Brennen wie die Bilder von van Gogh
Bloß nicht zufrieden sein, sagt der Schauspieler. Immer weitersuchen, die Wand durchbrechen
Dirk von Nayhauß
07.10.2010

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

In meinem Beruf gibt es den Begriff der "vierten Wand", damit ist der Zuschauerraum gemeint. Ich finde es wunderbar, diese Wand zu durchbrechen und mitten zwischen den Zuschauern zu spielen. Ich habe das Gefühl, ich lerne mich selbst nur kennen und mache nur Erfahrungen des Lebendigseins, wenn ich diese Wand einreiße, auch jenseits des Theaters. Das heißt: Risiko im Gespräch, im Kontakt mit anderen, Spontaneität so viel wie möglich, das Abgeben von Kontrolle über Situationen.

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Unendlich viel. Von dem Kind Edgar Selge konnte man sicher lernen, die Welt absolut positiv und als ein Wunder zu sehen. Mir fällt eine Situation ein, wie ich mit einem Freund selbstvergessen einer Standuhr lauschte, die gerade schlug. Begeistert sagte ich zu ihm: "Musik! " Worauf er trocken antwortete: "Olle Ticktack! " Ich habe in solchen Momenten früh gespürt, dass ich anders bin als andere, ich konnte meine Begeisterung für die Welt immer schlechter mit anderen teilen. Das war schwierig.

An welchen Gott glauben Sie?

Ich habe das Gefühl, dass Sie mit dieser Frage etwas einengen, das zu groß ist. Da ich sprachlich empfindlich bin, käme es mir kitschig vor, wenn ich mich selbst sagen hörte: Ich glaube an eine Weltenseele. Wenn Buddhisten davon sprechen, kann ich das sehr ernst nehmen. Aber ich habe eine ganz starke Beziehung zu Bäumen, wenn ich Bäume anschaue, brauche ich über Gott nicht nachzudenken, das erübrigt sich dann.

Muss man den Tod fürchten?

Ich fürchte ihn, und ich würde ihn gerne irgendwann nicht mehr fürchten. Ich würde mich gern dem hingeben können, was das Alter mit uns macht, dass man schwächer wird und sich immer mehr zurückzieht. Ich habe das Sterben bei meinem jüngeren Bruder erlebt, ich war 23 Jahre alt, er 20. Er hatte eine Gefäßveränderung und ist in einem Krankenhaus langsam verreckt. Zunächst haben seine Nieren nicht funktioniert, dann sein Magen, seine Lunge, schließlich sein Gehirn. Unsere Eltern hatten schon einmal ein Kind verloren, 1949 hat ein Bruder von mir eine Handgranate entdeckt und geöffnet. Das zweite Kind zu verlieren, das war für meine Eltern kaum noch zu ertragen. So musste ich für sie vieles erledigen, ich musste - anstatt selbst zu trauern - andere schützen, das ist typisch für mein Leben. Ich habe in den Nächten oft bei meinem Bruder gesessen. Das Grauenvollste war, dass er wahnsinnigen Durst hatte, er aber nur alle halbe Stunde einen Teelöffel Tee bekommen durfte. Das ist mir unvergesslich. Andere haben ihm auch mehr gegeben. Ich nicht. Ich weiß nicht, ob ich mich damals richtig verhalten habe. Das war eine quälende Situation, aus der Sie kaum ohne Selbstvorwürfe herauskommen.

Wie viel Arbeit tut Ihnen gut?

Arbeit tut mir gut, nicht zu arbeiten tut mir nicht gut, und daran ist etwas faul. Wenn ich über Monate durcharbeite und dann Urlaub mache, bin ich nach drei Tagen krank, habe ich einen Hexenschuss oder etwas Ähnliches. Offensichtlich lasse ich in einer so extremen Weise los, dass das kein Körper und auch keine Psyche als Gegensatz aushalten. Dazwischen muss ich vermitteln, und das versuche ich gerade. Bis zu meinem 50. Lebensjahr war ich fest bei den Münchner Kammerspielen angestellt. Irgendwann wollte ich frei sein, um mir meine Rollen besser aussuchen zu können. Ich mache das jetzt seit mehr als zehn Jahren, und ich frage mich, ob ich noch einmal lerne, mit der Existenzangst umzugehen. Trotzdem bin ich 2009 aus dem "Polizeiruf" ausgestiegen. Ich habe mir mein Leben nicht so vorgestellt, dass ich mit einer Rolle eine Altersversicherung abschließe. Da habe ich andere Rosinen im Kopf. Es würde mich noch viel mehr beängstigen, wenn ich sagen würde: Ich muss den "Polizeiruf" weitermachen, damit ich abgesichert bin.

Sind Sie zufrieden?

Ich bin kein zufriedener Mensch, ich bin ein Suchender. Ich will auch nicht zufrieden sein, ich will brennen, so wie die Bilder von van Gogh. Ich will verbrennen für etwas, will diese großen Kräfte spüren, die in uns drin sind. Das ist kaum zu machen, ohne sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Ich bin ein sehr vorsichtiger Mensch, aber letztendlich will ich brennen, ich will auch irgendwann verbrennen.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Segelboot aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.