Wären Sarah und Ibrahim einfach Christen, dann gehörten sie in Syrien zu einer mehr oder weniger akzeptierten Minderheit. Aber die beiden sind konvertiert, vom Islam zum Christentum übergetreten. Das wird mit Ausgrenzung bestraft - und mit Argwohn, auch in den christlichen Gemeinden
07.10.2010

Von außen sieht das Haus aus wie ein Rohbau. Die Wände sind nicht verputzt, die Treppenstufen aus gegossenem Beton, überall gucken Kabel und Drähte aus der Wand. Licht gibt es nicht. Eine Frau mit kurzen, dunklen Haaren und einem rosa T-Shirt öffnet die schwere Wohnungstür. Während ihr Mann mit den Kindern und dem Gepäck nachkommt, holt sie Gläser und nimmt Orangensaft aus dem Kühlschrank. Fünf Stunden sind sie im überhitzten Bus gefahren - von dem kleinen Ort an der Küste über staubige Straßen zurück in die Großstadt. Nach einigen Tagen bei ihren Verwandten sieht Sarah erschöpft aus. "Sie verstehen mich nicht", sagt sie, "und meine Entscheidung erst recht nicht." Vor zehn Jahren ist Sarah konvertiert - vom Islam zum Christentum.

In Syrien ist dieser Schritt alles andere als leicht. Für Sarahs Familie bedeutete ihr neues Bekenntnis den Abfall vom wahren Glauben. Rund 85 Prozent der Syrer sind Muslime. Die Strengen unter ihnen würden Sarahs Entscheidung mit dem Tod bestrafen. Ihre Familie nicht - dennoch ist das Verhältnis seitdem angespannt. "Meine Kinder allein bei meinen Verwandten lassen? Kommt gar nicht infrage! " Mehr als einmal hätten ihre Eltern versucht, ihre Kinder zu beeinflussen. Seitdem kümmern sich Sarah und ihr Mann allein um alles. In einem Land, in dem familiäre Beziehungen in allen Bereichen des Lebens wichtig sind, bleiben Sarah und ihr Mann Ibrahim auf sich gestellt.

Jeden Morgen bringt Ibrahim die drei Kinder in den Kindergarten. Wenn er sich kein Auto leihen kann, nimmt er den Bus. Das bedeutet zwei Mal umsteigen und eine Dreiviertelstunde Fahrt, damit die Kinder einen christlichen Kindergarten besuchen können. Mittags geht es auf dieselbe Weise zurück. Ibrahim, der wie seine Frau im wirklichen Leben anders heißt, kann sich seine Zeit einteilen. Eine feste Arbeit hat er nicht. Während seine Frau ein kleines Gehalt mit nach Hause bringt, versucht er, die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten.

Kein Verständnis

Ibrahim hat im Ausland studiert. In dieser Zeit hat er nach dem Sinn des Lebens gesucht, nach Erfüllung. "Zwei Jahre lang habe ich jeden Tag den Koran gelesen, fünfmal gebetet und bin in die Moschee gegangen. Ich dachte, irgendwann kommt das Gefühl, Gott nah zu sein." Aber es kam nicht. Im Koran hat er viel über Jesus gelesen, der von den Muslimen als Prophet anerkannt wird. "Es hat mich fasziniert, wie er Kranke geheilt hat, wie er niemandem Leid angetan hat. Da wollte ich mehr über ihn erfahren." In der Bibel fand Ibrahim, wonach er gesucht hatte. "Als Muslim habe ich immer gedacht, ich muss stark sein, um Gott zu gefallen, und ihn durch meine Taten von mir überzeugen. In der Bibel habe ich gelernt, dass Gott uns annimmt, ganz so wie wir sind, sobald wir ein reines Gewissen haben."

Diese Erkenntnis wollte Ibrahim mit seiner Familie teilen, doch er stieß auf Unverständnis. Seine Eltern sind Alawiten. Sie sind Muslime, befolgen aber nicht streng alle Gesetze des Korans. Die Frauen tragen häufig kein Kopftuch, und viele trinken ab und zu Alkohol. Auch der syrische Präsident Bashar al-Assad ist Alawit. Während seiner Präsidentschaft und der seines Vaters, von dem er das Amt übernommen hat, haben viele Alawiten Karriere in Politik und Militär gemacht.

So auch Ibrahims Vater. Dass sein Sohn konvertiert ist, war für ihn eine persönliche Schmach. Mehrmals habe seine Familie versucht, ihn zum Umkehren zu bewegen, sagt Ibrahim. Als emotionaler Druck nicht mehr half, ließen sie ihre Kontakte spielen. Plötzlich erhielt Ibrahim kein Visum mehr, um sein Studium im Ausland zu beenden. Das Leben, das er in seiner Heimat aufzubauen versuchte, stand immer auf der Kippe. "Meine Eltern haben Verbindungen - auch zu Christen. Sie haben von Leuten aus meiner Gemeinde vertrauliche Informationen über mich bekommen, die sie gegen mich verwendet haben."

Über seine Zeit im Gefängnis schweigt er

Ibrahim sitzt auf dem Balkon, seine jüngste Tochter auf dem Schoß. Über ihm hängt ein selbst gebasteltes Kreuz aus stacheligem Draht, darin eingeflochten eine Lichterkette. Zwei Mal saß Ibrahim seit seiner Rückkehr nach Syrien im Gefängnis, aber niemals konnte ihm etwas Konkretes nachgewiesen werden. Seit 1963 gilt in Syrien der Ausnahmezustand. Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch kritisieren die Willkür der Sicherheitskräfte gegenüber Andersdenkenden. Dazu zählen auch Konvertiten.

Über seine Zeit im Gefängnis schweigt Ibrahim. "Arabische Männer erzählen so etwas nicht", sagt er, "das ist zu beschämend." Noch heute, sagt Ibrahim, wird er vom Geheimdienst beobachtet. Ein Festnetztelefon hat er daher nicht, auch keinen Internetzugang. Im Nebenzimmer klingelt das Handy. Aus Angst, auch darüber abgehört zu werden, lässt er es stets in einem anderen Raum. Der Anrufer ist Mahmud. Auch er hat zwei kleine Kinder, auch er ist konvertiert.

Zahlen über Konvertiten in Syrien gibtes nicht, sagt Friederike Weltzien. Die evangelische Pfarrerin hat neun Jahre die deutsche Gemeinde in der libanesischen Hauptstadt Beirut geleitet und war auch für das Nachbarland Syrien zuständig. Die meisten dieser Muslime gingen "heimlich, still und leise" in die christliche Gemeinde. Sobald das publik wird, wird es für sie heikel. "Im schlimmsten Fall endet es mit der Ermordung", sagt Pfarrerin Weltzien. Während ihrer Zeit in Beirut hat sie ein Netzwerk gegründet, das Frauen unterstützt und Ehrenmorde zu verhindern sucht. In Syrien sei die Lage "radikaler" als im Libanon, "weil dort weniger Christen leben."

Die Vorurteile der Christen

Im Libanon sind nach offiziellen Angaben 40 Prozent der Bevölkerung Christen, in Syrien ungefähr zehn Prozent. Sie werden vom syrischen Staat geschützt, und viele haben gute Jobs und Posten innerhalb der Gesellschaft. Für Muslime, die Christen geworden sind, gilt das jedoch nicht. Dabei ist es schwierig, von Konvertiten zu sprechen.

"Ich würde sie eher als Menschen bezeichnen, die Jesus nachfolgen", sagt eine deutsche Studentin in Damaskus. Ihren Namen möchte sie nicht nennen, weil sie niemanden gefährden will. Und weil sie später wieder nach Syrien einreisen möchte, ohne Probleme zu bekommen. Sie engagiert sich in einer syrischen evangelischen Gemeinde. "Wirklich konvertiert, also die Taufe empfangen, haben nur wenige, und wenn, dann nur heimlich", sagt sie. Etwa 20 "Nachfolger Jesu" kenne sie im Großraum Damaskus. Nicht alle besuchten ihre Gemeinde, und einige setzten nach dem Gottesdienst wieder das islamische Kopftuch auf.

"Als Konvertit ist es schwer, in einer christlichen Gemeinde angenommen zu werden", erzählt sie. Viele Christen haben Vorurteile gegenüber Muslimen - ob sie Jesus nachfolgen oder nicht. "Manche Christen fragen mich, wieso ich mich mit Muslimen treffe. Die seien doch schmutzig und unehrlich", erzählt die Studentin. Christen in Syrien wollen unter sich bleiben, schotten sich oft auch gegenüber anderen christlichen Konfessionen ab.

Beeindruckt von der Bibel

Wer als Muslim zum Christentum übertritt, rutscht ins gesellschaftliche Aus: Er gehört nicht mehr zu den Muslimen. Und nicht wirklich zu den Christen, für die sie immer Muslime bleiben. Deshalb treffen sich Konvertiten meist in Hauszirkeln, die untereinander nicht vernetzt sind. So lernten auch Ibrahim und Sarah ihren Freund Mahmud nicht in der Kirche, sondern im Kindergarten kennen.

Mahmud kommt aus einer streng muslimischen Familie. Die Gegend, in der er aufgewachsen ist, gilt als besonders konservativ. Mahmud passte sich an: Er las den Koran und stieß auf die Passagen über Jesus. "Eigentlich wollte ich mir selbst beweisen, dass Mohammed der bessere Prophet ist."

Er lieh sich eine Bibel aus. "Doch dann ließen mich Jesus' Taten nicht mehr los." Bei seinem ersten Besuch im Gottesdienst habe er sich angenommen gefühlt. "Am Ende stand der Pastor an der Tür und verabschiedete jeden persönlich. Auch mir gab er die Hand und sagte: , Komm wieder, wenn du magst.' Das war mir in der Moschee noch nie passiert."

Seine Mutter schützte ihn

Irgendwann konnte Mahmud sich nicht mehr vor seinen engsten Familienangehörigen verstecken. Der Bruder und sein Onkel stellten ihm ein Ultimatum: "Entweder du kehrst binnen einer Woche zum wahren Glauben zurück, oder du stirbst im Namen der Familienehre." Seine Mutter stellte sich schützend vor ihn. Das Wort der Familienältesten hatte Gewicht. "Wenn mein Vater noch gelebt hätte, wäre es vielleicht anders ausgegangen", sagt Mahmud. Heute ist er mit einer Christin verheiratet. Sie kennt die Spannungen zwischen den Religionen nur zu gut.

Ihre Mutter ist eine Christin, ihr Vater ein Muslim. Sie ließen sich scheiden, weil die Mutter nicht zum Islam übertreten wollte. Inzwischen ist der Kontakt zu Mahmuds Familie wieder gut. "Morgen fahren wir die Oma besuchen", ruft er und wirft seiner Tochter einen Luftballon zu. Sie fängt ihn lachend auf und läuft zu den anderen Mädchen, die mit ihr Geburtstag feiern. Anders als bei Ibrahim gibt es kaum christliche Symbole in der Wohnung. Nur am Kühlschrank haftet ein Magnet, auf dem in blauen Buchstaben "Jesus" steht. Und anders als bei Ibrahim weiß außerhalb der Familie niemand, dass Mahmud konvertiert ist.

Kollegen tuschelten

"Auf der Arbeit sind einige zwar verwundert, wenn ich im Ramadan nicht faste, aber längst nicht alle Muslime halten sich daran." Seit ein paar Jahren muss er genauer aufpassen. In seiner Firma wird der Ruf des Muezzins zwar noch nicht über Lautsprecher übertragen, "aber jeder weiß, welche Kollegen die muslimischen Gebete einhalten." Große Firmen haben inzwischen einen Raum als Moschee eingerichtet, damit Angestellte dort beten können.

Ibrahim hat immer wieder in solchen Unternehmen gearbeitet. Einmal kündigte ihm ein Vorgesetzter: "Die Kreuzritter konnten wir schlagen, aber du führst ihren Kampf weiter." In der nächsten Firma hörte er auf dem Flur die Sekretärin über ihn tuscheln. Sie erzählte anderen, er sei ein Konvertit. "Ich weiß nicht, woher sie das hat", sagt Ibrahim. "Meine Geschichte kommt immer mit mir an." Dann beginne das Mobbing.

Seit Ibrahims Vater im Ruhestand ist, hat sich das Verhältnis zur Familie entspannt. "Er muss vor den anderen Generälen nicht mehr sein Gesicht wahren, und er kann wieder auf mich zugehen." Ob er und Sarah bereuen, konvertiert zu sein? Nein. "Ich finde in der Bibel eine große Freiheit, Trost und Geborgenheit. Aber vielleicht würde ich nicht wieder allen davon erzählen."

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