Väter und Söhne - wie kann der Erwachsene dem Jugendlichen Zuversicht geben? Foto: James Pauls / istockphoto
30.11.2010

Wir haben eine Krise, eine Weltkrise, nur: keiner versteht sie. Die Krise ist abstrakt. Aber sie hat uns im Griff. Das macht uns ohnmächtig und zornig - beides Gefühle, die Vertrauen zerstören, das in die eigenen Fähigkeiten und das in die Ordnung der Welt.

Wie erklären wir die Lage unseren Kindern, die nichts dringender von uns verlangen als Gewissheiten, Abwendung ihrer Ängste und eine stabile Zuversicht? Kinder und Jugendliche sind mit einem Teil ihrer Sinne und Gefühle immer ganz der Zukunft zugewendet, viel mehr als wir Erwachsene. Sie sind neugierig und abenteuerlustig. Deshalb benötigen sie ja ihre Eltern als Zuversichtslieferanten: "Wir kriegen das schon hin! " Zuversicht brauchen Kinder ganz konkret in den Gesichtern und Stimmen der Eltern, im Gespräch am Abendtisch. Wo sie fehlt, geht bald ein Riss durch eine Familie. Manche pubertäre Dramen, die eigentlich so selbstverständlich zum Familienleben gehören wie das Frühstück, haben heute einen merkwürdig scharfen, vonseiten der Kinder oft abfälligen Tonfall angenommen. "Ihr wisst ja auch nicht, was läuft." Und die Eltern bedrängen sie ängstlich, sie moralisieren und ereifern sich. Sie fordern von ihnen viel und verfügen doch über keine ausreichende Erfahrungssicherheit. Alle Sicherheiten wanken.

Da sind zum Beispiel Michael und sein Vater. Der Junge ist 15 Jahre alt, meinungsfreudig-arrogant, stur wie ein Esel und unsicher bis in die Tiefen seiner pubertierenden Seele - so weit also alles ganz "normal". Aber am Abendtisch sitzt ihm ein Vater, 48 Jahre alt, gegenüber, der Angst vor der Zukunft hat und versucht, sie nicht zu zeigen. Er ist Diplomingenieur einer traditionsreichen und, wie es bis vor einem Jahr schien, krisenfesten Reifenfirma mit weltweitem Ruf. Aber die Zukunft sieht schwarz aus. Welche Gewissheiten hat er seinem Sohn anzubieten? Gute Noten in der Schule und ein bisschen mehr Arbeitsdisziplin, fordert der Vater. In letzter Zeit brüllt er manchmal los. Michael lacht ihn heimlich aus. Dieser Vater hatte zeitlebens gute Noten und hervorragende Bewertungen, nicht zuletzt wegen seiner Arbeitsdisziplin. Hat es ihm geholfen? Jetzt, mit 48, ist er auf dem Arbeitsmarkt kaum noch vermittelbar.

Mut ist schwieriger geworden, denn wir wissen weniger von der Zukunft

Eltern, Lehrer, Erzieher brauchen eine Offenheit, die klarer und radikaler ist als je zuvor und die doch kaum Gewissheiten zur Grundlage hat. Eine vertrackte Lage, die zu bewältigen viel Mut erfordert. Wir haben gar keine Wahl. Allenfalls können wir uns eingeschüchtert, für uns selbst und unsere Kinder wenig überzeugend, in Idyllen verlieren, eine gute alte Zeit beschwören, in der die Werte noch etwas galten, Eltern noch respektiert wurden. Als hätten moderne Kinder nicht dieselbe Sehnsucht danach, ihre Eltern zu respektieren und von ihnen geliebt zu werden. Umfragen zeigen das überdeutlich und verblüffen die pädagogischen Fachleute jedes Mal wieder neu. Wir können uns sehnsuchtsvoll erinnern an jene Zeiten einer Nachbarschaft, die eng war und Unterstützung bot, aber eben auch Kontrolle bedeutete. Oder eines engen Verbundes von Verwandten, der oft nützlich war, aber einem Jugendlichen wie mir endlos auf die Nerven gehen konnte. Wir haben viele Möglichkeiten, vor der Offenheit der Zukunft zu flüchten, und sind auch erstaunlich einfallsreich dabei. Nützen wird es uns nichts.

Woher bezieht man Mut? Meine Antwort ist simpel: aus der Liebe. Das ist ein gewaltiges Wort, unter dem man alles und jedes verstehen kann. Ich verstehe es ganz lebensnah, ganz alltagsbezogen, ohne diesen geölten Liebespredigerton. Ich meine, wenn ich über die Liebe schreibe, auch nicht das Wort und den hohen Klang des Wortes, über den Paulus verfügt. Ohne Zweifel hat die christliche, besonders die paulinische Liebesmystik mehr als der Geist der Aufklärung, mehr als Vernunft und die Beherrschung der Natur unsere Kultur begründet.

Das nenne ich Liebe

Liebe, die ich meine, ist eine Weise, die Dinge so anzuschauen, dass sie nicht sogleich geordnet und geteilt, sondern zuerst und vor allem empfunden werden. Kinder können die Welt auf diese Weise anschauen - ganz einfache Dinge: ein Blatt, einen Baum, Wasser, das aus einem Brunnen springt. Sie sind mit Leib und Sinnen mittendrin in dieser liebevollen Betrachtung. Wenn es uns Erwachsenen gelingt, etwas von diesem verwunderten Schauen, das empfindsam, aber unsentimental in uns eindringt und rumort (also "aufrührt") und gar nicht so richtig kontrolliert und geordnet werden kann, in uns aufzunehmen, dann gelingt auch der nächste Schritt. Wir können denselben Blick auf unsere Kinder richten, auf das unglaublich Erstaunliche: ihre Existenz. "Dass es dich überhaupt gibt, ist unbegreiflich": Das nenne ich Liebe.

Ich bin an dieser Stelle professionell ein wenig verbohrt, mir fallen meist nur Beispiele aus dem Zusammenleben von Kindern und Eltern ein. Aber dass beispielsweise auch die Johannespassion mit Liebe zu tun hat, verstehe sogar ich als musikalisch ungebildeter Mensch. Ich höre es einfach. Liebe ist konkret und gegenwärtig, sie ist hier und jetzt. Und sie weckt ein großes, meist melancholisches Empfinden für das Vergehen der Zeit. Alles ist nur einmal, nur jetzt, und dann nie wieder. Den Mut für die Offenheit erwerben wir durch diese Liebe.

Jeden Mittag auf dem Spielplatz brachte meine Tochter die Schaukel in Schwung. Erst als Zweijährige, dann als Vierjährige, dann als Sechsjährige ... Stolz ruft sie in den ersten Jahren ihrem Papa zu: Schau mal, wie hoch ich fliegen kann. Später fliegt sie noch höher, und manchmal schaut man schon gar nicht mehr hin. Man kennt das ja schon. Und wieder wenige Jahre später läuft man an eben diesem Spielplatz vorbei, hört die Stimmen der Kinder und die Rufe der Mütter. Manchmal ist ein Vater dazwischen, und dann steckt es wie ein Kloß im Hals. Eine kleine Erkenntnis drängt sich auf: Alles war nur einmal, vor sechs Jahren, vor vier Jahren - und jetzt nie wieder.

Auch solches Erinnern ist Liebe. Jedenfalls schaut man sein Kind, das inzwischen vielleicht eine dreizehnjährige zickig pubertierende Göre geworden ist, danach mit anderen Augen an. Gerade wegen dieser leisen Melancholie. Den trotzig verzogenen Mund, das charmant verlogene Betteln, wenn man sich als Vater beim Streit um die Discozeit am Samstag wieder mal leichter umstimmen lässt als die Mutter: Ich sehe auf einmal wieder unseren Spielplatz in dem Teenagerblick. Jeder Augenaufschlag, wahrscheinlich zigmal vor dem Spiegel ausprobiert, ist ein einziges Täuschungsmanöver, aber dahinter steht etwas ganz anderes, zum Beispiel unser Spielplatz und die vielen anderen gemeinsamen Stunden, die wir fast vergessen hätten. Noch in ihrer Trickserei und in Papas sentimental aufschwellendem Herz ist mehr als nur Schwäche oder Konfliktvermeidung oder sonst was psychologisch Erklärbares, nämlich Liebe.

Zuversicht kommt aus dem Mut

Zuversicht kommt aus dem Mut. Mut ist schwierig geworden, denn wir wissen heute weniger von der Zukunft. Aber dieser Blick auf die pubertierende Tochter, der Spielplatz, die Vergänglichkeit der Zeit: Sie sind es, die uns das Talent geben, unsere Kinder mit Zuversicht zu füttern. Jetzt und ganz konkret, ganz gegenwärtig.

Für die Juden war Zeit ein Element der Verheißung. Walter Benjamin hat es so zusammengefasst: "Die Juden sagen, heiligt die Zeit, denn jede Sekunde könnte die schmale Pforte sein, durch die der Messias tritt." Das meine ich mit Zuversicht.

Wie können Eltern, Lehrer, Erzieher bei den Kindern Vertrauen auf sich selbst und ihr Leben wecken? Gerade nicht durch Frühförderung und auch nicht dadurch, dass sie ihnen ständig im Nacken sitzen und ihr Leben in verplante, vernünftige Ziele verpacken: "Ohne Abitur wird man heute doch nichts mehr, lass uns für den nächsten Mathetest üben! " So nicht. So stiften sie keine Zuversicht. Bestenfalls gar nichts. Meist aber Angst.

Zuversicht hat mit Selbstliebe zu tun, jedenfalls bei Kindern, bei Jugendlichen auch. Die stiften wir Erwachsenen mit Unterbrechungen der Routine, mit ganz unvorbereiteten, fast zufälligen und deshalb ermutigenden Blicken. Manchmal mit Worten, die ausdrücken: Ich liebe dieses Kind. Man muss sie gar nicht aussprechen. Die Kleinen und auch die gar nicht mehr so Kleinen merken es schon. Und merken es sich. So werden sie stärker.

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