Der Intellektuelle aus Genf ist für Historienfilme nicht geeignet: zu viel Geist, zu wenig Handlung. In der edition-chrismon erschien daher eine Dokumentation aus Anlass von Calvins 500. Geburtstag am 10. Juli 2009
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

Ein Mann mit bauschigen Ärmeln und Fellkragen reitet durch den Porzer Forst bei Köln. Auf dem Kopf eine Ledermütze. Die Kamera zeigt kahle Baumwipfel. Der Mann blickt sich hektisch auf einer Lichtung um. Birken, Heide, Autospuren im Sand. "Ich war dem Aberglauben des Papsttums so hartnäckig zugetan, dass es nicht leicht war, mich aus diesem tiefen Abgrund herauszureißen", sagt seine Stimme aus dem Off. "Wie durch einen plötzlichen Lichtstrahl erkannte ich, in welchem Schmutz ich mich befunden hatte." Jetzt lächelt der Mann erlöst.

Reenactment nennen es Filmemacher, wenn sie Historisches möglichst authentisch nachstellen. Eben dies, sagt Regisseur Werner Köhne, habe er nicht gewollt. In der Anfang April auf Arte laufenden Dokumentation zeigen Köhne und Koregisseur André Schäfer Johannes Calvin als mittelalterlichen Menschen. Als jemanden aus einer fernen Kultur. Einer, der nicht so recht in unsere Zeit passen will.

Zugleich gehen sie der Frage nach, wie der Genfer Reformator die Moderne geprägt hat. Sie befragen Experten, reisen an historische Orte und stellen ihrer Erzählung über Calvins Leben und Werk Zitate gegenüber, die ein verkleideter Schauspieler spricht. Dass in Calvins Bekehrungsszene Reifenabdrücke zu sehen sind - egal. Und dass eine Frau mit Handtasche durchs Bild läuft, während der verkleidete Schauspieler in Genf monologisierend eine Treppe hinaufsteigt - vielleicht gerade gut.

Die reformierte Gemeinde Emlichheim und eine Megachurch in den USA

Am 10. Juli 2009 jährte sich der Geburtstag von Johannes Calvin zum 500. Mal. Für die Evangelische Kirche in Deutschland war das Datum die dritte Etappe auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017, wenn Martin Luthers Thesenanschlag, der die Reformation auslöste, 500 Jahre her ist. Vor zwei Jahren wurde der 400. Geburtstag des lutherischen Lieddichters Paul Gerhardt gefeiert, 2008 der 200. Geburtstag Johann Hinrich Wicherns, des Begründers der Inneren Mission. Nun ist Calvin-Jahr.

Wer aber war Calvin? "Ein großer Denker", sagt ein Genfer Calvin-Forscher in Köhnes und Schäfers Film: "Ein Schriftsteller, der die französische Sprache sehr gut beherrschte. Aber zur gleichen Zeit war er ein sozialer Pastor, der protestantische Gemeinden aufbauen wollte, welche für ihn die gläubigere Kirche waren." Viel erfolgreicher als das Luthertum sei der Calvinismus gewesen, sagt der Theologe und Schriftsteller Klaas Huizing.

Zerstreut blättert der Calvin des Films in alten Büchern. Sein Blick wandert in die Ferne, seine Augen flackern. Sieht so ein Mensch aus, der das Weltbild seiner Zeitgenossen so grundlegend auf den Kopf stellte wie später die Aufklärer und im 19. Jahrhundert der Naturwissenschaftler Charles Darwin und der Psychoanalytiker Sigmund Freud? "Es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten uns in einen Menschen des Mittelalters hineinversetzen", sagt Regisseur Werner Köhne.

Wo hat Calvin seine Spuren hinterlassen? Gottesdienst in der reformierten Kirchengemeinde Emlichheim. Die Kamera zeigt, wie ein Pastor aus der Kanzel die Spenden der vergangenen Woche abkündigt. Die Menschen in den Bankreihen singen einen Psalm, die Orgel spielt. Schnitt. Eine Megachurch in den USA. "Ich will, dass ihr so laut schreit, wie ihr könnt", sagt der Prediger auf Englisch ins Mikrofon. Er brüllt: "Ich will das Kreuz." Die Kamera schwenkt auf eine ekstatische Menge. Einzelne heben die Arme hoch, ihre Lippen bewegen sich heftig zu den Silben: "I want the cross."

Das Gottesbildnis - das ist der Mensch

Sollten wirklich sowohl die gesitteten Kirchgänger aus dem Landkreis Grafschaft Bentheim als auch die fanatisierten US-Bürger geistige Nachfahren ein und desselben Stichwortgebers sein?

Es ist ein Gewirr an Gedanken, die auf Calvin zurückgehen, resümieren die Filmemacher. Und sie arbeiten im Laufe ihrer Dokumentation einen nach dem anderen ab: Calvins humanistische, aufklärerische Haltung, seinen Protest gegen mittelalterliche Höllenbilder, gegen den Heiligenkult, gegen Bilder in der Kirche. "Der Mensch darf sich nicht Bilder machen von Gott", sagt der deutsch-schweizerische Theologe Eberhard Busch in die Kamera. "Gott ist nur zu erkennen, wenn er sich selber zeigt. Wie zeigt er sich? Im Gottesdienst. Die Menschen schauen sich gegenseitig an. Sie sind Ebenbilder Gottes."

Der Film ist auch für Unterrichtszwecke geeignet und erscheint als DVD in der edition chrismon (58 Min., 16,90 EUR). Sie ist zu beziehen über: 0800/247 47 66 oder www.chrismonshop.de

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Segelboot aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.