Wandel muss sein, aber er gelingt nicht immer. Die Besten kündigen und die Nerven liegen blank. Kann man das besser machen?
Tim Wegner
07.10.2010

Spätabends brennt noch Licht in der Chefetage. Fremde Leute mit Aktenkoffern gehen ein und aus. Was ist da los? Die Angestellten wissen es nicht. Aber alles spricht dafür, dass sich der Geschäftsführer für die "Strategie Bombenwurf" entschieden hat. Eine beliebte Strategie, wenn man einen raschen Wandel will.

 "Strategie Bombenwurf" 

Endlich tritt der Chef vor die Belegschaft. Von tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft redet er, von ganz neuen Herausforderungen für die Firma. Jetzt müsse man "die Muskeln spannen" und neue Strukturen schaffen. Darum habe sich die Führungsebene zusammen mit Beratern in den letzten Wochen intensiv bemüht. "Und nun", ruft der Chef, "wollen wir mit Zuversicht in die Zukunft schauen! " Er legt eine Folie auf den Overheadprojektor: die neue Organisationsstruktur. Er hat die "Bombe" geworfen. Manche hat es nach oben geschleudert, andere wurden verschüttet, einige sind "tot" - ihre Position ist verschwunden.

So kann man's machen, aber führt es auch zum Erfolg? Der Münchner Wirtschaftspsychologe Lutz von Rosenstiel weiß, wie das jetzt weitergeht: Die Leute machen erst halbherzig mit, dann kommt es zu Widerstand; immer neue Detailprobleme treten auf, der Plan wird nachgebessert, noch mal und noch mal. Wer nicht mitzieht, dem wird gedroht. Die Ersten gehen, oft die Besten. Andere verschränken die Arme vor der Brust: Das ist jetzt die fünfte Veränderung, ich glaub sowieso nicht mehr an den Sinn.

Das ist jetzt die fünfte Veränderung, ich glaub sowieso nicht mehr an den Sinn.

Offensichtlich kann man Organisationen nicht wie Maschinen sehen und Menschen nicht wie Rädchen, die man hier abschraubt und dort einsetzt, und dann laufen sie gerade so munter wie zuvor. Je nach Studie scheitern 60 bis 80 Prozent der Organisationen mit ihrer Veränderung ganz oder teilweise. Irgendwas läuft da schief.

Wandel gab es immer, doch seit Beginn der 90er Jahre wird öfter, schneller und umfassender umstrukturiert als in den Jahrzehnten davor. Hier werden Firmen fusioniert, dort gesplittet; da werden feste Stellen durch projektbezogene ersetzt, dort sollen Teams selbstständig am Markt operieren; und allerorten werden Profis durch weniger qualifizierte Kräfte ersetzt. Ob Familienbetrieb, Kindergarten oder Großkonzern, überall gilt: Hauptsache, es rechnet sich.

Es scheint sich aber nicht mehr zu rechnen. "Es gibt Signale, dass wir überzogen haben", sagt Rolf Haubl, Soziologe und Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt am Main. Die Arbeitsqualität leide, die Menschen litten. Rolf Haubl sorgt sich vor allem um die Leistungsbereiten - "die waren früher nicht erschöpft". Aber jetzt, denn sie versuchen, schlechtes Management durch Selbstausbeutung auszugleichen. Haubl weiß das, denn gerade hat er zusammen mit Günther Voß, Industrie- und Techniksoziologe der TU Chemnitz, die "psychosozialen Kosten turbulenter Veränderungen" untersucht. Wohlgemerkt: Es ging um die Veränderungen vor der aktuellen Krise.

"Die psychische Not in den Organisationen ist dramatisch."

Wurde Vertraulichkeit zugesichert, sagten hoch engagierte Angestellte Sätze wie diesen: "Wenn früher eine Kollegin ein Kind gekriegt hat, haben wir uns gefreut; heute schlagen wir die Hände über dem Kopf zusammen, weil wir ihre Arbeit mitübernehmen müssen." Oder: "O Gott, ich weiß überhaupt nicht, wie das weitergehen soll! " Eine Supervisorin fasst knapp zusammen: "Die psychische Not in den Organisationen ist dramatisch."

So weit wollte es Claus Eppmann nicht kommen lassen. "Es geht nur mit den Menschen", sagt der Geschäftsführer des evangelischen Krankenhausträgers ProDiako. Eppmann ist kein geschniegelter BWL-Berater, sondern ein handfester 49-Jähriger. Gerade hat er in Bad Pyrmont ein katholisches und ein evangelisches Krankenhaus zusammengelegt, die Gebäude zu 70 Prozent neu- oder umgebaut und ein komplett anderes Betriebskonzept im Bathildiskrankenhaus mit seinen 291 Betten eingeführt. Das Ziel: weniger Kosten und trotzdem zufriedenere Patienten und Beschäftigte. Klingt unmöglich. Aber die Geschäftsführung scheint vieles richtig und nur weniges falsch gemacht zu haben, wenn man die Beschäftigten fragt.

Hannelore König etwa, eine muntere 41-Jährige. Sie eilt mit ihren roten Pantoletten über den lila und grün gestrichenen Flur voran und bittet in ihr Dienstzimmer. Zuletzt war die Krankenschwester Stationsleiterin. Dann kam der Umbruch. Der Anfang war schlimm: "Ich hatte richtig Existenzangst. Da war so eine Unruhe, viele schwarze Herren im Haus; dann hieß es, die Leitungsstruktur wird komplett aufgebrochen: Es gibt nur noch fünf Bereiche statt zehn Stationen, und man muss sich um die wenigen Leitungsstellen neu bewerben."

Trotz Angst und Unsicherheit, Hannelore König hielt stand, auch sonst wurde kaum eine Kollegin krank. "Man hat uns immer sehr früh informiert", sagt sie, "das sehe ich als Leistung und hohe Wertschätzung." So hält auch sie es als Abteilungsleiterin mit ihrem jetzt 27-köpfigen Team: Neues möglichst noch am gleichen Tag weitergeben, damit die Leute es nicht zuerst aus anderen Abteilungen erfahren.

Und sie wurde beteiligt: in Arbeitsgruppen eingebunden, zu sämtlichen Besprechungen mit den Oberärzten eingeladen. Zwar wurde die erste Vision eines zukunftsfähigen Krankenhauses "ganz oben" erdacht, doch was davon wie umgesetzt werden könnte, das baldowerten die Leitungen von Pflege, Ärzteschaft und Verwaltung aus. Dann testeten Pilotgruppen einzelne Varianten. Parallel gab es jede Menge Fortbildung. Und jederzeit durfte man sagen, was man davon hielt. "Die Auseinandersetzung war wirklich gewollt", sagt Hannelore König.

Kollegiale Beratung und Beteiligung

Am wichtigsten aber war ihr die "kollegiale Beratung" durch die Seelsorgerin, die auch Organisationsentwicklerin ist. Solche Begleitung - und zwar schon bevor die Veränderungen losgingen - hat sich das Haus einfach geleistet. Da konnte man Ärger loswerden, Ratlosigkeit, Verzweiflung. So wurde die Herausforderung nicht zur Überforderung. "Ich will hier eine richtige Coachingkultur", sagt Geschäftsführer Eppmann. Manche begriffen das immer noch als Makel, aber er selbst gönne sich solch begleitetes Nachdenken doch auch. "Denn der Fisch fängt immer am Kopf zu stinken an."

Doch dass "die Presse" ins Bathildiskrankenhaus reinguckt, dafür musste sich der Geschäftsführer erst einen Ruck geben. "Wir sind gerade in einer kribbeligen Phase." Alle hatten gedacht, wenn erst die schreckliche Umbauerei vorbei ist, wird alles gut. "Aber die Abläufe werden mit der neuen Organisation immer erst mal schlechter als vorher. Für bestimmt ein Jahr." Das nächste Mal will Eppmann das "noch deutlicher" sagen.

So kam es öfter zu Kollisionen zwischen Pflegepersonal und Ärzteschaft. Das muss man sich etwa so vorstellen: Eine Schwester steht beim Patienten am Bett und wechselt den Verband; guckt der Arzt ins Zimmer und fragt, wie denn "das Labor" ausgefallen sei und wo überhaupt die Röntgenbilder der anderen Patientin seien, ob sie nicht mal eben ...? Sagt die Schwester: Wie er sehe, sei sie gerade mit dem Patienten beschäftigt - die Laborbefunde finde er da vorn in der Akte, und die Röntgenbilder seien nicht ihr Job, die gehörten zum "Prozess" des Operateurs. Ja, wo sind wir denn hier, ärgert sich der Arzt, davon habe ich ja noch nie gehört! Ihr arbeitet nur noch gegen mich!

Doch die Krankenschwester hat recht. Sie soll nur noch das tun, wofür sie ausgebildet wurde und bezahlt wird: die Pflege. Alles drum herum - Patienten zum Röntgen bringen, Anrufe entgegennehmen, einer Patientin eine zweite Flasche Wasser bringen - übernehmen preiswertere Assistenzkräfte. Solch eine Entlastung von Organisatorischem gibt es auch für die Ärzte und Ärztinnen. All das ist gesagt worden, aber hat es auch jeder auf sich selbst bezogen? "Bei der nächsten Krankenhausfusion", sagt der Geschäftsführer, "werde ich die Ärzte noch früher einbinden."

Man kann jeden verstehen, der am liebsten das Weite suchen würde, wenn es heißt: "Wir arbeiten künftig prozessorientiert." Auch im Bathildiskrankenhaus waren die wenigsten Chefärzte gleich begeistert. Denn prozessorientiert heißt überall, ob im Krankenhaus oder in der Automobilindustrie: Man denkt die Arbeit nicht von den Abteilungen, sondern vom "Produkt" her; das Produkt steht im Zentrum, und darum herum gruppieren sich jeweils die, die gerade damit zu tun haben. Feste Bereiche werden aufgelöst. Das riecht nach Status- und Machtverlust.

Auch die "Königreiche" der Chefärzte sind perdu: die eigene Station, die eigene Ambulanz mit "meiner Ambulanzschwester". Stattdessen eine gemeinsame Ambulanz und ein "Chefarztflur". Praktisch für die Patienten, denn die Hälfte ist über 65 und hat mehrere Malaisen - sie können nun von Tür zu Tür wandern, von einer Arzthelferin durch den "Prozess" geleitet; die kümmert sich auch um die Akten. Erfolg: Die Chefärzte versorgen mehr Patienten. Leistungsverdichtung nennt man das, aber, so hofft Geschäftsführer Eppmann, eben nicht auf Kosten des Einzelnen.

Großer Ärger entzündet sich an Kleinigkeiten, typisch für Umstrukturierungen

Dass sich dafür großer Ärger an Kleinigkeiten entzündete, ist wohl typisch für Umstrukturierungen. So schön hatte sich das die Leitung ausgedacht: farbige Spinde auf Station statt wie früher im düsteren Keller - nur nicht mehr für jeden dauerhaft ein eigener. Ein Aufschrei bei Ärzten wie Pflegenden: "Jetzt nehmen die uns auch noch unsere Spinde weg! " Claus Eppmann seufzt ein wenig, aber er würde nie sagen, dass die Mitarbeiter veränderungsunwillig seien. Nein, es habe ihn beeindruckt, wie sie mitgezogen haben, inklusive der Mitarbeitervertretung.

Doch viele Manager haben einen anderen Eindruck von ihren Untergebenen: Fast 50 Prozent seien veränderungsunwillig, geradezu "Bremser", meinten die befragten Führungskräfte in einer Studie des Arbeits- und Industriesoziologen Rainer Trinczek. "Aber diese 50 Prozent Bremser sind ein selbst produziertes Problem", sagt Trinczek. Das fange schon mit dem "Begeisterungszwang" an, den Chefs gern auf die Beschäftigten ausübten: "Hej, das ist so ein super Konzept", sagen sie und sind enttäuscht, wenn die Belegschaft nicht mitjubelt. "Manager interpretieren die ganz normale Skepsis angesichts eines Wandels als Widerstand."

Hinter Bedenken steckt meist ein Sinn

Ganz normale Skepsis, die man ernst nehmen sollte. "Denn hinter den Bedenken steckt meist ein Sinn", meint die Supervisorin Brigitte Hausinger, die zum Beispiel Banken oder Altenheime, begleitet. Sie rät, einfach mal zu fragen: Worüber genau jammern Sie? Und: Wie würden Sie es machen? Vor allem am Anfang brauche man Zeit. Manchmal müsse man sogar 20 Jahre schlechter Erfahrung mit Veränderungen aufarbeiten. Das sei wichtig, denn sonst entstehe eine starke Konfrontation, hier die Veränderer, natürlich immer positiv gesehen, dort die Bewahrer. "Man braucht aber beide."

Aber auch eine sorgfältig begleitete Reorganisation schlaucht. Im Bathildiskrankenhaus sagen die Beschäftigten: "Es hat mich viel Kraft gekostet, auch die Familie hat gelitten." Oder: "Ich bin ein wenig geschwächt und empfindlich." Nach dem Umzug banden sich die Führungskräfte Schürzen um und buken Waffeln für die Belegschaft; und nach der Einführung des neuen Betriebskonzepts gab es ein großes Fest im Schloss. Als Dankeschön.

Ende gut, alles gut? Nein, denn es ist unklar, ob all die Anstrengung das Krankenhaus tatsächlich auf Dauer sichert. "Wie soll ich den Mitarbeitern vermitteln, dass wir tolle Arbeit machen, aber dass die Politik die Krankenhäuser für zu teuer hält, für grottenschlecht?", sagt Geschäftsführer Eppmann. "Mich zerreißt das fast." Dagegen die Autobauer, die erfahren Wertschätzung als gesellschaftlich wichtiges Rädchen, die kriegen einen Schirm!

Doch unter einem Schutzschirm fühlen sich die rund 7600 Beschäftigten beim Automobilzulieferer ZF Sachs in Schweinfurt keineswegs. ZF Sachs bedient vor allem das "Premiumsegment", und da verführt die Abwrackprämie nicht zu mehr Autokäufen. Also Kurzarbeit. Dabei steckt man noch mittendrin in einer umfangreichen Veränderung, und sie wollen doch beides "beim Sachs": Wettbewerbsfähigkeit und humanisierte Arbeitswelt!

"Wir müssen das schaffen. Sonst sterben wir in Schönheit"

Lang warb die Firma mit dem Slogan "Fichtel & Sachs - die Erfinder AG". Und erfinderisch sind sie noch immer, so bauen sie gerade als Erste in Europa einen umweltschonenden Hybridantrieb in Serie. Sachs ist bekannt wegen seiner raffinierten Kupplungen und Dämpfer für teure Autos. Aber man braucht auch das "normale Massengeschäft", für die Grundauslastung. Und sie haben festgestellt: Sie können es nicht so, dass sie mit hohen Umsätzen auch entsprechend hohen Gewinn machen. "Wir müssen das schaffen. Sonst sterben wir in Schönheit", sagt Klaus Mertens, er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Betriebsrats.

Auch bei ZF Sachs prüft man mittlerweile weniger die Effizienz des einzelnen Arbeitsplatzes als die der ganzen "Prozesskette": Wer ist mein "interner Kunde", was braucht der? Die Abteilungen sollen miteinander reden, und zwar gleichberechtigt. So muss der "Einkäufer" endlich mal dem "Qualitäter" zuhören, der seit sechs Jahren sagt: Das Material, das ihr einkauft, ist nicht reißfest - damit kriegen wir immer Probleme! Die Leute miteinander ins Gespräch zu bringen, das ist eine der Aufgaben von Mertens. "Ich bin hier ein reitender Bote", sagt der 43-Jährige , "ich bin durch sämtliche Themen und alle Werke und Etagen unterwegs." Und von ihm, der während eines langen Politikwissenschaftsstudiums als Nachtportier, Industriearbeiter und Eventmanager jobbte, lässt man sich auch was sagen. An den Ingenieuren allerdings beißt er sich fast die Zähne aus. Die sollen ihre Pläne nicht mehr einfach "über den Zaun in die Produktion werfen", sondern an diejenigen denken, die die Pläne umsetzen müssen. Aber warum sollten sie? "Es könnte doch auch nett sein, mit anderen Leuten zu tun zu haben", meint Mertens, "mit dem Einkäufer, dem Fertigungsleiter. .."

Und es könnte Spaß machen, ein Produkt zu entwickeln, das nicht nur originell, sondern auch wettbewerbsfähig ist. Meint Mertens. Doch Ingenieure erfinden gern jedes Einzelteil neu - am Ende hat man eine riesige Teilevielfalt, die Arbeiter müssen dauernd die Maschinen umrüsten, und den Ingenieuren fehlt die Zeit fürs wertschöpfende Erfinden. Bitte, sagt Mertens, nehmt auch mal Teile aus dem "Gleichteilekoffer", arbeitet an der "Standardisierung"! Gleich zwei Igittworte für Ingenieure. "Das ist wie Häuserkampf", seufzt Mertens, "ein Ringen um jeden Einzelnen."

Vor vielen Problemen steht ZF Sachs. Ach was, sagen die Manager: vor "Aufgaben", ein Leben voller Probleme wäre freudlos. Wie auch immer: Fachkräfte werden knapp in der alternden Gesellschaft. Also muss man die Gesundheit derer erhalten, die man hat. Und ihr Können fördern - gerade denkt die fünfte Führungsebene, die Meister und Meisterinnen, darüber nach, wie sie sich selbst führen und wie sie geführt werden möchten.

Neues von oben gegen Widerstand ins Unternehmen zu drücken, das, hat man bei ZF Sachs gemerkt, funktioniert nicht. Besser, die Ideen sprießen von unten und werden am Ende Standard im ganzen Unternehmen. Ganz nach dem Mao-Motto: "Lasst 100 Blumen blühen." Auch Arbeiter und Arbeiterinnen sollen nachdenken. Eine Stunde pro Woche tagt jede Gruppe. Gelegenheit, um sich zum Beispiel um die Unfallverhütung zu kümmern - am besten mit der Methode "5 x warum?".

Über den Abteilungsrand hinausdenken

Warum landen bei uns überhaupt Teile mit scharfen Kanten, wo kommen die her? Das zeigt ein Blick auf das Organigramm am Schwarzen Brett der Abteilung. Keine hierarchische Pyramide, sondern eine Schlange, die von links oben nach rechts unten mäandert: der Prozess der Produkte durch die Firma. Aha, von denen kriegen wir die Scharfteile, dann laden wir die doch mal ein. Wie, deren Maschine ist defekt - ja warum ist die kaputt? Und warum nicht längst repariert? Schon haben die Leute über den Abteilungsrand hinausgedacht.

Keine Verschwendung, das scheint das Oberthema zu sein. Bei der Einführung der "schlanken Produktion" in den 90ern löste man Lager voll teuren Materials auf, verkürzte die Wege zwischen Montagehandgriffen, schaffte Hierarchieebenen ab. Bei ZF Sachs denkt man bei "Verschwendung" auch an die Gesundheit der Beschäftigten und ihre Ideen. Aber auch an Fehler, von denen man nichts mehr erfährt, weil die Führungskraft den Mitarbeiter beim letzten Mal rundgemacht hat.

Die Sachs-Belegschaft hat das in ihrer "Vision" so ausgedrückt: "Wir sind weltweit Vorbild im respektvollen Umgang mit Mitarbeitern, Umwelt und Ressourcen." Nicht sonderlich originell, aber indem man sich darauf verpflichtet hat, ist dieser Respekt jetzt von jedem einklagbar. Das kann auch dazu führen, dass in Arbeitsgruppen mit lauter Führungskräften eine Quietscheente gedrückt wird, wenn einer zu monologisieren beginnt.

Klingt alles nach Kikikram, ist aber ein "Kulturwandel", der ZF Sachs seit 2002 jedes Jahr rund zehn Prozent Effektivitätszuwachs gebracht hat. Kulturwandel, jetzt, in der Krise? Muss sein, sagt Martin Drescher, Leiter der Personal- und Organisationsentwicklung, und erzählt ein Gleichnis: Kommt ein Wanderer an einem Waldarbeiter vorbei, der sägt und sägt, nichts tut sich. Sagt der Wanderer: Warum schärfst du nicht deine Säge, die ist doch ganz stumpf! Sagt der Arbeiter: keine Zeit, hab Wichtigeres zu tun.

Natürlich geht es auch mit Bastakultur

Natürlich geht es auch mit einer Bastakultur, sagt der Frankfurter Soziologe Rolf Haubl. Aber nur, wenn die Wirtschaft sich im Aufwind befindet oder es genug Arbeitslose mit Standardausbildung gibt. Allerdings erfährt das Unternehmen dann nie, wie viel besser es hätte sein können. Eigentlich gehe es doch nur um das Ideal des guten Kaufmannes: auf kurzfristige Gewinne verzichten, um die mittleren Gewinne zu verstetigen.

Zumindest eine schlechte Folge scheint schlechtes Management doch zu haben: den Vertrauensverlust. Jemandem vertrauen heißt: Ich unterstelle, dass der andere mir nicht schaden will. "Wir beobachten, dass in den Organisationen die Vertrauens- in eine Misstrauenskultur umkippt", sagt Haubl. "Das ist ein massives Alarmzeichen. Denn wenn kein Vertrauen da ist, werden die Arbeitsergebnisse schlechter, die Leute stecken in destruktiven Konkurrenzen oder fliehen in die Krankheit."

Ja, es ist aufwendig, die Beschäftigten zu beteiligen, aber langfristig einfach günstiger, sagt auch der Erlangener Soziologe Rainer Trinczek. Das fange schon damit an, dass die Leitung die Beschäftigten offen informiert. Sonst entstehen Gerüchte, man quasselt ohne Ende miteinander. Dann sinke die Produktivität um bis zu 25 Prozent, und zwar schon bevor die Umstrukturierung überhaupt begonnen hat.

Langfristig ist es günstiger die Beschäftigten zu beteiligen

Doch viele Manager können sich das nicht recht vorstellen: Sie sollen ausgerechnet jene Leute informieren, anhören und sogar mitgestalten lassen, die nur im Sinn haben, für möglichst viel Geld möglichst wenig zu arbeiten? Ein falsches Bild, sagt Trinczek, das sei empirisch belegt. "Wenn man Menschen die Chance gibt, selbst was zu gestalten, entwickelt sich eine Fantasie, die Manager gar nicht für möglich halten." Beispielhaft VW Mitte der 90er: 30 Prozent Produktivitätsgewinn. Eins aber sei dabei tabu - die Beschäftigten ein- und wieder auszuschalten. Mal kreativ sein und sich identifizieren, dann wieder widerspruchslos allen Vorgaben folgen, das machen die Leute nur einmal mit.

Aber selbst ein gutwilliges Management steht manchmal plötzlich wie vor einer Wand. Man hat ganz ordentlich informiert, es gab eine saubere Diagnose, dazu ein halbwegs attraktives Zukunftsbild - und plötzlich gerät der Wandel ins Stocken, es gibt Widerstand. Die Vorstände ahnen schon, dass es hier nicht nur um "Sachdinge" geht. Dann rufen sie Gerd Geyer von der Trigon-Entwicklungsberatung - einen Psychologen, der aber lieber Berater genannt werden will, das klinge für viele Ohren besser.

Und Gerd Geyer macht zum Beispiel ein Abschiedsritual. Ein was? Ja, sagt der 48-Jährige, ohne Trauer geht es nicht voran. Ganz schwer seien Firmenfusionen und Markenabschiede. Der emotionale Tiefpunkt ist erreicht, wenn allen deutlich wird, dass es keinen Weg zurück gibt. Man ist traurig und auch gekränkt, denn das Neue behauptet immer zugleich, dass das Alte schlecht war. Ganz wichtig also, sagt Geyer, dass die Führung den bisherigen Erfolg würdige: Jawoll, ihr habt euch reingehängt, da ist was bei rausgekommen! Aber jetzt sind wir in einer neuen Situation.

In einer Firma drehten Mitarbeiter ein Video über ältere Kollegen und Kolleginnen, die schon seit der Lehre im Betrieb sind, und zeigten es auf einer Großveranstaltung. Eine Würdigung: Ja, wir alle haben zum Erfolg beigetragen. Und wir nehmen das Beste aus der Vergangenheit mit. "Das war bewegend, auch für mich", sagt Geyer. In einer anderen Firma, in der viele auf neue Abteilungen verteilt wurden, gaben sich die Kollegen und Kolleginnen gegenseitig Abschiedsgeschenke, um zu sagen: Danke, es war eine gute Zusammenarbeit; jetzt fängt eine neue an.

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