Portrait Fatih Akin, chrismon September 2007
Fatih Akin , Regisseur , Juli 2007, Hamburg chrismon September 2007
Dirk von Nayhauß
Und die Angst, eine Pistole am Kopf zu spüren
Regisseur Fatih Akin beantwortet "Fragen an das Leben"
Dirk von Nayhauß
07.10.2010

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Ich habe einen zweijährigen Sohn, Emin Santiago heißt er. Der hat eine positive Einstellung dem Leben gegenüber, und die habe ich auch. Wenn er krank ist, wird mein Terminkalender sehr trivial, und ich sage, ohne mit der Wimper zu zucken, Termine ab. Die Werte verschieben sich. Eine der größten Aufgaben, die das Leben mir stellt, ist es, gute Filme zu machen. Aber durch das Kind habe ich gelernt: nicht mehr um jeden Preis. Beziehungen zu Freunden, Gesundheit - die setze ich schon eher für einen Film aufs Spiel, aber nicht Emin und meine Frau.

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Beim Drehen! Die sechs Wochen am Set sind immer eine sehr extreme Zeit, in der ich sehr wenig esse, aber das ist positiver Stress. Beim Schreiben bin ich eher introvertiert. Sehr lebendig fühle ich mich auch, wenn ich feiere. Es gibt doch nichts Schöneres, als nach einer tollen Party müde, aber glücklich mit dem Sonnenaufgang nach Hause zu spazieren! Vielleicht hört man durch ein offenes Fenster Leute beim Beischlaf. Allerdings ist der Weg zur Sucht nicht weit. Irgendwann wird es zur Gewohnheit, den Körper mit lauter fremden Elixieren zuzuschütten. Irgendwann fängt man an, sich für die kleinsten Nichtigkeiten zu belohnen. Manchmal fühle ich mich auch im Schmerz sehr lebendig. Sich aus Liebeskummer die volle Portion Melancholie zu geben und traurige Musik von Nick Cave oder The Cure zu hören - das kenne ich. Aber dieser Weltschmerz ist ja auch etwas sehr Romantisches.

Hat das Leben einen Sinn?

Bei der Geburt meines Sohnes habe ich zum ersten Mal gedacht: Das ist der Sinn des Lebens! Zumindest der Sinn, den wir von Natur aus haben. Aber letztlich ist das Leben doch voller Möglichkeiten und voller Sinne. Und es gibt viele Gründe, morgens aufzustehen.

An welchen Gott glauben Sie?

Mit "Auf der anderen Seite" habe ich einen Film über den Tod gedreht. Sechs Tage vor Drehschluss starb mein bester Freund, ohne Vorwarnung, an einem Hirnschlag - das könnte Zufall sein. Aber vielleicht gibt es auch jemanden, der einen Masterplan hat. Ich komme aus einem sehr religiösen Haushalt, meine Eltern beten fünf Mal am Tag, so bin ich aufgewachsen und erzogen worden. Ich selbst bin nicht religiös, die monotheistischen Religionen sind mir zu dogmatisch. Ich vermute aber, dass es einen Gott gibt, eine Kraft.

Muss man den Tod fürchten?

Ja, denn der Tod ist das große X , die große Unbekannte. Aber mit jedem Tod wird auch etwas geboren. Als Andreas starb, wurde mir sehr bewusst, dass ich irgendwann auch sterbe. Zugleich habe ich gelernt, dass Andreas weiterlebt - in dem, was er mir gegeben hat. Wenn ich heute nicht weiterweiß, denke ich: Andreas, was würdest du tun? Und ich höre ihn, wenn ich mich konzentriere. Ob ich selber schon dem Tod nahe war? Es gab einige Situationen, nach denen ich dachte: Mensch, da hast du Glück gehabt! Autounfälle, oder als ich überfallen wurde und mir einer die Pistole an den Kopf gehalten hat. Das ist mir schon mehrmals passiert. Ich war dann ziemlich ruhig und habe versucht, den Typ zu beruhigen: "Immer locker bleiben, du bist der Boss, du hast die Knarre. Was soll ich machen?" Erst hinterher kam die Angst.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Die Reihenfolge weiß ich jetzt nicht: die Liebe zu Emin, zu meiner Frau Monique, zu meiner Familie und meinen Freunden, die Liebe zum Leben. Monique ist sehr tolerant: Ich bin nicht einfach, bin oft unterwegs, bin viel mit mir selber beschäftigt. Chaotisch bin ich auch, natürlich. Haushalt - oh je! Ich lasse alles liegen und finde nichts! Ich kann andere ganz schnell auf die Palme bringen: Indem ich widerspreche, indem ich nicht zuhöre. Ich bewundere Monique, dass sie es mit mir aushält.

Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?

Ich habe im Augenblick gar nicht die Zeit zu träumen. Aber wenn ich ein Parallelleben hätte, würde ich Medizin studieren - einfach nur, um mehr über den Menschen zu wissen. Oder ich würde Kinder erforschen: Wann entwickeln sie soziale Beziehungen zu anderen Kindern? Welche Kinder geben gerne etwas ab - und warum tun die das? Oder die Frage: Ist der Mensch von Geburt an gut oder böse? Man stelle sich mal vor: Adolf Hitler als kleines Kind - wie war der? Hat man den liebkost und auf den Arm genommen, wenn er geweint hat?

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