Tim Wegner
07.10.2010

Der Landarzt kommt unangemeldet. In seinem Renault Scénic RX4, einer Art Geländewagen, rumpelt er durch die Pfützen auf den Hof eines backsteinernen Bauernhauses.

Kaum steht der Wagen, stößt Eberhard Meyer die Tür auf und hüpft heraus. Vor dem Treppenaufgang hat ein Hund die Pfote eines geschlachteten Kaninchens abgelegt. Eberhard Meyer sieht sie nicht. So was liegt eben manchmal rum, hier auf dem Land, im südlichen Mecklenburg, nahe der brandenburgischen Grenze. Er tritt fast auf das fellige Etwas, aus dem Adern hängen wie Elektrokabel, die ins Leere laufen. Anzuklopfen braucht er nicht, Erna Jürgens* hat schon aufgemacht. Sie lacht, aber bevor sie etwas sagen kann, schallt es ihr entgegen: "Guten Morgen, liebe Sorgen! " Der Standardgruß von Eberhard Meyer, dem Landarzt aus dem Dörfchen Schwarz.

Eberhard Meyer, Facharzt für Allgemeinmedizin, setzt sich auf die durchgesessene Couch im Wohnzimmer von Familie Jürgens. Erna Jürgens, sie mag so Mitte 70 sein, hat den Ärmel ihres Kittels hochgeschoben und wartet auf die Spritze mit der Grippeimpfung. Ihr Haar ist so dünn, dass die Kopfhaut durchschimmert; die Arbeit auf dem Hof hat ihren ohnehin schon kleinen Körper noch kleiner gemacht. Meyer setzt die Spritze, sie verzieht keine Miene und redet drauflos, als könnte sie den Pieks der Nadel wegdiskutieren. "Mensch, Doktor, beinahe hab ich einen Sturz gedreht." Auf der hohen Stirn des Arztes zeichnen sich Sorgenfalten ab, aber bevor er antworten kann, kommt Herr Jürgens rein, ein Bauer mit rauen Händen und grauen Haaren, die lustig nach oben stehen.

Die Jürgensens kennen ihren Doktor seit 31 Jahren

"Heute Grippeimpfung! ", begrüßt ihn Eberhard Meyer. "Ach so." Herr Jürgens lässt sich in einen Sessel plumpsen. Von der Deckenlampe baumelt ein Plastikstreifen bis fast auf den Wohnzimmertisch herab, viele Fliegen kleben daran. Einige ringen noch mit dem Tod, aber sie werden nicht davonkommen.

"Du, Eberhard", setzt Herr Jürgens mit schwerer Stimme an, "brauchst mir auch keine Antwort geben, aber die Leute erzählen, du willst aufhören und nach Diemitz ziehen." Seine Stimme schnaubt die Frage mit Nachdruck heraus, als hätte er seinen Landarzt lange schon mal fragen wollen, wie es weitergehen soll. Die Jürgensens kennen ihren Doktor seit 31 Jahren. Sie wissen, dass ihr Landarzt im April 62 Jahre alt wird. Meyer beruhigt sie, als er die leeren Ampullen wegräumt. Eine Weile wird er noch kommen, erzählt er, aber ja, er habe schon mal nach schönen Höfen in der Region geguckt. Die Jürgensens sind erleichtert und schenken ihm zwei große Kürbisse aus ihrem Garten.

In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen gibt es ein Problem mit den Ärzten - sie werden alt: Weil vor dem Mauerbau 1961 viele Mediziner in den Westen gingen, beschloss das DDR-Regime, in kurzer Zeit viele Ärzte auszubilden. Die sind heute alle etwa gleich alt - und hören bald auf: In Mecklen-burg-Vo rpommern wird in sechs Jahren mehr als ein Drittel aller Hausärzte an der Schwelle zum Ruhestand stehen. Jetzt ermutigen Ministerien, Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen die Ärzte im Osten, länger als nur bis 65 zu arbeiten.

"Mit 65 ist Schluss, ich arbeite keine Sekunde länger."

Eberhard Meyers Arbeitstag hat morgens um halb acht in seiner Praxis begonnen, am Schreibtisch des Sprechzimmers mit der Nummer zwei. Vor ihm liegt ein Stapel Krankenakten, ganz oben ein Autoschlüssel. Gleich wird er, wie immer dienstags, zu seiner Besuchstour aufbrechen, die ihn an diesem Tag auch zu den Jürgensens führen wird. Meyer sieht müde aus, fast schon grau, der akkurat getrimmte Bart versteckt sich in seinem Gesicht. Nur seine kleinen Augen sind schon unruhiger als der Rest an ihm. Länger als bis 65 arbeiten? Mit heiligem Zorn platzt es aus ihm heraus. "Mit 65 ist Schluss, ich arbeite keine Sekunde länger." Jetzt ist die Müdigkeit weg, die kleinen Augen blitzen, und die Stimme bebt nach kurzer Pause wütend hinterher. "Keine Sekunde länger - in diesem menschenverachtenden System! "

Meyer schimpft immer noch, als er mit seiner schwarzen Tasche und einem kleinen blauen Köfferchen mit Grippeimpfstoff vor die Tür des roten Klinkerbaus, Baujahr 1991, tritt, in dem er seine Praxis hat. Es regnet in Strömen, das hebt die Stimmung nicht gerade, und die Fakten, die er als ungerecht empfindet, sprudeln nur so aus ihm heraus. Da hat sich was angestaut, und Meyer scheint ganz froh, wenn er mal alles rauslassen kann. Pro Hausbesuch bekommt er elf bis 17 Euro plus drei Euro Fahrtgeld. Brutto. Allerdings nicht im Altersheim, das er gerade ansteuert, da gilt das nur für den ersten Patienten. Für die "Mitbesuche" gibt es nur sechs bis sieben Euro. Und netto bleiben pro Hausbesuch ohnehin nur 2,50 Euro, sagt der Arzt.

 "Reich wird man nicht, aber man kommt hin."

In Ostdeutschland mussten sich die Ärzte bislang mit 80 Prozent der Westhonorare begnügen, obwohl sie häufig mehr Patienten behandeln; auch mehr ältere und kranke. Damit sich junge Ärzte im Osten niederlassen, sollen es ab diesem Jahr 90 Prozent sein. Das glaubt Meyer erst, wenn er das Geld auf dem Konto hat. Das Geld ist für ihn auch gar nicht das Hauptproblem. "Reich wird man nicht, aber man kommt hin."

Eberhard Meyer parkt sein Auto vor dem Seniorenzentrum am Stadtpark in Mirow, einem Nachbarort von Schwarz, acht Kilometer entfernt. Schwarz hat 400 Einwohner und einen eigenen Doktor, Herrn Meyer; Mirow ist eine kleine Stadt mit knapp 4000 Einwohnern und drei Allgemeinmedizinern. Das klingt nicht nach Unterversorgung, trotzdem ist Meyer in Eile. In der Eingangshalle des Heimes reicht es nur für einen kurzen Gruß an die Empfangsdame. Auf "NDR 1 Radio MV" dudelt Howard Carpendale, das Lied heißt "Es geht um mehr". Am Ende des Tages wird Meyer fast in jedem Haus, das er betreten hat, NDR 1 Radio MV gehört haben. Jeder Dritte in Mecklenburg-Vorpommern hört den Sender. Es ist das Format für die ältere Zielgruppe.

Eberhard Meyer arbeitet sich von unten nach oben, vom Erdgeschoss bis ins fünfte Stockwerk. Mal riecht es nach Kaffee und kaltem Zigarettenrauch, mal nach Desinfektionsmitteln und Urin. Der Kontakt zu seinen Patienten dauert nur wenige Minuten. "Guten Morgen, liebe Sorgen", Ärmel hochkrempeln, Blutdruck messen, Medikation überprüfen. Aber immer streicht Meyer den Menschen kurz übers Gesicht oder die Hände.

Ein Mann, recht dürr, schlecht rasiert, graue Haare, abgetragener Trainingsanzug, sitzt im Schwesternzimmer und wartet. Jeder Wohnbereich hat so einen Raum, er liegt in der Mitte zwischen zwei parallel verlaufenden Gängen, jeder kann hereinschauen. Als Meyer um die Ecke rauscht, zeigt der Mann aufgeregt auf sein Ohr. "Ja, ich weiß", sagt Meyer. Er schaut in die Ohren. "Ist alles voll, nützt ja nichts." Er holt eine Ohrenspritze mit metallener Spitze aus seiner Tasche und lässt warmes Wasser in eine blaue Schüssel laufen. Eine Schwester legt Papierhandtücher auf Schultern und Nacken des Patienten. Meyer spritzt Wasser in das erste Ohr.

"Kommt was raus?", fragt die Schwester. "Mehr als genug, riechst du das nicht?"

Die Schwester stöhnt kurz auf und holt sich Gummihandschuhe.

"Und, kannste besser hören?", will die Schwester wissen, als beide Ohren sauber sind. "Ja, jetzt versteh ick dir! "

"Dann hörste ja jetzt auch, dass du dich rasieren sollst. Und nicht immer so viel saufen! ", sagt die Schwester.

"Ich schreibe es in diese Karte, ich schreibe es in die andere Karte! "

Der Mann sieht zu, dass er wegkommt. Meyer setzt sich an den Schreibtisch, guckt auf seine Armbanduhr. Und schreibt in die Karte, dass er dem Mann die Ohren ausgespült hat. Dann holt er noch eine Karte aus der rollenden Hängeregistratur. "Ich schreibe es in diese Karte, ich schreibe es in die andere Karte! ", sagt er genervt und rollt mit den Augen. Für die Ohrenreinigung bekommt er nicht mal Extrahonorar, das fällt unter "Mitbesuch". Dem Mann und dem Gesundheitssystem hat Meyer gerade viel Geld gespart, der nächste Hals-Nasen-Ohren-Arzt sitzt in Neustrelitz, mit dem Taxi macht das 50 Euro.

Jetzt noch Frau Winterburg, dann ist der Landarzt für heute fertig mit den Besuchen im Altenheim. Ob was Besonderes mit ihr ist, will der Arzt von der Schwester wissen.

"Nein, eigentlich nicht, sie schimpft nur manchmal fürchterlich auf die Kommunisten."

"Mit denen haben so manche Probleme, aber ich nicht", sagt Meyer und blickt herausfordernd auf den Pfleger und die Schwester im Zimmer. Aber niemand sagt etwas.

Im Auto erklärt er, was er damit gemeint hat. Als es die DDR noch gab, konnte er aufschreiben, was er wollte und - vor allem - was die Menschen brauchten. "Aber diese Zeiten sind vorbei, das ist klar." Er trauert ihnen nicht nach. Als Jugendlicher war er in der Kirche aktiv und bekam mit, dass das bei den Machthabern nicht immer gut ankam. Und als nach der Wende die meisten Menschen sich noch wunderten, wie schnell ein Staat verschwinden kann, war Meyer schon weiter.

Am 20. November 1989, elf Tage nach dem Mauerfall, stellte er beim Rat des Kreises den Antrag auf eine Niederlassung als Arzt. Seit den Siebzigern hatte er in der Mirower Landambulation gearbeitet, einer Art Ärztehaus. Von 1987 bis Ostern 1989 war er im Ural, als Betriebsarzt beim Pipelinebau. In der Sowjetunion, unter Gorbatschow, spürte er schon länger, dass sich was verändern würde. Als er nach Hause kam, war seine erste Ehe zerbrochen und die DDR am Ende. Zeit für einen Neuanfang. "Mit dem Zulassungsantrag stieß ich erst mal noch auf roten Beton." Meyer ertrotzte sich aber die Genehmigung und eröffnete am 3. Oktober 1990, dem Tag der Einheit, seine erste eigene Praxis.

 "Wir sind keine Medizinmänner, wir sind Mangelverwalter."

Damals war er Anfang 40, ein Alter, in dem man die Dinge gestalten will. Fast 20 Jahre später stellt Eberhard Meyer fest, dass er sich etwas mehr vom Westen versprochen hatte, als die letzten zwei Wochen eines Quartals umsonst zu arbeiten. Dann hat er nämlich sein Budget überschritten, sagt er. "Wir sind keine Medizinmänner, wir sind Mangelverwalter."

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es etwa 1100 Hausärzte, einen für 1500 Einwohner, statistisch gesehen. Die Kassenärztliche Vereinigung, die Interessenvertretung der niedergelassenen Ärzte, warnt vor einer Unterversorgung. Der Mangel an Medizinern sei "dramatisch". Andere sagen: Alles nicht so schlimm. Das Ministerium für Soziales und Gesundheit in Schwerin teilt mit, man könne landesweit über 100 neue Hausärzte zulassen. Dann sei aber die Grenze zur Überversorgung erreicht.

Der Landarzt macht kurz Pause. An der Bundesstraße 198, die durch Mirow führt, weist ein Schild mit der Aufschrift "Imbiss" auf einen holprigen, sandigen Parkplatz und einen Bretterverschlag. Vor der Tür steht ein Elektrorollstuhl. Als der Arzt hereinkommt, drehen sich die Leute nach ihm um, nicken ihm freundlich zu. "Ach, der Doktor! " Es ist kurz nach neun, zweites Frühstück. Meyer nimmt eine Bockwurst mit Brötchen, für zwei Euro, mit Kaffee. In einem überdachten Vorraum stehen Plastikstühle und Tische. Drei Männer gucken den Arzt erwartungsvoll an, als er sich zu ihnen setzt.

Am Nachbartisch steht ein Schornsteinfeger. "Ein Schornsteinfeger kennt doch immer einen Witz", ruft Meyer durch den Raum. Aber es passiert nichts. Da erzählt er selbst einen, einen Ärztewitz natürlich, nicht jugendfrei. Es ist das erste Mal an diesem Tag, dass der Arzt richtig lacht.

Ein Kilometer später. Eberhard Meyer stellt bei Wilhelmine Ziegner einen kleinen Plastikbecher auf den Wohnzimmertisch, der nur knapp Platz hat zwischen Schrankwand und schwerer Couch. Meyer will den Zuckerspiegel seiner Patientin im Labor kontrollieren lassen.

"Du isst zu fett, Minchen, mach hier bitte mal ein bisschen Pinkel rein." Auf dem Bild, das in der Schrankwand steht, himmelt die Frau, die jetzt lachend zum Becher greift, einen Mann an, ihren Mann. Er lebt nicht mehr.

"Ich weiß aber nicht, ob ich kann", sagt sie und geht raus. "Versuch' mal, Minchen", ruft Meyer ihr hinterher. Man macht nicht viele Worte in Mecklenburg. Er mag das. In der Magdeburger Börde, wo Meyer auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, ist das nicht anders. Sein Dialekt erinnert ein bisschen an den Berliner Zungenschlag, aber manchmal rutscht ihm ein plattdeutscher Satz raus. "Na, wo geihd di dat?", fragt er, als Minchen wieder in ihr Wohnzimmer kommt.

"Tut mir leid, da kommt nichts, Dokterchen." "Macht nichts. Wenn was ist, meldest du dich! "

Er wird schon nächste Woche nach ihr schauen, weil Minchen heute keine Grippeimpfung bekommen darf, sie ist erkältet. Vielleicht ist das blaue Köfferchen mit dem Grippeimpfstoff so etwas wie ein Kompromiss, den der Landarzt mit dem System getroffen hat. Er kann nicht alles leisten, aber was geht, das macht er auch. Eine Impfung, die muss man sich eigentlich selbst holen. Und wenn man es nicht mehr zum Arzt schafft, muss man anrufen, damit der Arzt zu einem rauskommt. Eberhard Meyer kommt einfach. Kaum einmal bleibt er länger als zehn Minuten, selten spricht er mehr als nötig. Aber immer Klartext. "Deine Knochen sind im Arsch", sagt er zu Ella Kleinschmidt, einer Frau, die in einem kleinen Dorf zwischen Schwarz und Mirow lebt. In ihrem Wohnzimmer stapeln sich die Bierflaschen in einem Korb. Sie sagt, es sind nur so viele, weil sie mit dem Wegbringen wartet, bis es sich lohnt.

Der Doktor hat keine Antwort gegeben. Aber zugehört.

An der Wand hängt ein Bild, schwarz-weiß, es zeigt einen Mann mit dunklen Locken, er lacht in die Kamera. Frau Kleinschmidt guckt ihn an, als sie ihre Impfung bekommt. "Ach, nächstes Jahr wird glattgemacht", seufzt sie und erzählt, dass sie das Grab ihres Sohnes einebnen lässt. Sie kann sich die Friedhofsgebühren nicht mehr leisten. Auch dieser Besuch hat kaum fünf Minuten gedauert. Der Doktor hat keine Antwort gegeben. Aber zugehört.

Über die Jahre sind aus den kurzen Gesprächen Geschichten geworden. Wenn Eberhard Meyer im Ruhestand ist, will er sie aufschreiben, ein ganzes Buch soll daraus werden. Die Sache mit Ella Kleinschmidt zum Beispiel, die ihren Sohn verloren hat, noch zu DDR-Zeiten. Das geht ihm nicht aus dem Kopf. "Jefeiert, jesoffen, und dann wollte er noch zu den Weibern fahren", erzählt der Landarzt. Als Meyer ihn neben seinem verbrannten Trabi fand, konnte er noch reden. "Eberhard, weißt du denn nicht, wer ich bin?", stöhnte ein Bündel Mensch. Der junge Kleinschmidt starb nach ein paar Tagen im Krankenhaus.

Der Tod, das ist ein Thema, das den Arzt beschäftigt. 1965 und 1966 machte er sein Vorpraktikum in Jena, Städtisches Klinikum. "53 Tote durfte ich da fertig machen", das hat er sich genau gemerkt. Er schätzt, dass es mittlerweile Tausende sind. Sein Grundsatz: gehen lassen. Mit den Jahren hat er ein Gefühl dafür entwickelt, für wen er den Blaulichtwagen, wie er den Krankenwagen nennt, rufen muss. Und für wen nicht mehr.

Dann bleibt er da, setzt sich ans Bett, hält die Hand. Er will nicht, dass jemand im Blaulichtwagen stirbt, der hier, auf dem Land, viele Kilometer unterwegs ist bis zum nächsten Krankenhaus. "So schlafen die meisten ganz ruhig ein." Das passiert oft. Die Patienten, die er zu Hause besucht, sind im Schnitt zwischen 70 und 80 Jahre alt.

Der Arzt arbeitet 60, 70 Stunden die Woche. Orgel spielen ist sein Ausgleich

In Deutschland gibt es mehr als 130 000 ambulant tätige Mediziner. Nachkriegsrekord. Knapp 60000 von ihnen sind Hausärzte. Warum gibt es einen Ärztemangel im Osten? Warum droht der auch in anderen ländlichen Regionen, im Sauerland oder im Bayerischen Wald? "Ärzte sind Freiberufler, wir können sie nicht mit dem Lasso einfangen", sagt Roland Stahl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Er spricht von Work-Life-Balance, davon, dass junge Ärzte ein Theater in ihrer Nähe wollen.

Eberhard Meyer steht in seinem Garten, in den er sich selbst eine Sauna gebaut hat. "Alles handgeschnitzt", sagt er und zeigt auf einen kleinen Tisch vor dem Eingang, da liegt das Handy, wenn er drinnen schwitzt. Falls was ist. Oft ist was, 60 bis 70 Stunden in der Woche arbeitet er, mehr, als gesund ist. Vor acht Jahren wurde er selbst Patient. Im eigenen Sprechzimmer erlitt er einen Infarkt, der Hubschrauber musste kommen. "Ich hätte schon längst in Rente gehen können", sagt Eberhard Meyer, dem das Leben viele Streiche gespielt hat. Zwei Scheidungen hat er hinter sich, er nennt sie "Ehekriege". Jetzt lebt er mit seiner Freundin zusammen und mit den zwei jüngsten seiner fünf Kinder.

Der Landarzt würde jetzt so gern noch kurz zeigen, wie er Orgel spielt, obwohl er morgens noch streng angekündigt hatte, gar nicht so viel Zeit zu haben. Aber die Momente fürs Orgelspiel, die nimmt er sich, das ist sein Ausgleich. Leider ist die Tür zur Empore der kleinen Kirche in Schwarz heute verschlossen. Er fährt zum Pfarrhaus, vielleicht liegt der Schlüssel da. Der Pfarrer ist nicht da, die Pfarrersfrau weiß auch nicht, wo sie suchen sollte. Als sie den Arzt wieder hinausbegleitet, kommen sie an einem Kunstwerk vorbei. Es ist eine Art Schaukasten, und da hinter dem Glas steht nur ein einziges Wort. "Leben". Eberhard Meyer bleibt kurz stehen, zeigt mit dem Finger auf den Kasten und sagt: "Schönes Motto." Dann geht er weiter.

*Namen aller Patienten geändert

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Segelboot aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.