielmehr: hatte zu wenig Zeit, als die Kinder klein waren.

Menzer: Wann hast du dein erstes Kind bekommen?

Maier: Mit 19.

Menzer: Ich wollte wissen, ob ich die Johanna noch einholen kann. Ich liebe große Familien. Ich will mindestens zwei Kinder haben. Aber beim Boxen ist das schwierig. Theoretisch könnte man nach der Geburt eines Kindes in den Ring zurückkommen, aber ich weiß nicht, ob das funktioniert.

chrismon: Frau Maier, in einem Ihrer Bücher schreiben Sie, Sie seien nicht immer eine gute Mutter gewesen.

Maier: Früher hatte ich manchmal Schuldgefühle, weil ich zu wenig Zeit für meine Kinder hatte. Heute bin ich nicht mehr so streng mit mir. Es ist ja eigentlich arg, dass Frauen so konditioniert wurden. Niemand kann im Beruf erfolgreich sein und gleichzeitig seinen Kindern immer zur Verfügung stehen.

Menzer: Ich finde das, ehrlich gesagt, nicht so schlimm. Es ging den Kindern gut, sie waren auch finanziell gut abgesichert. Du hast ja nicht nur für dich gearbeitet.

Maier: Vor ein paar Jahren sagten meine Kinder: Du bist die wunderbarste Mama, die wir uns vorstellen können. Natürlich hast du ein paar Fehler gemacht. Das werden wir auch tun, wenn wir selber Kinder haben.

Menzer: Ich hätte mich für meine Eltern gefreut, wenn sie sich so hätten verwirklichen können. Sie hatten nie die Chance dazu.

chrismon: Sie arbeiten in Männerdomänen. Muss eine Frau sich da stärker behaupten als anderswo?

Menzer: Mir war anfangs gar nicht bewusst, dass es im Boxen fast nur Männer gibt. Ich habe den Sport entdeckt und wollte mich beweisen. Ich hab immer mit Männern trainiert. Solange ich mit einem Menschen klarkomme, ist es mir egal, ob es ein Mann ist oder eine Frau.

Maier: Mag sein, dass ich in den ersten Jahren belächelt wurde. Mittlerweile weiß jeder, wie viel Können dahintersteht. Wenn man es schafft, muss man dennoch weiter an sich arbeiten - das erhält den Respekt.

Menzer: Man versucht, das Ganze immer weiter zu perfektionieren. Dass man schneller reagiert, dass die Schläge präziser kommen. Man darf nicht stehenbleiben.

chrismon: Woran feilen Sie gerade, Frau Maier?

Maier: Ein kleines Beispiel: das Rhabarberdessert. Ich kreiere vier verschiedene Kompositionen. Jede soll ihre eigene Note haben, und doch sollen sie im Geschmack zueinander passen. Mit Vanille, Chili, Erdbeere, Basilikum - zusammen ergeben sie ein harmonisches Bild und perfektes Gaumenerlebnis.

chrismon: Kochen und boxen Frauen anders als Männer?

Menzer: Nur das Optische unterscheidet sich. Manche behaupten, dass Frauen technisch weniger ausgefeilt boxen würden als Männer. Bei einer Boxerin mit einer guten Technik heißt es dann: Die boxt wie ein Mann. Meiner Ansicht nach gibt es keinen wesentlichen Unterschied.

Maier: Bei den Köchen ist das anders. Frauen sind sicher ein bisschen feinfühliger und mehr mit der Natur verbunden. Das hat eine lange Tradition: Männer gingen auf die Jagd, Frauen bereiteten die Beute zu. Frauen wollen ihre Lieben nicht nur ernähren, sondern auch erfreuen und gesund erhalten. Ich glaube, sie haben ein besseres Gespür für das, was Menschen guttut.

chrismon: Was genießen Sie an Ihrem Erfolg?

Menzer: Dass meine Arbeit Anerkennung findet. Applaus. Leute, die mir nach einem Kampf die Hand schütteln wollen oder ein Autogramm möchten.

Maier: Ich freue mich, dass Gäste aus aller Welt wegen unserer Küche nach Filzmoos kommen. Früher mussten sie an der Tankstelle nach dem Weg zu uns fragen. Mittlerweile haben die Filzmooser ein Schild im Ortszentrum angebracht, das auf das Restaurant "Johanna Maier" hinweist.

chrismon: Frau Menzer, wenn Frau Maier Ihre Schülerin wäre, was würden Sie ihr als Erstes beibringen?

Menzer: Die Deckung: Beine in Schrittstellung, leicht in die Knie gehen. Schultern breit. Die Fäuste vors Gesicht, und mit den Unterarmen Brust und Rippen schützen.

chrismon: Ist Verteidigung besser als Angrif?

Menzer: Nee. Angriff ist die beste Verteidigung.

Maier: Unglaublich. Da fühl ich mich in meiner Küche sicherer.

chrismon: Was würden Sie Frau Menzer beibringen?

Maier: Eine gute Hühnersuppe! Nach altem chinesischem Rezept ist sie am gesündesten ...

Menzer: ...gegen Erkältung.

Maier: Genau. Und auch für die Erhaltung der vitalen Kraft.

chrismon: Kochen findet immer mehr öffentliche Aufmerksamkeit - warum eigentlich?

Maier: Stellen Sie sich vor, Sie haben den ganzen Tag im Büro gesessen, sie kommen nach Hause und es duftet fein: Ihr Partner hat Ihnen Spaghetti gekocht mit Scampi und ein Glas Wein eingeschenkt - sind Sie da nicht glücklich?

 

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