Brauchen Kinder Gott?
Kinder beten, ohne dass sie es von anderen gelernt hätten. Und sie stellen bohrende Fragen, auf die ihre Eltern nicht einmal kämen. Aus Spiel wird Ernst, wenn sie wissen wollen, was im Leben zählt
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

Kinder erleben die Welt als bergend, geheimnisvoll und bedrohlich. Für sie ist die Welt belebter als für Erwachsene. Marionetten erscheinen ihnen wie Kobolde. Ein maskierter Mensch ist ihnen unheimlich, auch wenn sie wissen, wer hinter der Maske steckt. Kinder sind von ihren Beschützern abhängig. Der Zorn der eigenen Eltern kann existenzbedrohend wirken.

Kinder suchen Sicherheit in Ritualen

In dieser intensiven Erlebniswelt spielt Religion eine wichtige Rolle. Einfache Religiosität entsteht bei Kindern sogar ganz von selbst. Kinder legen sich Erklärungen zurecht, die ihnen ­ wie religiöse Mythen ­ die Orientierung in dieser geheimnisvollen Welt erleichtern. Sie suchen Sicherheit in Ritualen. Aus Lob und Tadel erschließen sie Grundmuster für richtiges und falsches Verhalten, eine Art kindlicher Ethik.

Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff

Burkhard Weitz

Burkhard Weitz war als chrismon-Redakteur bis Oktober 2022 verantwortlich für die Aboausgabe chrismon plus. Er studierte Theologie und Religionswissenschaften in Bielefeld, Hamburg, Amsterdam (Niederlande) und Philadelphia (USA). Über eine freie Mitarbeit kam er zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" und war mehrfach auf Recherchen in den USA, im Nahen Osten und in Westafrika. Seit November 2022 betreut er als ordinierter Pfarrer eine Gemeinde in Offenbach.

Kinder nehmen auch Anregungen für ihre Religion aus der Erwachsenenwelt. Sie hören von Gott und stellen sich ihn als Riesen vor, der die Welt baut wie ein Handwerker ein Haus. Sie lernen: Gott ist größer als die Eltern. Er kann Gute beschützen und Böse bestrafen. Für sie ist Gott so real wie alles andere auch. Oft kommen Kinder von selbst darauf, mit Gott zu sprechen. "Unser Kind betet", stellen Eltern, die selbst nie beten, erstaunt fest. Ihre Kinder sind Gott gegenüber unbefangen, sie brauchen Gott.

An Weihnachten lernen Kinder das Jesuskind kennen. Karfreitag ist es bereits erwachsen und hängt am Kreuz. "Warum hängt der da so komisch?", fragen Kinder. Wenn sie hören, dass böse Menschen Jesus wehtun und ihn töten, fragen sie: "Warum sind die Menschen böse?" Oft kommen solche Fragen unerwartet und Eltern fühlen sich bei ihrer Beantwortung überfordert.

Kindern Gott zu erklären, kann Anlass sein, über den eigenen Glauben nachzudenken.

Je einfacher die Antwort, desto besser kann das Kind sie in sein Weltbild einfügen. "Was ist eine Kirche?" ­ Da spricht man mit Gott. ­ "Wer ist Gott?" ­ Gott hat die Welt, dich und mich gemacht. ­ "Warum ist Opa tot?" ­ Opa ist im Himmel bei Gott.

Vielen Erwachsenen bereiten solche Antworten Unbehagen. Manche kommen sich wie Betrüger vor, wenn sie so über Gott reden. Doch sie fänden es zu hart, dem Kind zu sagen, die Menschen hätten sich Gott nur ausgedacht, die Welt sei zufällig entstanden und von Opa bliebe nur der verwesende Körper im Grab. Schließlich will sich das Kind in seiner Welt zurechtfinden. Es verlangt Orientierung, nicht Belehrung. Im Gespräch mit Kindern können Eltern ihr eigenes Weltbild überprüfen. Oft zeigt sich, dass sie selbst vieles nicht befriedigend erklären können. Kindern die Sache mit Gott zu erklären, kann Anlass sein, über den eigenen Glauben nachzudenken.

Kinder wollen nicht belogen werden. Sie merken, wenn ihre Eltern nicht hinter dem stehen, was sie sagen. Als Jugendliche fühlen sie sich hintergangen, wenn ihre Eltern nichts über den kindlichen Glauben hinaus bieten. In dem Fall sollte man lieber von vornherein seine Ratlosigkeit zugeben.

Religiöse Erziehung gelingt nur, wenn die Erwachsenen nicht auf ihrer Meinung beharren, sondern sich auf die kindliche Sicht einlassen. Missionarischer Eifer wirkt oft kontraproduktiv. Zwang in Sachen Religion bewirkt, dass Kinder den Glauben eher als Last denn als Hilfe erleben.

Kinder brauchen Gott, nicht anders als Erwachsene.

Das wäre fatal, denn religiös erzogene Kinder haben viele Vorteile im Leben. Für ihr Selbstbewusstsein ist es wichtig, wenn sie sich von ihrem Schöpfer geliebt wissen. Kinder merken, dass die Zuwendung ihrer Eltern schwankt. Um das Kind von ihrer Sympathie unabhängig zu machen, können die Eltern in ihm den Glauben nähren: "Gott hat dich immer lieb."

Das Ritual eines Abendgebets kann dem Kind helfen, seine Selbstbeobachtungsgabe zu schärfen. Das Kind überlegt: "Was hat mich heute gefreut?", und dankt Gott dafür. Dann überlegt es: "Was hat mich geärgert oder traurig gemacht?", und bittet Gott, dass so ein Ärger nicht noch mal passiert und dass Gott es tröstet. In der Zwiesprache mit Gott lernt das Kind, seine Gefühle wahrzunehmen, ihnen Ausdruck zu verleihen, Misserfolge und Kränkungen zu relativieren und seine Stimmung aufzuhellen. Auch eine kindgerechte Auseinandersetzung mit christlichen Werten ist möglich. Etwa wenn die Eltern auffordern, nicht zurückzuschlagen, wenn man gehauen wird. Wenn sie empfehlen, Streit aus dem Weg zu gehen oder den Ausgleich zu suchen. Dafür muss das Kind sich in andere einfühlen können. Am besten geht das, wenn das Kind auch die eigenen Gefühle kennt.

Religiöse Erziehung entspricht nicht nur der kindlichen Weltsicht. Sie kann dem Kind auch zu einer positiven Lebenssicht verhelfen. Kinder brauchen Gott, nicht anders als Erwachsene.

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