Dirk von Nayhauß
07.10.2010

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich Bilder male. Wenn ich völlig die Zeit vergesse und denke: Jetzt ist das Bild fast fertig, aber die kleine Ecke da unten, die ändere ich noch. Dann sitze ich noch einmal ein paar Stunden dran. Wenn ich das Gefühl für den ganzen Mist drum herum verliere und einfach in der Ölfarbe rummansche, dann fühle ich mich sehr lebendig. Das ist auch der Grund, warum ich male: weil ich im Atelier sehr glückliche Momente erlebe.

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Heulen und rumschreien hilft immer wieder. Ich kann das gut. Das muss man auch können, sonst verknöchert man.

An welchen Gott glauben Sie?

Ich kehre in meinen Bildern immer wieder zu biblischen Motiven zurück. Religion ist spätestens in den letzten zehn, 15 Jahren ein wahnsinnig wichtiges Thema geworden. Viele Menschen haben gemerkt, dass man an die bunten Auslagen im Warenhaus nicht glauben kann. Man muss irgendwie anders einen Sinn im Leben herstellen als über sein Bankkonto, das hinterlässt große Leere. Ich selbst bin atheistisch groß geworden, ich bin nicht mal getauft. Vielleicht werde ich mich taufen lassen. Vielleicht ist ja was dran. Ich glaube jedenfalls, dass es ein größeres Prinzip gibt als den Egoismus von jedem kleinen Wesen, das hier rumkraucht.

Hat das Leben einen Sinn?

Ich glaube, einen abstrakten Sinn hat das Leben erst einmal nicht: Die große Schönheit ist vollständig sinnlos, das große Unglück auch. Doch wir können versuchen, dem Leben einen Sinn zu geben; ich tue das, indem ich Bilder male. Dabei sehe ich mich bestimmt nicht nur als Gesellschaftskritiker. Ich male, was ich sehe und erlebe, ich drehe mein Innerstes nach außen. Alles, was für die Malerei gut und sinnvoll ist, kann ich auf mein Leben rückübertragen. Ich habe hier beispielsweise eine große Leinwand, die muss ich vorbereiten. Ich muss die erst grundieren, dann warten, dann wieder grundieren, insgesamt vier Mal. Dieser Prozess zwingt mich, mir Zeit zu nehmen. Die Malerei - der Prozess des Malens, das Leben im Atelier - ist für mich sinnstiftend.

Muss man den Tod fürchten?

Nein. Es gibt ja Leute, die Nahtoderfahrung hatten, die hatten Visionen und haben ein Licht am Ende des Tunnels gesehen. Der Moment des Todes muss also sehr schön sein. Schrecklich ist es jedoch, wenn geliebte Menschen sterben. Im vergangenen Dezember ist plötzlich mein Bruder gestorben. Bei allem, was mir passiert, frage ich mich, was mir das sagen will. Das frage ich mich natürlich auch bei so einer unfassbaren Geschichte - aber ich weiß nicht, was mir sein Tod sagen soll, und ich glaube nicht, dass ich irgendwann sagen kann: "Okay, das ist etwas, das habe ich geklärt." Nein, ich glaube, das wird mich mein Leben lang beschäftigen, bis zum Schluss.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Die Liebe ohne Gründe, die nicht zweckgebunden ist und noch einmal verwertet wird, sondern die einfach nur da ist. Das erlebe ich mit meinem Freund, wir sind schon ziemlich lange zusammen. Das erlebe ich mit meiner Familie, die mir sehr wichtig ist.

Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?

Richtig Portugiesisch lernen und für längere Zeit nach Brasilien gehen. Vielleicht eine Ausstellung im MoMa in New York und irgendwo eine Kirche ausmalen. Da bin ich relativ zuversichtlich. Das Entscheidende ist aber das Verhältnis zwischen mir und meinen Bildern - und die gute Laune beim Malen.

20 Jahre Mauerfall - auch für Sie ein Grund zum Feiern?

Ich wüsste nichts, von dem ich sagen würde: Das hat sich in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren total zum Negativen verändert. Aber zum Feiern ist mir trotzdem nicht zumute. In der DDR hieß es immer: Wo nix los ist, wird gefeiert. Ich finde, jetzt ist genug los, da muss ich den Fall der Mauer nicht unbedingt feiern. Es ist einfach schön, dass heute ganz viele Dinge komplett selbstverständlich sind. In der DDR wäre ich sicher nicht Künstler geworden, früher oder später wäre ich mit diesem perversen Regime in Konflikt gekommen. Die meisten Künstler, die ein eigenes Freiheitsverständnis hatten, sind raus aus dem Land. Geradezu zwangsläufig, die mussten weg, weil ständig irgendein Hanswurst vom Zentralkomitee vorbeikam und gesagt hat: "Du, die rechte Ecke oben in dem Bild, könnte die nicht auch grün sein? Überarbeite das bitte bis nächsten Mittwoch."

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