Aber sie war ein Messie. Aus tiefer Unsicherheit, wie sie heute weiß
07.10.2010

Mit dem Haushalt habe ich mich immer gequält. Zu Beginn unserer Ehe lachten mein Mann und ich noch darüber.

Manchmal tranken wir aus Suppenschüsseln, weil alle Tassen schmutzig waren. "Du hast 'ne komische Art der Organisation", mehr hat er nie dazu gesagt. Dann bekam ich kurz hintereinander drei Kinder. Da mein Mann noch studierte, verdiente ich das Geld. Das konnte ich. Ich hatte eine Kleiderfabrik mit 20 Angestellten.

Alle Messies können woanders gut aufräumen, nur zu Hause nicht.

Aber wenn ich abends die Haustür aufschloss und sah, was alles zu tun war, brach ich zusammen. Alle Messies können woanders gut aufräumen, so wie ich in der Firma, nur zu Hause nicht. Mein Selbstwertgefühl sank auf null. Dann drohte mir auch noch meine Mutter - eine 200-prozentige Hausfrau - mit dem Jugendamt. Ich war total überfordert. Dabei wollte ich unbedingt eine gute Hausfrau sein!

Damals fing ich an, Dinge zu horten. Was für andere Müll ist, waren für mich Schätze: Joghurtbecher, in die ich Samen pflanzen wollte, Glasscherben für Tiffanylampen, Stofffetzen für Patchworkdecken. Der Keller war irgendwann so voll, dass man nur noch auf Zehenspitzen die Treppe runterkonnte.

Auch in der Wohnung wuchs das Chaos. Teller abräumen, Krümel vom Tisch abwischen - was andere Menschen automatisch machen, wurde für mich zu einer Riesenaufgabe. Ich nahm mir vor: Jetzt räumst du die Spülmaschine ein. Doch bei der ersten Tasse war ich schon erschöpft. Gleichzeitig liefen in meinem Kopf alle Arbeiten ab, die ich noch zu erledigen hatte. Alle gleich wichtig, alle gleich dringend. Meine Gedanken rasten, aber ich stand da wie gelähmt.

Wegschmeißen durfte niemand etwas.

Mein Mann und die Kinder halfen beim Aufräumen, so gut es ging. Aber wegschmeißen durfte niemand etwas. Immer wenn es um den Haushalt ging, war bei uns gedrückte Stimmung. Ich schämte mich vor meiner Familie.

Dann hörte ich auf, in der Firma zu arbeiten. Aber zu Hause wurde es nicht besser. Richtig schlimm war es vor Weihnachten und Geburtstagen. Ich nahm mir zu viel vor, wollte alles perfekt machen: noch einen Kuchen backen, noch eine Hose nähen, ach ja, und noch ein Geschenk kaufen - nichts wurde fertig. Und alles war ein Beleg für mein Versagen.

Als die Kinder groß waren und kurz hintereinander auszogen, dachte ich: Jetzt wird alles einfacher. Das Gegenteil war der Fall. Ich schaffte es kaum, morgens aufzustehen. Dann stand ich zwei Stunden im Türrahmen der Küche und überlegte, was zu tun war. Danach war ich so müde, als hätte ich alles schon gemacht.

Mein Scheitern im Haushalt hatte tiefere Gründe

Erst eine Therapie half mir. Zum Glück ging es da nicht um Tipps zum Aufräumen. Das nützt den meisten Messies nämlich gar nichts. Auch mein Scheitern im Haushalt hatte tiefere Gründe. Mir wurde klar, dass ich mein Leben lang unsicher war. Schon als Kind hatte ich das Gefühl, ich bin nicht in Ordnung, ich mache alles falsch. Deshalb konnte ich nichts wegschmeißen. Die uralten Röcke etwa. Da ich nicht wusste, was mir überhaupt steht, musste ich eben alle behalten.

Ganz allmählich wurde ich selbstsicher. Das war wie ein zweites Erwachsenwerden. Ich brach den Kontakt zu meiner Mutter ab, machte eine Änderungsschneiderei auf und zog aus, um mehr Verantwortung für mein Leben zu übernehmen. Dann entrümpelte ich mit meinem Mann das Haus, warf all den Müll weg, all die "Schätze", die ich gebraucht hatte, um mich ein wenig wertvoller zu fühlen. Plötzlich konnte ich unterscheiden, was in den Müll gehört und was ich wirklich noch mal verwerten werde.

Heute kann ich die Spülmaschine sofort einräumen, wenn ich will. Aber was noch besser ist: Ich kann die Krümel auch mal auf dem Tisch liegen lassen, ohne mich gleich schlecht zu fühlen. Jetzt ziehe ich wieder zurück in unser Haus. Vorher will ich noch tapezieren. Ich muss mich zwar noch zwischen zwei Farben entscheiden. Aber früher hätte mich dieses Zaudern so blockiert, dass ich alles hingeschmissen hätte. Jetzt lasse ich diese Unsicherheit zu. Ich vertraue mir: Irgendwann weiß ich, was ich will.

Protokoll: Ariane Heimbach

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