07.10.2010

Ich habe mir nie vorstellen können, dass mich das betrifft. Drogen, so was kam nicht vor in meinem Leben, nicht in der Familie, nicht bei Freunden. Deshalb konnte ich lang nicht glauben, dass mein Sohn da reingerutscht ist. Sicher, vieles war mir nicht geheuer, aber in der Pubertät kann man ja so einiges erleben. Seit er runter musste vom Gymnasium, kam er mit neuen Freunden an, ganze Nachmittage dösten die hier vor sich hin. Dann flog auf, dass er die Lehre schwänzte. Meine Angst wuchs, als ihn seine große Liebe verließ. Nie habe ich jemanden so weinen sehen. Er war wie gelähmt. Da hat er wohl begonnen, sich so richtig zu betäuben.

 Ab und an Haschisch ist doch nicht schlimm

Ja, er rauche ab und an Haschisch, gestand er irgendwann, ist doch nicht schlimm. Lange bin ich mit seiner Sucht so umgegangen, als würde man dem Kind das Nägelkauen verbieten: Man schimpft eben. Dabei hatte mein Sohn längst die Kontrolle verloren. Wenn ich von der Arbeit kam, stand er gerade auf. Manchmal habe ich sein ganzes Leben organisiert. Zähneputzen, Termine einhalten - zu allem habe ich ihn geführt. Ich ertrug seine Ziellosigkeit nicht, dass er seine Potenziale nicht nutzte. Er gehört auf die Hochschule, haben viele gesagt. Bei der Drogenberatung waren wir, zur Entgiftung, und auch schöne Sachen haben wir unternommen. So oft hat er beteuert, er will den Scheiß jetzt sein lassen. Aber immer wieder kam ein Absturz, jedes Mal ging es tiefer bergab. Zuletzt, da hatte ich meinen Lebensgefährten geheiratet, klaute er was von unseren Hochzeitsgeschenken. Da hatte ich das Gefühl, wir müssen uns jetzt vor ihm schützen.

Mein Mann wollte ihn vor die Wahl stellen: Entweder noch mal eine Entgiftung, und zwar stationär und mit anschließender professioneller Betreuung, oder er soll ausziehen. Erst sagte ich: Das eigene Kind auf die Straße schicken, niemals! Aber ich musste mir eingestehen: Es geht nicht anders, zumindest wenn ich, wenn wir nicht auf der Strecke bleiben wollen. Trotzdem war ich schockiert, als mein Sohn sagte: Ja, ich gehe, ihr könnt mir nicht helfen, so sehr ihr das wollt. Er gab den Schlüssel ab und ging zu einem Freund. Abgesprochen war: Er kann jederzeit kommen, aber nur zu Besuch. 20 war er da.

Die ersten zwei Wochen in sein Zimmer zu gehen, das war das schlimmste Gefühl in meinem Leben, das war wie sterben. Aber ich war endlich wieder gern in der Wohnung. Dass die Schuldgefühle so schnell nachließen, hat mich überrascht. Wie hatte ich zuvor gegrübelt, was ich nur falsch gemacht habe! Als ich jahrelang allein mit den Kindern war, habe ich oft zwei Jobs gemacht, um ihnen etwas bieten zu können. Hatte ich zu wenig Zeit für sie? Einmal erzählte ich ihnen von meinem Zweifel. Aber nein, sagte mein Sohn, du hast alles für uns getan, du bist unser Vorbild.

"Sie können Ihr Kind nicht retten"

Es war schwere Arbeit, bis ich begriff: Ich habe nicht alles in der Hand. "Sie können Ihr Kind nicht retten", sagte die Leiterin der Selbsthilfegruppe, wo wir kurz nach dem Auszug hingingen. Man hat dort unser Vorgehen bestätigt. Seitdem schaue ich anders auf die Dinge. Ich sehe, dass ich meinem Sohn früher zu viel abgenommen habe. Weil ich viel für ihn erreichen wollte, habe ich ihn wohl auch gegängelt. Ich kann deinen Ansprüchen nicht gerecht werden, hat er mal gesagt. In der Schule funktioniert meine Art, da kann ich viel bewegen. Doch auch für mich gilt: Zu Hause ist der Lehrer der schlechteste Pädagoge.

Ein halbes Jahr ist mein Sohn jetzt weg. Zwischendurch lebte er mal auf der Straße, da kam er ab und an zum Duschen und Essen. Geld geben wir ihm keins, nur sein Handykonto laden wir regelmäßig auf, damit er uns immer erreichen kann. Viel weiß ich nicht von ihm, außer dass er gerade in einer betreuten Einrichtung ist und viele Dinge selbst geregelt hat. Natürlich bin ich neugierig, aber ich will ihn nicht mehr so ausquetschen. Manchmal schicke ich ihm eine SMS. Meist kommt nichts zurück. Was nicht ist, ist eben nicht. Und ich weiß ja, er wird seinen Weg machen. Das habe ich ihm immer gesagt: Wir glauben an dich. Ich hoffe, er spürt das.

Protokoll: Bernd Schüler

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