Einiges haben die Kirchen von der Werbung gelernt
30.11.2010

Christen fischen Menschen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich die kostenfreien TV-Übertragungsrechte der Fußball-WM gesichert. Der Wurm muss den Fischen schmecken und nicht dem Angler. Die 17 000 Kirchengemeinden sollen nur ein paar EKD-Rahmenbedingungen ("Vorschläge") berücksichtigen, dann kann der Bildschirm flimmern. Ein Tor, wer nicht doppelgleisig denkt. Jeder Mensch, so zwinkert offiziell die EKD, brauche Seelsorge ­ auch die Fans und nicht nur die 22 Spieler auf dem Feld.

Was ist das? Greift die Kirche inzwischen zu ausgeklügelten Werbestrategien auf dem Niveau der kommerziellen Reklame? Installiert sie ein evangelisches Kundenbindungssystem und bemäntelt es mit einem sportlichen Großereignis? Nichts anderes ­ nur umgekehrt ­ tat jahrelang der italienische Pulloverproduzent Benetton. Er verschleierte seine Markenpropaganda mit moralisierenden Schockbildern auf Plakaten und in Anzeigen: Welterrettung durch den Kauf von Strickwaren. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten.

Führt Werbung zum Zerfall christlicher Werte? Manche Seelsorger befürchten es

Bei solcher Werbung ahnen nicht nur Protestanten Unheil. So meinte der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin Hein, man könne Werbung, je nach Blickwinkeln, gar als Kennzeichen einer neuheidnischen Religion verstehen, ihr Name: Konsum. Zentrale Gottheit dieser Religion sei das Geld, omnipräsent und omnipotent. Doch die Geschwätzigkeit der Werbung lasse Menschen verwirrt und desorientiert zurück. Das Christentum befinde sich im Verhältnis zur kommerziellen Werbung in einer ernstzunehmenden religiösen Konkurrenz.

Christentum und Werbung stehen scheinbar in einem gespannten Verhältnis zueinander. Geht es so weit, dass der Werbeslogan "Aus Liebe zum Automobil" als Wettbewerber um christliche Nächstenliebe zu sehen ist? Oder Werbung für einen Laptop ("Weil der Weg nach oben schon schwer genug ist") als hinderlich für den Glauben? Die Sorge mancher Seelsorger sitzt tiefer. Die Konsumgesellschaft, befeuert von der Reklame, locke die Gläubigen aus den Kirchen und fördere so den Zerfall christlicher Werte. Entsprechend schwinde der Einfluss der Kirchen. Also: Fernhalten vom Verderblichen? Die Spannungen zwischen den gefühlten evangelischen Nöten mit der Werbung und der heftigen Welt da draußen treiben manche Blüte. So wirbt ein Pfarrer bei Unternehmen in einer sächsischen Gemeinde mit einem Brief, in dem es unter anderem heißt: "Kirche darf nicht dem Trend des kommerziellen Marketings folgen, weil sie ja auch nichts verkaufen will." Ach ja? Und dann sagt er aber: "Wir bieten Ihnen die Möglichkeit, hier auf unseren gelb getönten Internetseiten für Ihre Firma zu werben."

Keinen Zweifel an seinem Gespür für die vielschichtigen Effekte kommerzieller Kommunikation und für deren Differenz zum Wertefeld der Kirche lässt indessen der Bischof Wolfgang Huber, Berlin. Er verteidigte ein Riesenplakat von Mercedes an der Marienkirche auf dem Alexanderplatz mit dem Hinweis: Es sei legitim, wenn Einnahmen aus dem Werbegeschäft durch Vergabe von Werbeflächen an Gotteshäusern die Sanierung solcher Gebäude mitfinanzierten. Die Werbung außen an der Kirche ändere ja nichts daran, dass es innen ausschließlich um Gottes Ehre gehe.

Was ist mit "Werbung" denn eigentlich gemeint? Der Begriff stammt vom Althochdeutschen hwerban, was so viel bedeutet wie sich drehen, sich umtun, sich bemühen. Die Sache aber ist älter. Werbung ist ein Urphänomen menschlicher Existenz. Wer macht nicht Werbung für sich selbst ­ zum Beispiel, wenn er sich bewirbt? Wer stellt seine Nachteile schon gleichermaßen ehrlich dar wie seine Vorzüge? Wer legt seine psychologische Bilanz vor? Wer will nicht andere überzeugen, beeinflussen? Wer betrachtet sein eigenes Passfoto nicht unter dem Aspekt, ob er darauf attraktiv erscheint?

Die Quelle dieses Verhaltens ist zutiefst human: Leben ist werben. Die Glocken läuten nicht sowieso, sondern gezielt. Auch Werbung für Zahnpasta, Textilien oder Käsesorten steht auf dem moralischen Fundament: Es ist nicht Aufgabe der Unternehmen, wie Sankt Martin den letzten Mantel zu teilen, sondern sich der Mantelproduktion und dessen Absatz zu widmen. So verschaffen sie den Menschen Arbeitsplätze und machen es ihnen möglich, sich einen Mantel zu kaufen. Die Moral des Produzierens und der Absatzpolitik hat weit mehr zur Überwindung von Armut getan, als alle Armenpflege oder Sozialhilfe.

Diese Leistung schließt Kritik an einzelnen Werbemaßnahmen von Firmen nicht aus. Da wirbt ein Bestattungsunternehmen in den USA mit dem Text: "Warum leben, wenn Sie schon für zehn Dollar beerdigt werden können?" Oder ein Kölner Fahrradhändler wirbt in einer Zeitungsanzeige mit einem Foto, das Angehörige eines afrikanischen Stammes zeigt. Die Männer waren nackt und mit ihren extrem vergrößerten Hodensäcken fotografiert worden. Die Überschrift: "Frohe Ostern! Wir haben noch ein paar Überraschungen, die übrig geblieben sind . . ." Das sind erfreulicherweise Randphänomene in der Werbung der Wirtschaft, nicht ihr Normalfall. Es sind schlimmstenfalls Werbehooligans. Zur Seriosität der Werbung gehören eher ihre positiven Effekte als Teil der volkswirtschaftlichen Produktivität: Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern, preis- und leistungsgerechte Produkte zu fördern, Druck auf die Inflation auszuüben und Medienvielfalt zu finanzieren.

Kritische Begleitung kommerzieller Werbung durch die Kirchen? Ja. Aber Berührungsängste, Vorurteile oder gar Verteufelung? Nein. Denn das vernebelt auch den Blick auf die Chancen, mit modernen Werbetechniken den Problemen der Kirche zu Leibe zu rücken. Und diese Probleme sind allenthalben mit Händen zu greifen: Schwund bei Kirchenmitgliedern, Gottesdienstbesuchern und Kirchensteuern; eine desolate Haushaltslage der Gemeinden und in der Folge geschlossene, verkaufte oder abgerissene Kirchengebäude. Der flehende Blick gen Himmel allein wird diese Probleme nicht beseitigen. Die Aufgaben sind hienieden auf Erden zu lösen. In der Sprache der kommerziellen Marketingstrategen formuliert: Das "Produkt" der christlichen Lehre, des Glaubens kann besser nicht sein. Aber die Vermarktung, mein Gott!

Der Werber rät: Herunter von der Kanzel, hinein in Busse und Bahnen!

Christliche Symbole halten die Aktualität der Religion im Bewusstsein der Gesellschaft. Warum sollte man sich also gegen die Verwendung solcher Symbole in der kommerziellen Werbung wehren? Was in der Öffentlichkeit vorkommt, gilt als aktuell; was nicht aktuell ist, kann in Akzeptanzproblemen versinken. Das Angebot der Kirchen sollte also lauten: Markenartikler, nehmt christliche Zeichen in eure Werbung hinein! Wir beraten euch dabei gern.Vorausgesetzt, religiöse Empfindungen werden nicht mit Füßen getreten. Dies geschah in einer Anzeige aus dem Feld der Telekommunikation: Eine Firma zeigte den leidenden Christus am Kreuz. Über dessen Kopf stand anstelle der Buchstaben INRI, "Jesus von Nazareth, König der Juden", die Nummer der Telefonauskunft. Daneben der Text: "So merkt sich ein Messdiener die billige Nummer der Auskunft." In solchen Fällen aber wirkt die schnelle Eingreiftruppe der Selbstdisziplin, der Deutsche Werberat in Berlin.

Warum mit der christlichen Botschaft nicht auf Plakate, Anzeigen und in Spots? Warum nicht von der kommerziellen Werbung lernen, wie man die eigenen Vorzüge lobt? Die Menschen sind heute offen für religiöse Fragen. Die Kirche könnte es wagen, in die Glut zu blasen, die unter der Asche einer vermeintlich unchristlichen Gegenwart schwelt. Herunter von der inneren Kanzel, hinein in Busse und Bahnen!

Pfarrer Wolfgang H. Weinrich, Projektleiter "Evangelisch aus gutem Grund" der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, sagt: "Kirche kann auf Werbung nicht mehr verzichten. Werbung übersetzt das Angebot der Kirche in die Zeit und ins Leben der Menschen dieser Tage." Recht hat er. Werbung erzeugt Schallwellen, mit denen die religiösen Saiten der Seelen in Schwingungen versetzt werden können.

"Kommt heraus. Denn draußen ist man schon drinnen", sagt der französische Philosoph André Glucksmann.

 

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