Tim Wegner
07.10.2010

Viel Zeit für Privatleben hab ich nicht - ich gehe drei- bis viermal die Woche zum Fußballtraining und am Wochenende zum Spiel, B-Jugend, ich bin Abwehrchef. Und ein guter Schüler will ich ja auch noch sein. Aber den Babysitterkurs beim DRK in Hamburg wollte ich machen. Weil ich mit Babysitten mein Taschengeld aufbessern möchte; und weil ich oft auf meinen kleinen Bruder aufpasse.

Vor dem Kurs war ich manchmal echt verzweifelt, wenn der einfach nicht zu weinen aufhörte. Wenn meine Mutter da war, hab ich ihn ihr gegeben, die hat dann auch noch lange mit ihm gekämpft, bis er so erschöpft war, dass er eingeschlafen ist. Jetzt weiß ich, dass man auf keinen Fall hektisch und laut werden soll. Denn wenn die Babys merken, dass man unsicher ist, haben sie kein Vertrauen. Ich bin nun viel gelassener, wenn mein Bruder schreit.

Was mein Bruder nicht mag, hatte ich aber schon vorher herausgefunden. Zu viele laute Spielsachen auf einmal, da wird er ängstlich. Er mag, wenn man mit ihm spielt und nicht nur zusieht. Hochwerfen und wieder fangen. Oder verstecken. Man darf nur nicht zu lange wegbleiben, dann wird er traurig und fängt zu suchen an. Jetzt ist mein Bruder 17 Monate, und ich lass ihn auch ein bisschen was ausprobieren. Denn wenn ein Kind nie hingefallen ist, wird es nie weiterkommen im Leben.

Im Kurs haben wir viel erfahren über die Entwicklungsstufen von Kindern, das fand ich faszinierend, jeder Mensch macht die durch, genau so! Wir haben uns mit matschigem Haferflockenbrei gefüttert. Das war sehr komisch, weil man den Löffel nicht kontrollieren kann. Deshalb saut man auch viel mehr herum man kommt dem Löffel entgegen und hat auf einmal den Brei im Gesicht. Wir haben überlegt, was alles gefährlich sein kann in einer Wohnung oder auf der Straße. Bauchlagespiele haben wir gelernt. Und an einer Babypuppe wickeln geübt: dass man immer eine Hand am Baby hat, auch wenn man sich umdreht, um was Entferntes zu greifen, und dass man vorher die Eltern fragen soll, ob die das wollen, dass man das Kind auch wickelt, weil das doch intim ist.

Dass ich der einzige Junge mit wirklichem Interesse war, hat mich verblüfft. 

Dass ich der einzige Junge im Kurs war mit wirklichem Interesse, hat mich verblüfft. Mein Freund war von seiner Mutter überredet worden, weil er noch zwei kleine Geschwister hat. Dabei ist es schön, sich mit Babys und Kindern zu beschäftigen! Natürlich ist es auch mal langweilig: weil man dasselbe immer noch mal spielen muss. Und nervenaufreibend, wenn das Kind 20-mal dasselbe Lied anmacht, so eins mit lauten piepsigen Tönen. Aber man macht halt weiter - man weiß ja nicht, wann man das nächste Spielzeug findet, das dem Kind gefällt.

Theoretisch könnte mein kleiner Bruder mein Sohn sein. Es gibt ja heutzutage diese Unfälle, wo Jugendliche nicht aufgepasst haben. Aber ich seh, wie viel Zuwendung er braucht, wie wenig Zeit meine Mutter für sich hat. Und ich möchte noch viel erleben und viel sehen! Das wäre dann nicht mehr möglich.

Theoretisch könnte mein kleiner Bruder mein Sohn sein

Meine Freunde bewundern es auch ein bisschen, dass ich als Babysitter arbeiten will. Sie jobben als Kellner im Café oder als Aushilfstrainer im Turnverein. Demnächst will ich Aushänge machen und überall rumerzählen, dass ich babysitte. Das ist wie bei Frauen, die in einen typischen Männerberuf wollen: Die müssen sich am Anfang auch mehr reinhängen und Werbung machen.

Die Kursleiterinnen haben uns gesagt, dass wir schon neun oder zehn Euro nehmen sollen. Denn wir haben eine Riesenverantwortung. Und man guckt ja nicht zu, sondern beschäftigt sich die ganze Zeit mit dem Kind. Mal sehen, vielleicht kann ich mir irgendwann eine mobile Dockingstation für den iPod leisten, ich höre ständig Musik, vor allem amerikanischen Rap. Wenn ich dann Aufträge bekomme, muss ich sicher auch mal spontan zur Familie fahren, obwohl ich vielleicht was mit den Freunden geplant hatte. Aber so ist es ja auch im echten Leben: Da kann man das Privatleben auch nicht einfach dem Job vorziehen.

Protokoll: Christine Holch

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