Von wegen. Wie zwei Kinder berühmter Väter ihr unverwechselbares Profil entwickelt haben.
Hedwig Gafga, Autorin
19.07.2011

chrismon: Ihre Väter waren Ikonen der Nachkriegsgeschichte. Wollten Sie so werden wie der Vater?

Mariele Millowitsch: Nein. Er war mir aber ein berufliches Vorbild. Da habe ich sehr viel von ihm gelernt.

Lars Brandt: Ich bin einen ganz anderen Weg gegangen. Den ha- be ich aber nicht als eine Abwendung von ihm empfunden. Wir sind uns nahegekommen auf der Grundlage der Verschiedenheit. Mein Vater war ein durch und durch politischer Mensch, ich bin jemand, der sich früh für Kunst und Literatur interessiert hat.

chrismon: Wären Sie Ihren Namen gerne los gewesen?

Millowitsch: Nein. Für mich war klar: Entweder schaffe ich es als Schauspielerin mit diesem Nachnamen oder nicht. Ich wollte dem Namen Millowitsch meine Farbe geben. Ging es Ihnen als Kind auch so, dass Sie einen Größenwahn entwickelten, wenn Men- schen auf Sie reagierten mit: Oh, du bist der Sohn von . . .? Brandt: Es war gelegentlich ein bisschen befremdlich. So ent- setzlich viel muss so etwas aber nicht bedeuten, wenn man es nicht will. Für meine Freunde war das nicht weiter wichtig. Millowitsch: Ich habe geschwankt zwischen Runterspielen und Angeben. Mit zehn Jahren habe ich unheimlich angegeben, bis meine Freunde mich nicht mehr mochten. Heute spiele ich mich zu viel runter.

Brandt: Da muss doch jeder durch. Man sucht sich sein eigenes Terrain. Mein Interesse galt ohnehin Bereichen, in denen mein Vater und seine Kreise keine besondere Kompetenz hatten . . .

chrismon: Haben Sie sich diese Bereiche gewählt, weil Ihnen Ihr Vater da nicht reinreden konnte?

Brandt: Nein, aber wenn man sich für Malerei interessiert, dann ist die Sozialdemokratische Partei Deutschlands einfach nicht zuständig.

Millowitsch: Zumindest nicht zwangsläufig!

Brandt: (lacht) Auch wenn manche etwas anderes glaubten, zwischenzeitlich.

chrismon: Ihre Väter waren sicher ständig mit höchstwichtigen Dingen beschäftigt. Wie schafft man es da als Kind, überhaupt beachtet zu werden?

Brandt: Mein Vater hat mir nicht reingeredet. Das war ein großer Vorzug. Ich habe schon in sehr jungen Jahren ein enormes Maß an Freiheit und Verantwortung gehabt. Mit 15 spielte ich eine Rolle in dem Film „Katz und Maus“ und gab Interviews, ohne sie dem Vater vorlegen zu müssen. Dass bei uns nicht immer Eiapo- peia-Familienleben war, sondern Leute kamen mit Zigarette im Mund und die Schreibmaschine klapperte, fand ich gut. Es waren Journalisten, Leute aus der Emigrationszeit, ein buntes Völkchen. Heute finde ich es zuweilen befremdlich, in welchem Ausmaß Kinder anscheinend ihren Eltern Lebensinhalt liefern sollen. Das musste ich nicht. Die Eltern hatten genug mit sich selbst zu tun und mit dem, was sie machten, und dann gab’s auch noch uns.

chrismon: Frau Millowitsch, wie war das bei Ihnen?

Millowitsch: Die Freiheiten für mich als jüngstes von vier Kindern waren grandios. Ich musste nur gegen die Riege meiner älteren Ge- schwister eine gewisse Lautstärke an den Tag legen. Unser Vater war viel unterwegs. Er hat sich aber auch nie in mein Leben ein- gemischt. Ich habe ihn erst als Vater wahrgenommen, als ich in sei- ne Fußstapfen getreten bin.

chrismon: Sie sollten Schauspielerin werden.

Millowitsch: Das war immer klar. Aber häufig hat man mir gesagt: Theaterspielen muss wehtun, Privatleben wird keins stattfinden. Ich dachte: Moment mal. Ich möchte eine Familie haben. Nach dem Abitur ging ich nach München und studierte Tiermedizin. Aber auch bei der Entscheidung hat mir keiner reingeredet. Erst als ich damals nach dem Physikum eine Zeit lang keine Lust mehr hatte und Vater angerufen habe: „Ich schmeiße das jetzt hin“, hat er mir den Kopf gewaschen und darauf bestanden, dass ich das Studium zu Ende bringe. Das empfand ich als liebevolles Kümmern.

chrismon: Herr Brandt, Sie haben eine Ausbildung zum Journalisten begonnen. Hat Ihr Vater darauf Einfluss genommen?

Brandt: Nein. Ich weiß nicht, ob ihm das gefallen hat oder nicht. Ich habe das Volontariat nur kurz gemacht. Es kommt ja vor, dass man mit 20 etwas ausprobiert und merkt, dass man das doch nicht will.

chrismon: Gab es darüber mit Ihrem Vater Streit?

Brandt: Kein Wort. Damals habe ich meine Entscheidungen schon lange Jahre selbst getroffen. Das hat er nie bewertet.

Millowitsch: Haben Sie nichts erwartet, keinen Kommentar?

Brandt: Nein. Ich will gar nichts verherrlichen. So hat sich das eingespielt. Und es war klar, dass ich die Verantwortung trage.

Millowitsch: Wirklich? Haben Sie nicht ein kleines bisschen darauf gewartet?

Brandt: Na gut. Wer will sich davon ganz frei machen. Aber im Großen und Ganzen bin ich davon ausgegangen, dass wir uns in verschiedenen Welten bewegen. Dabei waren wir gerne zusammen. Wir sind viel zusammen verreist, er nahm mich oft auch auf of-fizielle Auslandsreisen mit. Später habe ich mehrere Jahre lang nebenbei Texte für ihn geschrieben und Reden entworfen. Das ging nur, weil ein Draht zwischen uns da war.

chrismon: Haben Sie mit ihm diskutiert?

Brandt: Natürlich, wir haben uns auch gestritten. Aber auch in diesen Auseinandersetzungen ist einiges an Vertrauen entstanden. Deswegen habe ich immer gewusst, auch zu den Zeiten, als ich den Kontakt zu ihm abgebrochen hatte, dass das Vertrauen nicht wirklich weg war.

chrismon: Wie kam es, dass der Kontakt mehrere Jahre unterbrochen war?

Brandt: Wir konnten nur miteinander auskommen, wenn wir unsere Unterschiedlichkeit achteten und einander mit einem gewissen Fingerspitzengefühl behandelten. Das nahm leider irgend- wann ab. Den Anlass zum Bruch gab mir dann ein für sich genommen nicht übermäßig gewichtiges Interview, in dem er es an Takt mangeln ließ und glaubte, seinen Söhnen nachsagen zu dürfen, manchmal seien sie einverstandener mit ihm als er selbst. Jedenfalls habe ich ihm einen Brief geschrieben und mich von ihm losgesagt.

chrismon: Haben Ihre Väter Ihnen einen Glauben oder eine grund- sätzliche Haltung zum Leben vermittelt?

Millowitsch: Bei uns zu Hause war, wie auch bei Ihnen, immer ein buntes Völkchen, alles was Rang und Namen hatte in unserer Branche. Mir wurde mitgegeben: „Jede Jeck is anners“, und dass man Menschen tolerieren muss. Das habe ich besonders von meiner Mutter gelernt. Mein Vater war sehr bodenständig und hat mir vermittelt, dass die Schauspielerei ein Beruf wie jeder andere ist, man hart für ihn arbeiten muss und sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen darf.

Brandt: Die Vorstellung, Widersprüche müssten immer ausge- räumt werden, ist letztlich totalitär. Das hat mit dem zu tun, was ich mit meinem Vater erlebt habe. Woraus eine andere Einstellung zum Widerspruch resultiert: Dass man den Widerspruch nicht als etwas sieht, was man unter allen Umständen ausräumen muss, sondern dass man damit leben kann. Dass Widersprüche dem Leben Zunder geben.

chrismon: Aber wollen Eltern nicht ihre Kinder lenken, ihnen eine Richtung zeigen?

Brandt: Mein Vater war nicht der Typ des Patriarchen, der darauf achtet, dass seine Leute irgendwo unterkommen. Ich bin ganz froh darüber. Als ich mit 16 Jahren nach Bonn kam, lebte ich schon in großer Unabhängigkeit. Ich hatte ein Zimmer, weit abgelegen im Haus meiner Eltern, ein eigenes Telefon, ein eigenes Badezimmer. Es herrschte durchaus eine gewisse Freundlichkeit. Aber man musste damit klarkommen, dass es aus der Perspektive meines Vaters um andere Sachen ging. Den hat es wirklich nicht interessiert, wenn ich für die Schule eine Unterschrift brauchte.

chrismon: Man denkt, wenn in der Familie etwas Dringendes anliegt, ginge das vor Weltpolitik oder Premieren.

Brandt: So hab ich meinen Vater nicht erlebt. Millowitsch: Nein, ich auch nicht. Für mich war er ein bisschen Dr. Jekyll and Mr. Hyde, auf der Bühne Willy Millowitsch und zu Hause mein Vater. Die beiden hatten miteinander nicht viel zu tun. chrismon: War er als Vater nicht so lustig?

Millowitsch: Eher nicht. Wenn es um Noten ging, war er aller- dings sehr nachsichtig. Ich werde nie vergessen, wie ich zwei Fün- fen im Zeugnis mit nach Hause brachte. Die Mutter hatte ihn auf- gestachelt, dass er uns lang macht. Ich stand oben an der Treppe, der Vater brüllte von unten: „Wir sprechen uns noch!“ – dabei zwinkerte er mir heimlich zu. Schulausbildung fand er nicht so wichtig. Er selber hatte auch keine besondere. Mein Vater hat von Kindesbeinen an hart gearbeitet. Wenn mein Vater zu Hause war, wurde versucht, ein Familienleben „hinzustellen“. Meine Mutter setzte uns an einen Tisch, möglichst gleich angezogen. Alles hat- te sich um Willy zu drapieren. Da höre ich mit Freuden, dass Sie mehr Luft für sich hatten.

Brandt: Ja, schon. Aber es gab auch gewisse Vorstellungen. Sonntags, wenn mein Vater da war, gab es etwas Gutes zu essen.

Millowitsch: Bei uns gab es immer das grauenhafte Frühstück um halb elf. Da mussten alle da sein. Brandt: Wir haben zusammen zu Mittag gegessen. Aber es hielt sich in Grenzen. Mein Vater war nicht dafür gemacht. Wenn der keine Lust hatte, dann redete er einfach nicht. Dann saß er da und grummelte vor sich hin . . . Millowitsch: Das konnte meiner auch. chrismon: Für Ihre Väter waren Theater und Politik ihr Leben. Sie hingegen sind nicht ans Millowitsch-Theater gegangen, Sie nicht in die SPD eingetreten.

Millowitsch: Bei mir war ein Bruder dazwischengeschaltet. Mein Vater hatte noch die Erbhofmentalität, unter der ich eine Zeit lang sehr gelitten habe, weil ich als Frau dieses Theater nicht bekommen hätte. Wenn ich ein Mann gewesen wäre, hätte mein Bruder nicht in die Fußstapfen des Vaters treten müssen. Jetzt hat er seinen Weg gemacht, aber anfangs hatte er es schwer.

chrismon: Hätten Sie das Theater gern übernommen?

Millowitsch: Es gab eine Phase, da hätte ich das sehr gern ge- macht. Aber mir war schon damals klar, dass ich nicht vom Vater als Vorgesetztem zum Bruder als Vorgesetztem wechseln würde. Es war hart für mich zu begreifen, dass für meinen Vater Frauen eine Stufe unter den Männern stehen. Da konnte ich mich noch so anstrengen. Dieses Messen mit zweierlei Maß hat mich seitdem immer aufgeregt. Und tut es heute noch.

Brandt: Manchmal frage ich mich, was sich unsere Generation zugutehalten kann. Das kann sie: In der Gleichberechtigung von Frau und Mann ist einiges erreicht worden. Hätte Ihr Vater Ihnen das Theater vererben können, gehörte es ihm?

Millowitsch: Das Haus gehört uns leider nicht. Aber den Namen und die Institution Millowitsch-Theater konnte er weitergeben.
begegnung

Brandt: Woran mein Vater bei dem Laden, dem er vorstand, nicht denken konnte. Aber er hätte die Vorstellung haben können, dass man sich in dem Milieu orientiert. Hat er aber nicht gehabt. Mir waren Parteien – auch seine – kein Bezugspunkt. Für mich zählten nur Einzelne, die etwas miteinander erleben. Meine ganze Lebenserfahrung läuft darauf hinaus, dass immer alles von einzelnen Leuten abhängt.

chrismon: Sie haben in Ihrem Buch „Andenken“ einzelne Momente aus dem Leben mit Ihrem Vater zu einem Mosaik zusammengefügt. Kennzeichnet das Ihre künstlerische Arbeit?

Brandt: Das Buch hat diese Struktur, weil ich nach einer Form gesucht habe, die Widersprüchlichkeit – in der Person meines Vaters, in mir selber und in unserem Verhältnis zueinander – nicht zu übertünchen. Ich wollte das Gebrochene in die Struktur des Textes hineinkriegen.

chrismon: Es gibt darin einige Wortschöpfungen, die hängen bleiben, etwa „menschliche Knauserigkeit“. Da benennen Sie ein Defizit Ihres Vaters.

Brandt: Es steht im Zusammenhang mit einem Geschenk, das ich meinem Vater zu seinem Geburtstag am 18. Dezember gemacht hatte, ein Buch von Brecht mit einer Widmung. Zu Weihnachten kriegte ich das Buch als Geschenk zurück. Er erinnerte sich offensichtlich nicht mehr daran, dass er das Buch von mir bekom- men hatte, die Widmung hatte er nicht gesehen.

chrismon: Ziemlich achtlos.

Brandt: In letzter Instanz bin ich zu der Auffassung gelangt, dass dieses Geschenk schon von meiner Seite aus gedankenlos war. Es sah aus, als ob es ein überlegtes persönliches Geschenk wäre, aber das war es in Wahrheit nicht. Ich hätte nicht erklären können, was ich ihm damit sagen wollte. Insofern ist mir recht geschehen.

chrismon: Menschliche Knauserigkeit, wie stand es damit bei Millowitsch?

Millowitsch: Mein Vater hatte ein Riesenherz. Wenn er von mir ein Buch bekommen hätte, wäre er’s zumindest durchgegangen und hätte die Widmung gesehen. Der Theaterregisseur Jürgen Flimm hat mal was Schönes über ihn gesagt: Vor lauter Angst, dass man ihn nicht lieb haben könnte, ist er so auf die Leute zugegangen, dass die gar nicht mehr anders konnten, als zurückzulieben. Ganz und gar ohne Berechnung. So war der einfach, ein Gefühlsmensch.

chrismon: Sie spielen Frauen, die sich einfach nicht unterkriegen lassen. Typisch Millowitsch?

Millowitsch: Weniger Millowitsch als Mariele. Ich musste einige Talsohlen durchschreiten. Ich habe gelernt, dass man wächst an solchen Zeiten der Unsicherheit. Ich habe für mich die Erfahrung machen dürfen, dass es weitergeht. Das hat mit mir zu tun, das ist mein Leben.

chrismon: Ihre Väter hatten trotz hohen beruflichen Engage- ments eine große Familie, Sie beide nicht.

Millowitsch: Es hat sich zeitlich nicht ergeben, in dieser Beziehung hatte ich ein schlechtes Timing. chrismon: Sind Sie sich selber treu geblieben?

Brandt: Ich mache das, was ich will, machen muss, und bin auch bereit, dafür zu zahlen. Bin auch bereit, daran zu verdienen (lacht).

Millowitsch: Wenn’s sich nicht vermeiden lässt.

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