Filmvorführungen, Pilgerquartiere, Jobs auf dem Pfarrhof: Endlich ist wieder Leben eingekehrt in der Arnsdorfer Kirchengemeinde. Nur gebetet wird dort noch zu wenig, findet Pfarrer Fünfstück. Wie sich das ändern lässt? Vor allem: behutsam
07.10.2010

Es ist voll in der ausgebauten Scheune. 80 Menschen hätten bequem Platz, an diesem Sonntagabend sind doppelt so viele da. Kinder werden auf den Schoß genommen, einige Leute stehen am Rand oder an den Geländern im ersten Stock. Heute ist Kinotag im sächsischen Arnsdorf. In wenigen Minuten beginnt "Ice Age 2".

Pfarrer Andreas Fünfstück schnallt sich die Gitarre um. Ein kleiner, drahtiger Mann Anfang vierzig mit Bärtchen. Er trägt Jeans und eine Schirmmütze. "Herzlich willkommen im Landkino Arnsdorf", sagt er. "Ist das der Pfarrer?", flüstert eine Frau ihrem Mann zu. Der weiß es auch nicht so genau, die beiden sind nicht von hier.

Fünfstück stimmt ein Lied an. Obwohl es nur wenige kennen, singen die meisten Kinobesucher munter mit. Fünfstück lädt zum nächsten Gottesdienst ein. "Wenn Sie es zwei Stunden auf diesen harten Bänken aushalten, dürfte Ihnen eine Stunde in der Kirche nichts ausmachen!"

Auf dem Programm: Herr der Ringe, Feuerzangenbowle

Die Kinoscheune, 30 mal neun Meter groß, gehört zum Pfarrhof. Rechts daneben steht das Pfarrhaus, dahinter die Kirche. Wo früher Getreide lagerte, laufen heute Filme. Zu DDR-Zeiten verbotene Filme wie "Spur der Steine", Kassenschlager wie "Herr der Ringe" oder Kinoklassiker wie "Die Feuerzangenbowle".

Dann wimmelt es von Besuchern auf dem Pfarrhof ­ doch sonntags im Gottesdienst sitzen meist nicht mehr als 20 Leute. Manchmal sind es nur zehn, auch wenn Fünfstück unermüdlich einlädt. In der Nachbargemeinde, die Fünfstück auch betreut, sieht es genauso aus. Dabei ist gut die Hälfte der Menschen in der Gegend Mitglied der evangelischen Kirche ­ das ist viel, verglichen mit Bautzen oder Görlitz, wo es weniger als 20 Prozent sind.

"Die Hemmschwelle ist hoch", erklärt Fünfstück. Wer sich zu DDR-Zeiten von der Kirche distanziert habe, werde heute beim Gottesdienstbesuch besonders kritisch gemustert. Noch immer schwinge es mit, dieses: "Wir wissen, wie ihr früher geredet habt." Wer heute in die Kirche gehe, fühle sich häufig unter Rechtfertigungsdruck.

Gemeinsam für die Dorfkirche zu sammeln, das zusammen

Seit bald zwölf Jahren ist Fünfstück Pfarrer in Arnsdorf, einem kleinen Ort in der niederschlesischen Oberlausitz, der östlichsten Region Deutschlands. 15 Kilometer sind es bis Görlitz an der polnischen Grenze. Knapp 500 Menschen wohnen im Dorf. Es gibt den Sportverein und die freiwillige Feuerwehr. An drei Tagen in der Woche steht der Bäckerwagen eine halbe Stunde auf dem Platz am Dorfeingang. Immer donnerstags hält der Sparkassenbus, da kann man Geld abheben oder einzahlen. Wobei es hier etliche gibt, die nichts auf die Seite legen können. Jeder Fünfte in der Region ist arbeitslos. Die Kirche steht am Ortsrand. 750 Jahre ist sie alt, innen bröckelt der Putz, die Orgel ist defekt.

Für viele Gemeinden in ländlichen Gebieten in Ostdeutschland sind ein kaputter Kirchturm, ein undichtes Dach, eine kaputte Orgel in gewisser Weise ein Segen: Denn gemeinsam Geld für die Renovierung und Erhaltung der Dorfkirche zu sammeln, das schweißt die Menschen zusammen. Auch die Arnsdorfer haben mit Pfarrer Fünfstück Geld für ein neues Kirchdach aufgetrieben. Aber ihm reicht es nicht, Spenden zu sammeln ­ er möchte Leben, Alltag in den Pfarrhof bringen, Menschen einladen und Berührungsängste abbauen.

Kirche in Arnsdorf ­ viele Menschen in der Umgebung denken da zuerst an das Landkino. Seit acht Jahren suchen Fünfstück und fast 30 Helfer aus dem Dorf Filme aus, bauen Projektor und Leinwand auf, stellen ausrangierte Kirchenbänke davor.

Die Idee für das Landkino entstand 1998 im Kirchenvorstand, als man überlegte, was mit der großen alten Scheune passieren sollte. Damit es ein Projekt des ganzen Dorfes wurde und keine exklusive Veranstaltung der Kirchengemeinde, gründeten die Kinobegeisterten den Verein für Kirchenbau und Dorfgeschichte, der sich neben dem Landkino auch um die Erhaltung der Pfarrhofgebäude kümmert.

Dem Vikar geht alles ein wenig zu zaghaft

Längst nicht alle Mitglieder sind Kirchgänger. Gemeinsam räumten die Dorfbewohner die Scheune für die erste Kinosaison um. Ungefähr 2000 Besucher kamen im ersten Jahr aus den Nachbardörfern sowie den Nachbarstädten Görlitz und Bautzen. Und jedes Jahr wurden es ein paar mehr. "Was hier fehlte, war ein Ort, an dem man sich einfach mal trifft", sagt Fünfstück. "Ein Platz zum Reden, Sichaustauschen ­ warum also nicht der Pfarrhof?" Der ist zum Treffpunkt und kulturellen Zentrum des Dorfes geworden ­ auf Initiative der Kirche hin.

Unter den Besuchern seien viele, die sonst nie einen Fuß auf einen Pfarrhof gesetzt hätten. "Jetzt müssen wir tiefer gehen, als Kirche erkennbar sein und nicht nur einfach einen Film zeigen."

Dieser Meinung ist auch Michael Kösling, bis Ende Februar Vikar in der Gemeinde. Ihm geht das alles ein wenig zu zaghaft. Wenn die Leute schon mal dasäßen, dann könnte man auch mehr rüberbringen als ein, zwei Gedanken zum Film. Dann könnte man zum Beispiel eine Andacht halten, einen christlichen Anstoß geben.

Doch Fünfstück ist da vorsichtig. Wenn er etwas tut, dann nur, wenn er davon überzeugt ist. Beim Landkino war das der Fall, bei christlichen Annäherungsversuchen vorm Hauptfilm hält er sich hingegen zurück. Er weiß: In Arnsdorf kommen forsche Andachten nicht gut an. "Hier will keiner moralisiert werden. Die Erinnerungen an kommunistische Umerziehung sind noch frisch."

Neun Uhr: gemeinsames Frühstück für die Ein-Euro-Jobber im Pfarrhaus

Um halb neun Uhr abends ist der Film zu Ende, viele Besucher bleiben noch. Rosel Förster, die Frau hinter der Bar in einer Ecke der Scheune, mixt Campari-Orange, Blauen Engel oder auch mal einen Florida Long. Es mache ihr Spaß, die Leute zu bedienen und zu verwöhnen. Rosel Förster ist Rentnerin. In die Kirche gehe sie schon, seit sie denken könne. Durch das Kino habe sich das Gemeindeleben total verändert.

"Seit Fünfstück hier ist, ist im Pfarrhaus richtig viel los." Zum Beispiel am Morgen nach der Kinovorstellung. Isolde Karrasch schließt die Scheunentür zum Landkino auf. Jetzt heißt es aufräumen. Zehn Helfer sind bereits auf dem Pfarrhof. Alles Ein-Euro-Jobber, drei Frauen und sieben Männer zwischen 21 und 60. Die Jobs auf dem Pfarrhof hat Andreas Fünfstück organisiert.

Auch das sei für ihn Kirche: Benachteiligte beteiligen. "Hier bekommen alle eine sinnvolle Aufgabe", sagt Isolde Karrasch. Früher war sie Industriekauffrau, dann arbeitslos. Heute betreut sie die Ein-Euro-Jobber in Arnsdorf. Manchmal, sagt sie, möchte sie abends gar nicht nach Hause gehen, so gemütlich findet sie es hier auf dem Pfarrhof, dabei wohnt sie nur drei Häuser weiter.

Einige Arbeiter kehren die Scheune durch, andere machen Ordnung an der Theke und unter den Bänken. Um neun Uhr gibt es ein gemeinsames Frühstück im Erdgeschoss des Pfarrhauses. Dann geht es zurück an die Arbeit. Ein Mann kümmert sich um die bröckelnde Friedhofsmauer, andere sägen Wegweiser aus Holz für den Ökumenischen Pilgerweg von Görlitz nach Vacha, der auch an Arnsdorf entlangführt. Die Arnsdorfer Kirche besitzt elf Hektar Wald, einige der Jobs laufen in Kooperation mit dem Forstamt.

Die Hemmschwelle, persönlich in Kontakt zu treten

Andreas Spengler ist Pfarrer im benachbarten Jänkendorf. Die Kirchengemeinden in der Region hätten alle das gleiche Problem, sagt er: alte Pfarrhöfe mit vielen Gebäuden, kleine Gemeinden und wenige Gottesdienstbesucher. Gemeindeaktivitäten am Wochenende konkurrierten mit der wenigen Zeit, die die Väter, die unter der Woche weit weg arbeiten, mit ihren Familien verbringen können.

Und dann sei da diese Hemmschwelle, persönlich mit der Kirche in Kontakt zu kommen. Drei Jahre habe er gebraucht, um in seinem Dorf als Pfarrer Fuß zu fassen. Auch Spengler hat Großes vor mit seiner Scheune, ein Heuhotel soll sie mal werden. Anerkennend sagt er: "Fünfstück schöpft aus dem Vollen, kennt sich aus mit Fördermitteln: Wenn er etwas anpackt, dann richtig."

Und so gibt es in Arnsdorf mittlerweile einen eigenen Kindergarten mit 38 Plätzen. Gegründet wurde er auf Initiative der Kirche, die auch Mitglied im Trägerverein ist. Einige der Eltern waren anfangs skeptisch. Ein Vater beruhigte damals die anderen Eltern: "Hier muss keiner beten, der nicht will." Über die Kinder kommen manchmal auch die Eltern in die Kirche. Zum Beispiel, wenn die Kindergruppen den Gottesdienst mitgestalten. Oder an Weihnachten und Ostern. Aber eben meist nur dann. Im Sommer übernachten oft Pilger auf dem Pfarrhof: Oben in der Kinoscheune gibt es für sie ein einfaches Quartier.

Ob Kino, Ein-Euro-Jobs, Kindergarten oder Pilgerquartier ­ bei all dem hat Fünfstück Ideen gefördert, Anträge gestellt, Leute zusammengetrommelt, Streitigkeiten geschlichtet, motiviert und mit angepackt.

Kino als Ersatzort für Kirche?

Vorbildlich findet das Superintendent Johannes von Campenhausen. "Akzeptanz bei den Menschen vor Ort ist die wichtigste Voraussetzung, damit Kirche wachsen kann."

Aber woran misst man Akzeptanz? In Arnsdorf zum Beispiel daran, dass der Pfarrer ans Sterbebett gerufen wird ­ ein Vertrauensbeweis. Oder daran, dass die Menschen gerne auf den Pfarrhof kommen. Und vielleicht irgendwann daran, dass bekannte, aber in der Kirche neue Gesichter im Gottesdienst auftauchen.

Bislang ist allerdings das Kino der größte sichtbare Erfolg. Kino als Ersatzort für Kirche? "Das geht ganz sicher nicht", sagt Campenhausen. Der Gottesdienst sei das Herzstück und müsse es auch bleiben. Und die Rechnung, "der Pfarrer ist ein netter Mensch, dann gehe ich auch in den Gottesdienst", diese Rechnung gehe nicht auf.

Andreas Fünfstück bleibt dennoch zuversichtlich: "Wir haben Zeit, es muss nicht alles in fünf Jahren passieren." Landkino, Quartier für Pilgerreisende und Ein-Euro-Jobs, ob das Kirche ist, das fragen sich die Arnsdorfer Gemeindemitglieder schon manchmal. Und der Pfarrer antwortet dann: "Klar ist das Kirche, hier geht es doch um das Miteinander. Es geht darum, einen Ort zu schaffen, an den Menschen gerne kommen." Am kommenden Sonntagmorgen wird er wieder den Gottesdienst in der kleinen Dorfkirche feiern und hoffen, dass auch dorthin die Menschen wieder gerne kommen.

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