Und staunt, was sie alles schaffen kann.
Tim Wegner
07.10.2010

Der erste Tag an der Hochschule ­ meine Güte! Die anderen Studierenden sind alle so jung, wie meine Kinder. Und sie siezten mich. Ich sagte dann immer: "Du darfst mich gern duzen, ich bin Ulrike." Wenn ich in der Mensa mit meinem Tablett komme, rufen sie: "Setz dich doch zu uns!" Sie laden mich sogar zu ihren Partys ein­ ich geh natürlich nicht hin. Ich zieh mich jetzt auch wieder so an wie immer. Auch durch noch so viel Jeans und Schluri-Look kann ich nicht ändern, dass ich älter bin. Und sie mögen mich. Es kommt nur nicht gut an, wenn Ältere meinen, sie wüssten schon alles. Schließlich machen wir alle dasselbe.

Ich bin aber nicht disziplinierter

Einen Unterschied gibt es allerdings schon: Ich studiere bewusst effizient, weil ich nach sechs Semestern fertig sein will. In den Semesterferien habe ich schon gut für meine Abschlussarbeit vorgearbeitet ­ über schülerorientierte Zugänge zu Mozart in der Hauptschule. Die Jungen dagegen haben ihre Beziehungskrisen, müssen auch mal mitten im Semester umziehen und überlegen, wo der Cappuccino nur einen Euro kostet. Sie machen natürlich auch viel Party. Ich bin aber nicht disziplinierter als sie, nur in Musik übe ich richtig viel. Weil ich es einfach klasse finde, so guten und dazu noch kostenlosen Unterricht zu kriegen ­ in Gesang, Klavier, Dirigieren... Da ärgert es mich schon, wenn eine Studentin sagt: "Pfff, ich hab nicht geübt."

Ich hatte die ganzen Jahre solch ein Bedürfnis, was Richtiges zu lernen! Das erste Kind bekam ich schon mit 20, mit 30 hatte ich vier. Wenn ich auf Klassentreffen erzählte, was ich mache, hieß es: Du hast doch so ein gutes Abitur! So nach dem Motto: Die macht nichts aus ihrem Leben. Irgendwann wurde mir klar: Hoppla, ich hab da was verpasst, nämlich meinen eigenen Beruf.

Ich fand Erziehung spannend, aber dieser ganze Orga-Kram für vier Kinder hat mich viel gekostet. Manche gehen ja darin auf. Aber ich war unzufrieden, ich fühlte mich in einer Sackgasse. Auch in meiner Ehe kriselte es. Wir haben manches Mal über Trennung gesprochen.

Es war alles nett, aber mir war es zu wenig

Mit 30 machte ich dann wenigstens ein paar Blockseminare, um stundenweise an der Jugendmusikschule zu unterrichten. Viele in meinem Umfeld haben nicht verstanden, warum ich mein Leben nicht ewig so weiterführen wollte. Flötenlehrerin, die Kinderchöre, im Kirchengemeinderat aktiv ­ was will die eigentlich mehr? Es war alles nett, aber mir war es zu wenig. Ich wollte mich unbedingt weiterentwickeln! Lehrerin, das wär toll, dachte ich, Musik, Deutsch und Religion an der Hauptschule.

Aber die pädagogischen Hochschulen waren alle sehr weit weg. Bis eine Freundin sagte: "Jetzt probier es doch wenigstens mal, ob du nicht den Stundenplan auf drei Tage legen kannst! Deine 13-Jährige geht dann zu einer Tagespflegemutter, und du fährst die 100 Kilometer bis Freiburg." Und es geht! Wir teilen uns die Hausarbeit, auch mein Mann kocht, wäscht, kauft ein. Zuerst hat er Karriere gemacht, jetzt will ich durchstarten.

Was im Studium alles von mir erwartet wird!

Der erste Tag allerdings hat mich erschlagen. Was im Studium alles von mir erwartet wird! Fachlich, aber auch dass man Referate mit Powerpoint vortragen soll. Abends dachte ich: Das schaffe ich nie! Aber das geht allen so. In Erziehungswissenschaften bin ich gleich durch eine Prüfung gerasselt. Ich saß heulend zu Hause. Es lag einfach daran, dass ich nicht strukturiert gelernt hatte. Danach bin ich auch durch sehr anspruchsvolle Klausuren gekommen. Und am Semesterende denke ich jedes Mal: Ich hab was geschafft!

Früher war ich nur zufrieden, wenn sich die Lehrer lobend über meine Kinder geäußert haben, vor allem, wenn sie sich sozial verhalten haben. Mein Mann sagt heute: "Ich hätte dir damals viel mehr zurückmelden sollen, dass es toll war, was du hier gemacht hast." Aus den Krisen sind wir raus. Manchmal staune ich darüber, dass man sich zusammen noch mal so verändern kann.

 

Protokoll: Christine Holch

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