Was ist Erlösung?
Frei zu sein, innerlich wie äußerlich, das ist eine der großen Hoffnungen der Menschen. Man kann es allein versuchen. Aber das wird manchmal schwierig
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
07.10.2010

Endlich frei sein! Davon träumten die Israeliten, die jahrhundertelang in Knechtschaft in Ägypten gelebt hatten, bis sie dann, vermutlich im 13. Jahrhundert vor Christus, endlich loszogen, um eine neue Heimat zu finden. Dieser Exodus, dieser Auszug, ist für Juden die zentrale Erfahrung in ihrer religiösen Tradition. Und sie spielt auch im Christentum, zum Beispiel in der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung, bis heute eine große Rolle.

Knechtschaft und Sklaverei: Aus diesen Lebenserfahrungen kommt die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Erlösung. Ein Sklave wird von seinem "Löser" gegen Geld freigekauft. Davon zu unterscheiden ist ein Freikauf, eine "Lösung" nach dem jüdischen Sakralrecht: Da Gott die Israeliten aus Ägypten dadurch befreit hatte, dass er unter anderem die erstgeborenen Söhne der Ägypter getötet hatte, schulden die Israeliten ihm ein Lösegeld für ihre eigenen Erstgeborenen. Deren Leben gehört nach der Vorstellung der Juden Gott, sie kaufen mit einem Lösegeld ihre Söhne von Gott frei (2. Buch Mose, 13,15).

Für viele Christen hingegen steht der Kreuzestod Jesu als die Erlösungstat im Vordergrund. Weit verbreitet, theologisch aber sehr umstritten ist die theologische Auffassung, dass Gott den Tod seines Sohnes als Sühneopfer für die Sünden der Menschen gefordert hat. Der Tod Jesu sollte Gott demnach Genugtuung verschaffen, die Menschen mit ihm wieder versöhnen.

Fesseln öffnen sich - bei der Befreiung vom Faschismus und von der Apartheid

Theologisch fragwürdig ist diese logische Verknüpfung, weil es doch gerade Jesus selbst war, der immer wieder die Liebe und Versöhnungsbereitschaft Gottes und nicht etwa seine Forderung nach Sühne betont hat. Vor allem der Schweizer Theologe Karl Barth hat den Gedanken der Versöhnung betont: die Versöhnung des Menschen mit sich selbst, mit den Mitmenschen und vor allem mit Gott.

Aber immer wieder geht es beim Stichwort Erlösung um die Freiheit. Lähmende Fesseln und innere Blockaden, die Menschen zu schaffen machten, fallen von ihnen ab. Durch eigene Kraft oder durch die Hilfe anderer öffnen sich Fesseln: zum Beispiel bei der Befreiung vom Faschismus oder von der Apartheid. Auch die von den amerikanischen Freikirchen angestoßene Aufhebung der Sklaverei gehört dazu eine Befreiung nicht nur der Sklaven aus ihrer Lage, sondern auch der Kirchen und der ganzen Gesellschaft von einer Last historischen Ausmaßes.

Und wo kommt da Gott ins Spiel? Nach den Verheißungen der Bibel gilt: "Gott wird abwischen alle Tränen von ihren (der Menschen) Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird sein" (Offenbarung 21,4). Michael Welker, Heidelberger Theologieprofessor, beschreibt Erlösung als "unverbrüchliche, unbehinderte Gemeinschaft mit Gott". Es geht nicht um einen allmächtigen Gott, der mit rascher, geübter Hand seine hilflosen Geschöpfe mal eben aus dem Schlamassel zieht. Er begibt sich vielmehr ganz und gar in ihre Lebenslage hinein und ist bei ihnen.

Es ist die Nähe des anderen, die Veränderungen möglich macht

"So wahr es ist, dass Gott selbst in die Hände der Räuber gefallen ist in allen Gestalten der Armut, die sich auf der Welt herumtreiben, so wahr ist - ich behaupte es, und ich verlange es! - dass Gott alle Wunden heilen und die Toten erwecken wird. Ich setze darauf, und ich kümmere mich nicht darum, dass ich die Wette verlieren kann." Das ist von Fulbert Steffensky, dem evangelischen Theologen, kühn formuliert. Er weiß aber auch: Nur zu hoffen ist zu wenig. Man muss auch etwas tun.

Vielleicht hat diese Hoffnung auf Befreiung eine gewisse Ähnlichkeit mit der Liebe zweier Menschen. Die Nähe des anderen verändert alles. Sie wundern sich: Der andere scheint mehr in mir zu sehen als ich selbst. Bin ich tatsächlich so liebenswert, so wertvoll, wie seine Blicke, Worte, Berührungen ausdrücken? "Deine Arme halten mehr, als ich bin", schrieb einmal der österreichische Dichter Ernst Jandl in einem Liebesgedicht. Es ist, religiös gesprochen, eine Nähe, die Veränderungen möglich macht. Diese Veränderungen sind Realität und Hoffnung zugleich, und auf jeden Fall mehr als das, was man selbst "machen", inszenieren kann.

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