Glauben alle an denselben Gott?
Der Tanz des Shiva, Buddha auf der Lotusblüte, das Kreuz Jesu: Glauben alle an denselben Gott? Vielleicht weisen sie alle auf dieselbe höhere Realität. Ist es egal, welches Symbol auf den Hausaltar kommt?
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

"Bist a Jid?", fragt der ultra-orthodoxe Jude den Reporter eines deutschen Nachrichtenmagazins. Beide stehen nahe der Klagemauer in Jerusalem, seit Wochen feuert die schiitische Hisbollah Raketen vom Libanon aus ins Land. Nein, sagt der Reporter. "Macht nichts", antwortet der Jude, "es gibt nur einen Gott für alle." ­ "Auch für die Libanesen?", will der Reporter wissen. Natürlich, sagt er, "wir sind alle Brüder, wir vergessen es nur manchmal." ­ Manchmal? Vermutlich 800 Menschenleben kostete der Krieg in Israel und im Libanon allein im Juli.

Wenn es einen Gott gibt, dann gibt es ihn nur einmal. Und wer Menschen anderer Religionen nicht absprechen will, dass auch ihre Religion tiefe Lebensweisheit vermittelt, dass auch ihre Offenbarungen authentisch sind, muss sagen: Irgendwie haben alle einen Draht zu Gott. Sie sehen Gott nur aus unterschiedlichen Perspektiven.

So verschieden sind die Blickwinkel, dass Religionen einander meist fremd bleiben. Sogar die monotheistischen Religionen, die ja einiges gemeinsam haben: Sie alle gehen davon aus, dass Gott jeden Menschen gleich geschaffen habe und dass sie ihr Tun eines Tages vor Gott verantworten müssen. Sie verehren Abraham für seine Glaubensstärke, David für seine Gebete und Hiob für seine Duldsamkeit.

Trotzdem können Juden und Muslime mit der christlichen Dreieinigkeitslehre nichts anfangen. Diese Lehre ist wesentlich für Christen. Sie besagt, Christus sei eine göttliche Person, und erklärt Jesu Leben und Lehre zum absoluten Maßstab. Ihretwegen ist das Gut der individuellen Menschenwürde für Christen nicht verhandelbar.

Schon die monotheistischen Religionen sind einander fremd

Christen und Muslime wiederum verstehen nicht, wie man 613 oft unerklärliche Ge- und Verbote befolgen kann. Doch die Liebe zur Thora prägt im Judentum ein kluges, pragmatisches Streben nach Recht und Gerechtigkeit. Zum Zeichen dafür binden sich religiöse Juden bei jedem Gebet Thoraverse mit Riemen an Stirn und Hand.

Für Juden und Christen geht der Pilger, der unter Zehntausenden im schlichten Pilgerhemd zur Kaaba vordringt, völlig in der anonymen Masse unter. Im Islam gilt diese Masse als starkes Zeichen für Gleichheit und Brüderlichkeit unter Muslimen.

Schon die monotheistischen Religionen sind einander fremd. Viel rätselhafter erscheinen ihnen die fernöstlichen Religionen: der Hinduismus mit seiner Allgegenwart des Göttlichen und der Buddhismus mit seiner Suche nach Alleinheit.

Bei so viel Fremdheit bleiben Konflikte nicht aus. Schüler in fernöstlichen Religionen unterwerfen sich ihren Lehrern oft so radikal, dass es Christen abstößt. Manchmal erscheint Toleranz unmöglich. Ideale sind desto weniger verhandelbar, je gewisser sie sind. Irgendwann kommt der Punkt, an dem Menschen ihre Ideale mit Gewalt zu verteidigen bereit sind ­ auch wenn dies fast immer der falsche Weg ist.

Religionen wandeln sich

Wer meint, er spare sich Ärger, wenn er seine Religion ganz aufgibt, denkt zu kurz. Mit der Religion legt er das Einzige ab, was ihn mit den anderen verbindet: das Wissen um den eigenen Absolutheitsanspruch. Mit diesem Wissen geht auch der Respekt für die religiöse Gewissheit der anderen verloren. Der Aufklärungsphilosoph John Locke (1632­1704) meinte aus diesem Grund sogar: Zu wahrer Toleranz seien Menschen, die die Existenz Gottes leugnen, nicht fähig.

Religionen wandeln sich. Sie durchdringen sich im Zeitalter der Globalisierung schneller, als sie es je zuvor taten. Und sie lernen voneinander. Fernöstliche Religionen zeigen sich vom monotheistischen Gleichheitspostulat beeindruckt. Christen lernen fernöstliche Meditation. Dennoch werden die verschiedenen Religionen wohl nie ganz zueinanderfinden. Gegensätze werden immer bleiben: verschiedene Gewissheiten darüber, wie das Absolute beschaffen ist, an das man glaubt. Und wie man sich ihm nähern soll.

Religionen werden immer um die Herzen der Menschen wetteifern, das ist gut so. Bitter ist nur, dass sich immer wieder Menschen mit ihren Gewissheiten an den Rand gedrängt fühlen. Und dass sie keinen anderen Ausweg sehen, als mit Waffengewalt um ihre Identität zu kämpfen.

Glauben alle an einen Gott? Der Jude an der Klagemauer hat recht: Ja, wir sind Geschwister. Nur leider vergessen wir es. Nicht nur manchmal, sondern viel zu oft.

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