Förderer der jüdischen Emanzipation
Der große jüdische Aufklärer warb bei seinen Glaubensgenossen um Offenheit im Kopf und im Herzen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
07.10.2010

Jude zu sein in der Mitte des 18. Jahrhunderts, das war ein Leben voller Begrenzungen. In Berlin mochte es zwar freier zugehen als in Prag oder Krakau, doch auch in Preußens Hauptstadt hatten Juden jeden Tag unter Spott und Anfeindungen, gesellschaftlicher Ächtung und Rechtsunsicherheit zu leiden. Viele zogen sich deshalb in den Binnenraum ihrer Religionsgemeinschaft zurück. Die Frommen, Orthodoxen, bewegten sich möglichst nur unter ihresgleichen und in der jüdischen Gemeinde. Die Lektüre deutscher Bücher war vielen verpönt, sie vernachlässigten die weltliche Bildung.

Einer der Berliner Juden, die mit Geschick und Ausdauer gegen die äußeren Zwänge wie auch gegen die selbst gesetzten Grenzen im Denken anrannten, war Moses Mendelssohn. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend und getrieben von einem unglaublichen Bildungswillen, war er mit seiner Familie in jungen Jahren von Dessau nach Berlin gekommen. Hier lernt er zunächst, was vielen anderen Juden fremd blieb: Sprachen. Dann stürzt er sich auf Literatur und Philosophie. Der englische Frühaufklärer John Locke, Vordenker religiöser Toleranz, übt auf ihn eine große Faszination aus. Das deutsche Judentum, so ist allenthalben zu spüren, steht vor großen Veränderungen. Und eine ihrer Triebfedern: Moses Mendelssohn.

Er ist klein von Gestalt und durch einen Buckel entstellt. Doch seine Augen leuchten, sein Geist wendet sich offen anderen Menschen zu. Mit seiner Begeisterung für große Ideen steckt er seine Mitmenschen an. Seit dem 25. Lebensjahr ist er befreundet mit dem Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing, der ihm später in der Bühnenfigur Nathans des Weisen ein literarisches Denkmal setzt. Zwei der wichtigsten Lebensmotive Mendelssohns stehen auch dort im Zentrum: religiöse Toleranz, konsequent gepaart mit religiöser Bodenhaftung.

Der Vordenker der Judenemanzipation besitzt, anders als viele vermögende Juden, nur eingeschränkte Bürgerrechte, als Buchhalter und späterer Leiter einer Seidenfabrik ist er lediglich und nur aus diesem Grund in Berlin geduldet. Auch in seinem Büro dort treibt Mendelssohn philosophische Studien, empfängt Denker aus allen Ländern. Seit der Veröffentlichung von "Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele" ist er berühmt, kann sich vor Besuchern kaum noch retten. Doch trotz all seines Erfolgs als Dichter und Denker und auch als Unternehmer ist an ihm nichts Spielerisches. Er kämpft hart um seine Ziele: die rechtliche Aufwertung der Juden ebenso wie die Bereitschaft seiner Glaubensgenossen, sich gesellschaftlich zu integrieren.

Unter dem als Aufklärer gelobten König Friedrich II. gelten noch strengere Judengesetze als unter dessen Vater. Ein Edikt schreibt den meisten jüdischen Familien den Kauf von Porzellan vor: bei der Geburt des ersten Kindes für 300 Taler, bei weiteren Kindern für 500 Taler. Das Aufenthaltsrecht ist voller Restriktionen. Friedrich ver hindert selbstherrlich die Aufnahme Mendelssohns in die Akademie der Wissenschaften.

Nicht leicht, unter solchen Bedingungen in der jüdischen Gemeinde für mehr Offenheit zu werben. Es gibt Dauerstreit mit dem jüdischen Rabbinat, denn Mendelssohn hat sich vorgenommen, die fünf Bücher Mose ins Deutsche zu übersetzen. Das trägt ihm später zwar das Kompliment ein, "der jüdische Luther" zu sein, doch er erntet bitterböse Kritik. Mendelssohn, der die Vorbehalte vieler Juden gegenüber der deutschen Sprache vor Augen hat, wählt einen ungewöhnlichen Weg: Er übersetzt zwar ins Deutsche, aber schreibt die Sätze in hebräischen Buchstaben nieder. Daneben stellt er umfangreiche Kommentare. So versuchte er, die Denkbarrieren zwischen den Juden und der Mehrheitsgesellschaft zu überwinden.

Zwar bleibt der große publizistische Erfolg aus, denn gerade den Frommen war das ausgefeilte Deutsch Mendelssohns schwer verständlich. Aber seine Verdienste bleiben beachtlich: Ohne ihn wäre die jüdische Emanzipation nicht so schnell gekommen, wohl auch nicht die Einsicht, dass religiöse Toleranz aktives Interesse am anderen erfordert.

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