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Fernsehen trifft Kirche
Zwei Missionarssöhne suchen ein Publikum für ihre Botschaft - der eine im Privatfernsehen, der andere in der Kirche
Hedwig Gafga, Autorin
Tim Wegner
07.10.2010

chrismon: Herr Kosack, Herr Scheunemann, welcher Mensch hat Sie mit seiner Botschaft besonders beeindruckt?

Joachim Kosack: Der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch. Es gibt herausragende Sätze von ihm. Zum Beispiel: "Wir haben Angst und müssen doch mutig sein." Und: "Wir befinden uns alle in der Hand von Kaufleuten, die sich wiederum in der Hand von Kaufleuten befinden, die sich ihrerseits in der Hand von Kaufleuten befinden." Wenn man sich die Finanzkrise und den Auftritt einiger Hedgefonds anschaut, war das sehr hellsichtig.

Kai Sutrisno Scheunemann: Barack Obama. Es gelingt ihm, weltweit Hoffnung zu entzünden. Es ist das Thema meines Lebens, wie man Menschen Hoffnung mitgeben kann. Obama lebt seine Botschaft. Er passt in keine Kategorie. Er ist nicht der Konservative, nicht der Liberale. Er denkt nicht in Lagern.

Finden Sie Lagerdenken abschreckend?

Scheunemann: Ja. Die Welt ist grau und nicht schwarz-weiß.

Kosack: Genau das konnte man bei George W. Bush nicht mehr ertragen - diese Einteilung in Schwarz und Weiß.

Wie ist das, als Missionarskind aufzuwachsen?

Scheunemann: Meine Eltern entschieden sich dafür, ganz in die indonesische Kultur einzutauchen. Wir gingen in einheimische Schulen und sprachen die Stammessprache. Eine herrliche Kindheit. Doch meine Eltern dachten sehr schwarz-weiß. Kein Sex vor der Ehe, nicht rauchen, kein Fußball am Sonntag. Alles, was Spaß macht, war suspekt. Davon musste ich mich emanzipieren.

Kosack: Ich komme mütterlicherseits aus einer verzweigten Pastorenfamilie. Mein Vater kam aus einem nichtreligiösen Haus, sein Vater war als Richter zeitweise in der Nazipartei. Mein Vater wendete sich der politischen Theologie zu. Religion lebte er nicht als missionarisches Dogma. Ihm ging es um Menschenrechte.

Scheunemann: Warum wurde er dann Missionar?

Kosack: Auf der Insel Nias in Indonesien lebten viele deutsche Missionare, die durch die Elterngeneration eine nationalsozialistisch angehauchte Vergangenheit hatten. Sie wollten Schuld abtragen und Deutschland ein anderes Antlitz geben. Mein Vater wollte aus einem Menschen nicht unbedingt einen Christen machen, sondern einen Menschen, dem es gutgeht.

"Ich machte eine Kabarettnummer aus dem Missionarischen"

Scheunemann: Spielte Religion bei Ihnen zu Hause eine Rolle?

Kosack: Ich habe extrem viel in der Kirche mitgearbeitet. Auf Familienfesten wurde gebetet. Aber das Missionarisch-Dogmatische war reduziert. Einmal gab ich Deutschunterricht bei Tamilen im Asylantenheim. Da kamen Evangelikale mit Bibeln herein. Sie hatten ein Leporello mit Kreuz und Herzen drauf, und sie machten ihre Botschaft klar, indem sie auf die Symbole zeigten, auf das schwarze und das weiße Herz. Sie sagten: "Wenn ihr Jesus Christus folgt, werden wir euch helfen, in Deutschland zu bleiben." Ich machte eine Kabarettnummer daraus.

Hat die Zeit in Indonesien Sie geprägt?

Kosack: Meine Familie kehrte nach Deutschland zurück, als meine Geschwister auf weiterführende Schulen gehen sollten. Ich war noch sehr jung. Aber meine älteste Schwester hatte Probleme, Deutschland als Heimat zu begreifen.

Scheunemann: Ich bin ein "third-culture-kid", das bedeutet, dass man in einer dritten, einer globalen Kultur lebt. Ich habe den Ordner Indonesien zugeklappt und neu angefangen. Aber die Erfahrung in Indonesien bestimmt mich. Bei uns im Dorf wurde ich mal "Dauergrinser" genannt. In Indonesien lächelt man einfach, auch bei Konflikten. Das spiegelt eine innere Haltung wider.

Wollten Sie sich je von Ihren Eltern distanzieren?

Scheunemann: Von den Eltern nicht, aber von ihrer Botschaft. Ich musste eine eigene entwickeln: Ich bin grau, nicht schwarz-weiß. Was die Leidenschaft angeht, habe ich viel von meinen Eltern gelernt. In der Theologie hingegen verstehen sie mich meistens nicht. Für sie ist es eindeutig, wie Christen zu leben haben.

Kosack: Weil Ihre Eltern glauben, dass die Bibel frei von Irrtümern ist. Sind Sie da noch auf der Linie Ihrer Eltern?

Scheunemann: Nein. Einig bin ich mit ihnen aber darin, dass der Gott, der sich uns in Jesus vorgestellt hat, ein liebender Gott ist, der sich den Menschen zuwendet und Sehnsucht nach einer knisternden Beziehung zu jedem einzelnen Menschen hat.

Kosack: Ich habe das Problem, dass ich nicht genau weiß: Glaube ich wirklich? Mich hat ein Evangelikaler, Hans-Georg Filker, geprägt. Im Jugendlager erzählten Menschen von dem Moment, in dem sie den Schein von oben spürten und wussten: Jesus lebt. Da kam ich nicht mit. Filker machte mir klar: Du hast die Religion mit der Muttermilch aufgesogen, aber du weißt gar nicht, ob du glaubst. Das hat mich erschüttert.

Braucht man denn ein Erweckungserlebnis?

Scheunemann: Nicht im klassischen Sinne, wie Sie sich das vielleicht vorstellen, so mit einem Lichtstrahl, der von oben kommt.

Kosack: Aber nennen wir es mal das klare Ja.

Scheunemann: Es gibt zwei Bekehrungsformen: vom Saulus zum Paulus ist eine. Es gibt Menschen, die sagen: "Ich bin vom Pferd gefallen, und seitdem bin ich Christ." Und es gibt den "Emmausweg": Man geht lange mit jemandem mit, und die Lebensrichtung verändert sich mit der Zeit. Das Erleuchtungserlebnis fehlt? Das kann gut sein. Aber letztendlich ist die Frage: Ist mein Leben auf Gott ausgerichtet? Oder sage ich: Gott ist ganz nett, aber ich habe in meinem Leben allein das Sagen. Da sehe ich den Unterschied.

Kosack: Ich denke in Fragen der Moral christlich und habe ein positives Verhältnis zu Kirche als Ort von Gemeindeleben. Aber an einer Frage wie der, ob jemand aus dem Totenreich auf mich guckt und ob es ein Leben nach dem Tod gibt, scheitere ich.

Scheunemann: Da haben es die Evangelikalen leichter, weil sie ein klares Bild von Himmel und Hölle haben. Wenn es nicht nur um das Leben hier geht, sondern um die Ewigkeit, hat man eine andere Motivation, den Menschen von Gott zu erzählen.

Spiritualität an den Menschen zu bringen, hat etwas mit Show zu tun. 

Herr Scheunemann, mit Ihrem "GoSpecial"-Gottesdienst wollen Sie Kirchenferne ansprechen. Was passiert da?

Scheunemann: Wir treffen uns in einem Kino mit 700 Plätzen. Wir wählen Themen, die Menschen interessieren, zum Beispiel das Singledasein. Moderatoren führen in den Gottesdienst ein, ein Theaterstück bringt die Leute zum Lachen. Wer lacht, entspannt sich. Es gibt eine Predigt, die Zuhörer können Fragen stellen. Eine Band spielt Hits, und es gibt eine Anbetungszeit. Wir wollen dünne Stellen schaffen, das bedeutet: Momente, wo es dünn wird zwischen unserer und der göttlichen Welt.

Kosack: Spiritualität an den Menschen zu bringen, hat etwas mit Show zu tun. Die muss ja nicht sinnentleert sein. Musik ist wichtig, weil sie Sinne anspricht, für die ich meinen Kopf erst mal nicht brauche. Ich mag nicht, wenn Leute sagen: "Ich glaube, aber ich finde Kirche so blöd." Ohne diesen Raum, ohne dieses "Wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind" geht es nicht. Für sich alleine ist man kein religiöser Mensch. Glaube und Religion muss etwas mit Begegnung zu tun haben.

Viele finden nicht gleich eine passende Gemeinde.

Kosack: Vorsicht! In der ersten Gemeinde findet man den Pfarrer doof, in der zweiten den Organisten, in der dritten das Licht. Da werde ich streng. Glaube ist nicht nur "Good Feeling", Glaube ist ja auch eine Bürde. Am Glauben muss ich mich abarbeiten.

Also guckt man lieber Sat.1 und hat "Good Feelings"?

Kosack: Reden wir jetzt über den Gottesdienst oder über Sat. 1? Auf das dünne Eis kriegen Sie mich nicht!

Scheunemann: So abwegig ist der Hinweis nicht. Wir als Kirche begnügen uns damit, auf einem Programm zu senden. Überall die gleichen Lieder, überall die gleiche Liturgie. Was für ein Glück, dass es im Fernsehen so viele verschiedene Programme gibt!

Kosack: Es würde der Kirche nicht helfen, wenn sie viele Kanäle hätte. Das Problem ist ein anderes: Es gehört nicht mehr zum Sozialprestige, in die Kirche zu gehen. Die Geschäfte werden nicht mehr in der Kirche, sondern im Rotary Club gemacht. Wir sind die erste Generation, für die Religion nicht mehr Teil eines normalkulturellen Lebens ist. Man muss Kirche wollen. Das war 2000 Jahre lang anders. Insofern verstehe ich die Frage nach Sat.1. Weil die Leute das religiöse Bedürfnis nicht mehr automatisch in sich tragen, muss die Kirche mit einer Show an die Leute ran. Damit Kirche überhaupt noch im "Relevant Set" ist, zu den Marken von Bedeutung gehört. Ich vergleiche das gerne mit der deutschen Serie, die guckt ja auch kein Mensch mehr. Nur amerikanische Serien laufen richtig gut.

In welchen Serien lernen Sie etwas über Menschen?

Scheunemann: In der Sportschau! (lacht) Das ist unser Familientermin, da sitzen wir alle zusammen vorm Fernseher. Außerdem mag ich den "Tatort" sehr.

Kosack: Der "Tatort" ist eine Fernsehreihe, hat aber etwas von dem, was eine Serie ausmacht: einen festen Slot, den die Zuschauer kennen. Die Slotierung des Fernsehens funktioniert noch. Jeder weiß: Sonntags um 20.15 Uhr kommt der "Tatort". Die Slotierung der Kirche funktioniert nicht mehr. Sonst wüssten alle, dass am Sonntag um 10 Uhr Gottesdienst ist.

Herr Kosack, welche Serie gucken Sie privat?

Kosack: "Desperate Housewives" sind großartig. Gute Serien berühren große philosophische und theologische Fragen. Wenn man die guckt, kann ein Engel durch den Raum gehen.

Scheunemann: Wie müsste ein Gottesdienst aussehen, damit Sie sich dafür einen Slot einprogrammieren?

Kosack: Mit vielen Gospels, wie in Harlem! Es muss die richtige Mischung aus pathetischer Feierlichkeit und intellektueller Auseinandersetzung drin sein. Es braucht den Moment, der mich anrührt, und den Moment, der mir was zu denken mitgibt.

Scheunemann: Und wie müsste ein Gottesdienst für die Zielgruppe aussehen, für die Sie Fernsehen machen?

Kosack: Ein Gottesdienst für Sat. 1-Zuschauer müsste eines schaffen: eine Erwartungshaltung auslösen und erfüllen. Das ist wie beim Film: Wenn Sie Spiderman schauen, und nach fünf Minuten ist immer noch kein rot gekleidetes Wesen eine Hochhausfassade raufgeklettert, sind Sie enttäuscht. Es geht darum, ein Wechselspiel von Emotionen zu erzeugen. Ich muss lachen können, mich gruseln, gespannt sein können. Jeder dieser emotionalen Reize muss gesetzt werden. Der Zuschauer will geführt werden. Scheunemann: So machen wir den "GoSpecial" - neue Reize und Altbekanntes. Ich beobachte aber, dass nun eine neue Generation kommt, die das Geplante nicht will. Sie will eine sehr viel rauere Form der Gottesdienste - ungeplant, authentisch, Gottesdienste aus dem Moment heraus.

Die junge Generation will in der Kirche Psalme beten und sich salben lassen

Kosack: Wollen die mehr Wahrhaftigkeit?

Scheunemann: Ja, und das Alte spielt eine größere Rolle. Die junge Generation will Psalmen beten, sich salben lassen! Wir Leute vom "GoSpecial" sind älter geworden, die Jungen erreichen wir nicht mehr. Sie gehen an die Ursprünge, sie wollen eher Schwarz-Weiß als Reizüberflutung. Ist das beim Fernsehen auch so?

Kosack: Bei den Serien ist der Wunsch nach der Operette, mit der man sich wegträumen kann, noch ganz stark. Die fiktionale Welt muss etwas Überhöhtes, Fantastisches haben. Eine Serienfigur wie "Dr. House" - der ist ja kein echter Mensch mehr. Aber eine Form wird im Fernsehen immer wichtiger, und das passt zu Ihrer Beobachtung der Entsättigung: das Dokudrama, die Real-People-Formate. Da treten echte Menschen auf, die Super Nanny oder Rach, der Restauranttester. Das ist natürlich auch überhöht und dramatisiert, aber diese Formate tun so, als sei alles echt.

Herr Kosack, eine Pfarrerin oder ein Pfarrer wäre eine spannende Figur. Warum findet Kirche in Serien kaum statt?

Kosack: Wo ich wirke, kommt sie vor! (lacht) In "Hinter Gittern" habe ich eine Figur eingeführt, die revolutionär war, einen Gefängnisseelsorger. Und zwar eben nicht als den lieben, trutschigen Pfarrer, sondern als eine Figur, die große Fragen verhandelt: Was ist Schuld? Was ist Sühne? Was ist Vergebung? Ich hatte mich dafür lange mit dem Seelsorger im Frauenknast in Berlin unterhalten. Man kann so eine Serie als trivialen Quatsch abtun, aber damals guckten das sechs Millionen Menschen.

Im Leben von TV- Autoren und Künstlern spielt Religion keine Rolle mehr

Warum folgt kaum jemand diesem Beispiel?

Kosack: Ich versuche, die Autoren darauf aufmerksam zu machen, aber das muss auch von ihnen kommen. Ich kann mich an kein Drehbuch erinnern, in dem einfach mal erzählt wird, wie eine Familie am Tisch betet, ohne dass man daraus macht: "Aha, das ist aber eine religiöse Familie, da wird es noch knallen." Übrigens: Auch die Amerikaner machen das nicht. Kein Autor käme auf die Idee, eine Szene zu schreiben, in der einer zum Metzger geht, um das Fleisch für die Konfirmation zu bestellen. Das religiöse Leben spielt keine Rolle. Das finde ich erschreckend.

Scheunemann: Woran liegt das?

Kosack: Religion ist nicht mehr Teil des Alltags, erst recht nicht bei Autoren und Künstlern. Kein Autor würde überrascht sein, wenn er ins Buch schreiben soll: "A fühlt sich gestört, weil B auf seinen Monitor guckt, während A gerade Onlinebanking betreibt." Aber wenn ich will, dass er ins Drehbuch schreibt: "A betet und wird dabei von B gestört" - da würde jeder Autor fragen: "Was willst du damit sagen, dass der betet?" Jeder würde denken, das soll wer weiß was bedeuten.

Scheunemann: Meine Eltern hätten dafür eine Erklärung: Weil die 68er versucht haben, Religiosität aus dem öffentlichen Leben herauszudrängen. Ist das so?

Kosack: Nein. Die Ursachen reichen weiter zurück. Aber ein Beispiel fällt mir doch ein: In unserer Serie "Klinik am Alex" geht es um junge Assistenzärzte. Einer ist ein Farbiger, der aus Afrika stammt. In einer Folge stirbt jemand auf dem Operationstisch. Und dieser Arzt erlebt dann den innigen Moment eines Gebetes.

Scheunemann: Spannend. Da muss erst jemand aus einer anderen Kultur kommen, bevor im deutschen Fernsehen ein Mensch betet. Nach dem Motto: Ein deutscher Arzt betet nicht.

Kosack: Der Arzt aus Afrika ist in dieser Serie die Figur, die für das Moralische steht. Er kämpft gegen die menschliche Kälte dieses Krankenhauses. In der Werbung für die Serie war er immer wieder zu sehen: der betende farbige Arzt. 

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