Was ist Schuld?
Strafrichter und Schiedsrichter haben täglich mit dieser Frage zu tun. Seelsorger auch. Aber ihre Antworten fallen recht unterschiedlich aus
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
07.10.2010

Irgendwann ist das Maß voll. In seinem Brief an dieses Magazin schreibt ein Münchener: "Früher haben die Kirchen einem ein schlechtes Gewissen gemacht, heute geschieht dasselbe im Namen des Klimaschutzes. Das penetrante Vorrechnen von CO2-Werten nervt nur noch. Wie man es dreht und wendet, schuldig wird man letztendlich immer." Dabei ist Herr R. eifrig um den Klimaschutz bemüht. Er bezieht Natur-Strom, hat kein Auto, isst kaum Fleisch. Jetzt kam er drauf: Auch wer Sport macht, stößt mehr CO2 aus. Auch eine Feuerbestattung belastet das Klima. "Irgendwann reicht es, Schuldgefühle eingetrichtert zu bekommen", klagt er.

Portrait Eduard KoppLena Uphoff

Eduard Kopp

Eduard Kopp ist Diplom-Theologe und chrismon-Autor. Er studierte Politik und Theologie, durchlief die Journalistenausbildung des ifp, München, und kam über die freie Mitarbeit beim Südwestrundfunk zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" nach Hamburg. Viele Jahre war er leitender theologischer Redakteur bei dieser Wochenzeitung und seinem Nachfolgemedium, dem evangelischen Magazin chrismon. Seine besonderen Interessengebiete sind: Fragen der Religionsfreiheit, Alltagsethik, Islam, Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Krieg und Frieden.

Was Schuld ist, davon verstehen die Kirchen einiges. Wie man Schuldgefühle, womöglich überzogene, weckt oder "eintrichtert", das ist aber nicht (mehr) ihr Thema. Das gehörte in die Zeiten barocker Bußpredigten oder der schwarzen Pädagogik. Das Ziel aller Seelsorge ist es vielmehr, Sünden zu überwinden, Schuld abzutragen. Dazu gehört allerdings auch, Sensibilität zu wecken in der Frage, wie und gegenüber wem man schuldig wird.

Schuldig macht sich, wer einem anderen Menschen verweigert, was ihm zusteht - materiell oder immateriell. Schuldig im religiösen Sinne macht sich, wer seine Verpflichtungen Gott und den Menschen gegenüber nicht einlöst. Diese doppelte Dimension ist besonders wichtig, und sie macht den Unterschied zum Schuldverständnis des Strafrechts aus.

Mit dem Verbüßen der Strafe ist nicht unbedingt alles erledigt

Im staatlichen Strafrecht steht die Bewertung der Tat im Vordergrund. Wenn Strafrichter von Schuld sprechen, meinen sie damit: Ein Mensch ist mit der Verantwortung für eine rechtswidrige Tat belastet; ihm ist diese Tat vorwerfbar. Das prüfen die Gerichte, außerdem, ob der Täter mit Vorsatz oder fahrlässig gehandelt hat. Die individuelle Schuld im Einzelfall abzuwägen ist das Schwierigste überhaupt im Strafverfahren. Zwar gibt es die im Strafgesetzbuch vorgesehenen Strafrahmen, aber innerhalb dieser Rahmen muss die individuelle Schuld bemessen werden.

Ist mit dem Verbüßen der Strafe dann alles erledigt? Nicht unbedingt. Eine Freiheitsstrafe, selbst wenn sie verbüßt ist, wirkt im Strafregister nach. Wird der Täter erneut verurteilt, kann die neue Strafe härter ausfallen. Die alte Schuld hängt ihm also nach, bis der Eintrag gelöscht ist. Etwas Vergleichbares gibt es im kirchlichen Schuldverständnis nicht.

Dass nach christlichem Verständnis eine solche Tat nicht nur das Verhältnis der Menschen untereinander, sondern auch zu Gott in Mitleidenschaft zieht, lässt sich biblisch begründen. Gott hat diese Welt in ihrer Schönheit und Makellosigkeit erschaffen (im Schöpfungsbericht steht: "Und er sah, dass sie gut war"), er hat sich zudem in vielen Situationen als barmherzig und "gerecht" (die biblische Vokabel für "gnädig") erwiesen. Wenn Menschen sündigen, stellen sie sich gegen diese gute Schöpfungs- und Liebesordnung.

Um alles in Ordnung zu bringen, müssen die Menschen ihre Tat als falsch erkennen

In der Bibel finden sich viele weitere Gründe dafür, warum Menschen sich durch ein Delikt auch gegenüber Gott schuldig machen: Es gibt in den biblischen Geschichten Verträge zwischen Gott und Mensch. Solche Verabredungen sind zum Beispiel die Bundesschlüsse nach der Sintflut und am Sinai, wo die Zehn Gebote Gültigkeit erhielten. Zwar verpflichteten sich die Menschen jedes Mal, die Anforderungen Gottes treu zu erfüllen, doch schlugen sie regelmäßig über die Stränge.

Schuld lässt sich nicht einfach wegreden und wegwischen. Um alles in Ordnung zu bringen, müssen die Menschen ihre Tat als falsch erkennen und Gott um die Vergebung ihrer Schuld bitten. Das erleichtert es ihnen zugleich, ihr Verhältnis zu den Mitmenschen zu heilen. Es geht ja meist nicht nur um einen Schadensausgleich im engeren Sinne, Sünden haben viele Folgen. Wer sündigt, streut Zwist, Hoffnungslosigkeit, Lieblosigkeit, schreibt der Berliner Bischof Wolfgang Huber in seinem Buch "Der christliche Glaube": "Er zerbricht die lebendige Beziehung zu Gott, zur Zukunft, zu den Menschen und zu sich selbst." Der Delinquent muss, was ihm oft nicht aus eigener Kraft gelingt, wieder in den Lebensstrom eintauchen. Ihm dabei zu helfen, ist ein zentrales Anliegen der Kirchen.

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