Arabische Wirte, türkische Grünhöker oder deutsche Autoschrauber

Sind Sie deutscher Staatsbürger? Dann nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit und stellen sich folgende Situation vor: Sie haben es extrem eilig. Wenn Sie den Zug nicht bekommen, zahlen Sie nicht nur einen grausamen Preisaufschlag auf die Billigfahrt, die Sie Narr vor Wochen in einem Anfall von Sparsamkeit gebucht haben, Sie werden auch nicht rechtzeitig zu der Verabredung kommen. Sie werden zu Recht als unzuverlässig eingestuft werden. Das private und berufliche Glück wird Ihnen durch die Lappen gehen. Noch sind es drei Minuten bis zur Abfahrt des Zuges, noch gibt es Chancen. Natürlich herrscht im Bahnhof ein Gewimmel wie noch nie. Sie laufen Slalom, hinter Ihnen die Flüche derer, die Sie anrempelten. Ihr schickstes Hemd ist bereits nassgeschwitzt. Sie ertappen sich bei gebetsähnlichen Gedanken und geloben den höheren Himmelsmächten, mit denen Sie es sonst nicht so haben, ein besserer, zumindest ein seine Zeit besser einteilender Mensch zu werden, wenn Sie den Zug schaffen. In diesem Zustand erreichen Sie die rettende Rolltreppe.

Eine tükische Großfamilie auf der Roltreppe - und oben steht ihr ICE

Doch nun die Katastrophe: Vor Ihnen eine türkische Großfamilie, kleine Kinder, dicke Kopftuchfrauen, knorrige Männer mit riesigen Gepäckstücken. Sie haben es oft in Ihrem Leben eilig gehabt, und oft stand eine Person ungerührt vor Ihnen in der Mitte der Rolltreppe und ignorierte mit dickem Hintern Ihre Eile. Aber irgendwie hatten Sie sich immer an solchen unbeweglichen Müßiggängern vorbeidrücken können. Das ist jetzt vollkommen ausgeschlossen. Die türkische Großfamilie bildet eine unüberwindliche Festung.

Jetzt die Testfrage: In diesem Augenblick existentieller Not, da Ihnen nichts anderes übrig bleibt, als 30 kostbare Sekunden zu völliger Untätigkeit verdammt sich unendlich langsam in die Höhe transportieren zu lassen, während sich oben am Bahnsteig vermutlich gerade die Türen des ICE schließen und der Zug sich ohne Sie in Bewegung setzt, geht Ihnen da nicht wie ein teuflischer Blitz der Gedanke durch den Kopf: Was hat diese verdammte Türkenbande hier zu suchen! Was verstopfen die unsere Rolltreppen! Ab nach Anatolien! Ihr seid schuld!

Die Gesinnungs-, Sprach- und Wissenstests, die sich die Innenminister für einbürgerungswillige Ausländer ausgedacht haben, sollen das Kunststück fertigbringen, Integration zu schaffen, Parallelgesellschaften zu verhindern und obendrein die Deutschen vor dem Aussterben wie vor einer Überfremdung zu bewahren. Die geplanten Prüfungen haben genügend Kritik, Spott und Empörung ausgelöst und sollen hier nicht diskutiert werden. Stattdessen kann man sie zum Anlass nehmen, sich selbst ein paar Fragen zum Umgang mit den Personen zu stellen, die man neuerdings gern "Menschen mit Migrationshintergrund" nennt.

Wünscht man sie in einer Stress-Situation wie in der oben geschilderten zum Teufel, hat man den Test als Bürger des Gastgeberlandes nicht bestanden. Die richtige Antwort wäre: Erstens bin ich selbst schuld, wenn ich so spät dran bin, zweitens kann mir eine türkische Großfamilie auf der Rolltreppe immer noch tausend Mal lieber sein als eine Gruppe originaldeutscher Skinheads, die einem den Weg ebenso versperren, aber im Gegensatz zu den Türken widerlich anzusehen und obendrein tatsächlich bedrohlich sind und leider nicht abgeschoben werden können. Das Kopftuch als penetrantes und auch verlogenes Symbol für die Frau als Dulderin mag ganz und gar nicht nach unserem Geschmack sein, die Glatze aber ist ein noch viel unausstehlicheres und hässlicheres Symbol, und eine wirkungsvolle Strafe für männliche abendländische Straftäter mit rechtsradikalem Hintergrund wäre die Auflage, nach der Entlassung aus der Haft ein Jahr lang ein weibliches morgenländisches Kopftuch tragen zu müssen.

Wenige spektakuläre Gewalttaten von Ausländern reichen aus, um gleich von einer gründlich misslungenen Integration zu sprechen und alle deutschen Menschenfresser und Kinderschänder zu vergessen. Nach dem Mord an Theo van Gogh 2004 in Holland tat sich die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel sofort mit der stimmungsvollen Behauptung hervor, Multikulti sei gescheitert. Der Aufstand der jugendlichen Pariser Vorortalgerier, Rabatz an Berliner Problemschulen und nicht zuletzt die infame Ermordung der unglücklichen Hatun Sürücü durch Mitglieder ihrer eigenen Familie, die den westlichen Lebensstil der jungen Frau nicht tolerieren wollten, treiben einem die Tränen in die Augen, lassen den Islam als rückständige Religion und seine Anhänger als unbelehrbare Fanatiker erscheinen, mit denen ein Zusammenleben nicht möglich ist.

Wer die multikulturelle Gesellschaft noch immer als praktizierbares Modell preist, wird mittlerweile als hoffnungsloser Schwärmer angesehen. Schon deswegen sollte man sich seine optimistische Vision nicht austreiben lassen, zumal ja Multikulti längst existiert und trotz Störungen auch funktioniert und durchaus floriert. Wer vier dürre Stengel folienverpackter Petersilie für einen Euro noch immer im deutschen Supermarkt kauft (die dann an der Kasse von einem errötenden Praktikanten falsch eingetippt werden, woraufhin der Filialleiter mit seinem Spezialschlüssel eine Stornierung vornehmen muss), dem ist nicht zu helfen. Integration heißt auch, das Angebot der Fremden auszunutzen und zum Einkaufen in einen türkischen oder libanesischen Laden zu gehen. Das ist keine grüne Schwärmerei, sondern ein reelles Vergnügen. Für einen Euro bekomme ich dort einen riesigen Strauß duftender Petersilie, und der orientalische Zahlvorgang ist auch angenehmer: Ahmed oder Mustafa ziehen ein dickes Bündel zusammengefalteter Euroscheine aus der Hosentasche, blättern es wie Spielgeld durch und ergänzen es um meinen Schein. Bei der Gelegenheit erscheinen seine Familienangehörigen und Mitarbeiter mit Geldforderungen und werden von dem gleichen Bündel mit ein paar arabischen Witzworten ausgezahlt. In diesem Bündel Geld steckt mehr Sinn und Leben und Verstand als in allen Kaufhaus-Kundenkarten.

Der schwarze Mann zückt den Schweißbrenner: "Wie neu" für 30 Euro

Autos kommen einen teurer als Petersilie. Drei Wochen vorher hatte ich auf einen Termin warten müssen, um dann von einem deutschen Werkstattmeister, der ein bedenkliches Chefarztgesicht aufsetzt, unter mein Auto geführt zu werden und zu erfahren, dass eine neue Auspuffanlage beziehungsweise 2000 Euro plus Mehrwertsteuer fällig werden. Zum Glück gibt es in jeder besseren deutschen Stadt in ausrangierten Gegenden Reparaturgaragen, die von Türken oder Arabern betrieben werden, oder, auch das ist kein Märchen, von netten jungen Sachsen, die Afrikaner beschäftigen. Unangemeldet erhält man Asyl. Wenn man mit einem Nigerianer sein rostiges Auto von unten besichtigt, lacht der schwarze Mann und zückt den Schweißbrenner. Nach fünfzehn Minuten will er 30 Euro haben. "Wie neu", sagt er beim Abschied, weil das Auto wieder leise läuft. Und diese zwei Worte Deutsch zählen mehr als alle Einbürgerungstests und Integrationsprogramme. Spätestens wenn der TÜV das Werk akzeptiert, wird einen die Ausländerliebe überwältigen und man begreift, dass ungeachtet aller Innenministerkonferenzen nicht zu viel, sondern noch viel zu wenige ­ und zu wenig farbige ­ Ausländer bei uns leben.

Trostlos wären Paris und London, würde das Straßenbild dort nur von Engländern und Franzosen bestimmt. Hildesheim hingegen ist trotz seiner Türken und seiner Studenten eine trostlose Stadt und könnte wohl nur mit einem reichen Zustrom von Indern, Filipinos und Senegalesen belebt werden. Neulich kam es dort am helllichten Tag vor einer roten Fußgängerampel zu einem Zusammenstoß mit Migrationshintergrund: Ein seit Jahren in dieser Stadt lebender türkischer Arbeiter und ein deutscher Student hatten Streit. Der Student, angeschlagen von der Spießigkeit der niedersächsischen Provinz, ballte die Hände zu Fäusten und fluchte: "Verdammtes Hildesheim!" Der Türke rügte ihn: "Hey, so spricht man nicht von seiner Stadt!" Das allerdings müssen die Ausländer bei uns noch lernen: Selbstkritik und Anfälle von Selbsthass gehören zur abendländischen Kultur.

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