Voll schön!
Der Mond ist aufgegangen. Und was geht diese Nacht? Kommen da vielleicht mehr Babys auf die Welt? Fünf kleine Mondgeschichten ­mit erhellenden Bildern von Jacky Gleich. Die Künstlerin hat für die edition chrismon das Abendlied von Matthias Claudius illustriert ­ siehe Seite 61. "Der Mond ist aufgegangen" für Kinder. Denn die kennen des Tages Jammer schließlich auch
07.10.2010

Ist doch schnuppe

Bei Vollmond sollten Sie sich die Haare schneiden lassen, wenn Sie ein dunkelhaariger Typ sind. Auch Wäschewaschen, Blumengießen und besonders galaktischen Sex können Sie auf angeblich schlaflose Vollmondnächte legen. Wenn Sie daran glauben. Sie können es allerdings auch lassen, denn nichts, aber auch gar nichts davon lässt sich beweisen. Nein, man schläft nicht schlechter bei Vollmond ­ eine 100-Watt-Birne soll 70-mal heller scheinen. Und die Anziehungskraft des Mondes wirkt zwar auf die Nordsee. Aber schon am Bodensee ist sie kaum mehr nachweisbar. Es kommen auch nicht mehr Babys zur Welt bei Vollmond, obwohl viele Hebammen das behaupten, und weder Polizei noch Telefonseelsorge verzeichnen mehr Notfälle: alles selektive Wahrnehmung. An dem Experiment, nach dem Kalender der "Mondin" zu leben, ist meine Münchner Frauen-WG schon in den 80er-Jahren gescheitert. Weil es in der Großstadt so viel störendes Kunstlicht gibt, sollten wir uns drei Nächte bei Vollmond ans düstere Ufer der Isar legen, damit sich unser Monatszyklus synchronisiert. Erst kam der jaulende Schäferhund eines Penners, dann ein Regenguss, dann die Angst. Nach zwei Stunden war mir derdiedas Mond völlig schnuppe, ich zog mit meinem Schlafsack zurück ins warme Bett. War wohl besser so. Der einzig nachweisbare Effekt des Vollmondes lautet nämlich: Es werden signifikant mehr Menschen mit Hundebissen ins Krankenhaus eingeliefert. Ursula Ott

Ebbe und Flut

Die Felder waren grün und das Auto, mit dem wir an die Nordsee fuhren, war rot. Keine Ahnung, wie alt ich war, vier, vielleicht fünf. Es war das Alter, in dem irgendwann einfach Sommer ist. Die Tage gleichen sich, und die Welt ist kein bisschen gefährlich. Sie ist ja ganz klein und hört an der nächsten Straßenecke schon wieder auf. An diesem Sommertag machten meine Eltern mir die Welt größer, sehr viel größer sogar. Der Strand von St. Peter-Ording war endlos. Doch das Meer, das meine Eltern mir versprochen hatten, war gerade nicht da. Ebbe. Die Nordsee war weg. Der Mond hatte sie angezogen und weit von uns entfernt aufgetürmt, lauernd. In ein paar Stunden, wenn der Mond das Wasser wieder loslassen würde, sollte es zurückkehren. Ich wollte nicht so lange warten und lief einfach los, immer geradeaus, das Meer suchen. Mal verlor ich mich im Spiel mit den Muscheln, mal in der Weite, die vor mir lag, aber voran kam ich trotzdem. Dann verlor ich die Ruhe. Ich blickte zurück und befürchtete einen Moment lang, zu weit gelaufen zu sein, die Menschen hinten am Strand waren kaum noch zu sehen. Dann sah ich ihn, meinen Vater. Er hatte mir meine neue Freiheit nicht nehmen wollen, war mir aber heimlich gefolgt. Er wusste, dass der Mond das Spiel mit dem Wasser nicht sein lassen würde, nur weil meine Welt noch so klein war. Nils Husmann

Angriff bei Neumond

Heute ist der Mond nicht aufgegangen. Alles dunkel ­ auch die Sternlein prangen nicht. Rabenschwarze Nacht. Wir stapfen talwärts von der Hütte im hinteren Bregenzer Wald. Zehn Pfadfinder auf dem Weg zu einem feindlichen Camp. Unsere Gruppenleiter haben mit denen des anderen Stamms ausgemacht, dass wir deren Lager überfallen. Wir sollen die Wachsamkeit testen, ihr Banner klauen, wenn's geht, und was sonst noch zu haben ist. Im vergangenen Jahr hatten sie uns auf diese Weise heimgesucht. Berthold, der Spezialist für derartige Unternehmen, hat uns Auserwählten am Vorabend mitgeteilt, nun sei der richtige Zeitpunkt gekommen: Neumond und dazu noch völlig bedeckter Himmel. Klar auch: Es gilt ­ außer im absoluten Notfall ­ völliges Taschenlampenverbot. Ein guter Scout brauche nur ein paar Minuten, dann könne er sich in der schwärzesten Nacht fast genauso gut bewegen wie bei Licht. Wir glauben es. Natürlich sind wir aufgeregt. Und ausgerechnet ich stolpere in Hörweite der feindlichen Zelte über eine Baumwurzel. Berthold faltet mich flüsternd zusammen. Drüben bei den Zelten glimmt nur die Glut des Lagerfeuers. Niemand rührt sich. Die Wache pennt. Glück gehabt. Wir holen uns das Banner und fesseln die beiden Wächter an den Fahnenmast. Als Alarm gegeben wird, sind wir längst im Wald verschwunden. Der Neumond ist unser Freund. Ich werde meinem Sohn nie eine Taschenlampe schenken. Arnd Brummer

Die geklaute Sichel

Unter allen Flaggen muslimischer Staaten gefällt mir die turkmenische am besten: Sie zeigt einen zunehmenden Mond, keinen abnehmenden, wie es die Türken, Algerier, Tunesier oder Usbeken tun, und erst recht zeigt sie keine trunken nach hinten gekippte Sichel wie die der Pakistaner. Der muslimische "Halbmond" ist ein mächtiges Symbol ­ auch wenn er in Wirklichkeit keiner ist. Ein einziger Blick genügt, um zu erkennen: Er ist nur eine Sichel. Der Rote Halbmond, jene humanitäre Organisation, nennt sich auf Englisch bezeichnenderweise Red Crescent und nicht etwa Red Half Moon. Fest steht jedenfalls: Das zentrale muslimische Symbol ist Raubkunst. Die Stadt Konstantinopel, der Göttin Diana verbunden, trug es in ihrer Stadtflagge. Islamische Armeen und Karawanen zogen damals einfarbigen Flaggen hinterher, grün, schwarz oder weiß. Als die Osmanen dann 1453 Konstantinopel eroberten, übernahmen sie das Symbol der Stadt. Auch in Halle an der Saale hätten die Muslime fündig werden können, diese Stadt hatte drei Jahre zuvor die Sichel ins Wappen genommen. Vermutlich war dies aber ein Symbol für Jesu Mutter Maria. Und damit sind wir bei weiteren offenen Fragen: Die Sichel, auf der Maria in der katholischen Kirche stehend abgebildet wird, könnte der Planet Venus sein, in dem viele Religionen die Göttin der Liebe erblickten. Eine solche Liebessichel hätten die Osmanen aber nie und nimmer zum Symbol erkoren. Nachteilig auch: Am Himmel ist sie kaum erkennbar. Eduard Kopp

Und dann noch das Käuzchen

Guck mal, die Sonne geht unter, sagt mein Mann. Eine Scheibe hängt groß über dem Kiefernwald, sie leuchtet wie frisch geputztes Kupfer. Moooment. Haben wir nicht vor gerade zwei Stunden die Sonne in der Ostsee versinken sehen? Einen roten Ball, leuchtend wie, na ja, wie eine untergehende Sonne? Und war das nicht großartig und übrigens gegenüber, auf der anderen Seite? Egal. Mein Mann ist nicht uneinsichtig, aber romantisch. Bestimmt käme ihm auch, sähe er den Mond über Soho, der ganze verdammte Fühlst-du-mein-Herz-schlagen-Text in den Sinn. Das ist schön. Der aufgehende Mond auch. Er ist so groß, so rund, und er wird immer kleiner, während er steigt. Der helle Kupferton wird silbrig, kühl, die Nacht stiller, und die Kiefern, die Zaunpfähle, der Mann, sie werfen unheimliche Schatten. Die Sonne macht das, hintenherum, über den Mond. Das ist das Unheimliche. Es ist fast hell, aber dieser Helligkeit ist nicht zu trauen. Jetzt sollten Hunde heulen, Käuzchen schreien, Wolfsmenschen ihr übles Nachtwerk vollbringen. Aber es ist still. Ein scharfer Glanz liegt auf der Ostsee. Die Welt hat etwas Irreales, und den Stacheldraht hier, den hab ich nicht gesehen, den hat mir der Mond verheimlicht. Du musst furchtlos sein, sagt mein Mann, wenn du im Mondlicht gehst. Stell dir vor: jetzt noch Nebel, nur so eine dünne Schicht. Wär das nicht entsetzlich schön? Und schreit da nicht doch ein Käuzchen? Anne Buhrfeind

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