Mitten im Leben
Stallgeburt, Sternenschweif, Königsbesuch: In der biblischen Weihnachtserzählung finden die Menschen starke Bilder, die ihre innersten Gefühle ansprechen. Acht Krippengeschichten aus dem Hier und Jetzt
07.10.2010

Cemile Ballnus, 35, Frauenärztin in Hamburg

Die Geburt Jesu würde man heute eine Hausgeburt nennen. Sicherlich: Dass die Mutter ihr Kind in eine Krippe gelegt hat, klingt heute ungewöhnlich. Aber Hauptsache, es liegt sicher. Und auf frisches Heu gebettet, dürfte es keine gesundheitlichen Risiken geben. Ich persönlich hätte auch kein Problem, mein Kind dort hineinzulegen. Ich selbst bin in meiner Kindheit häufig auf dem Bauernhof meiner Großeltern gewesen und nie durch die Tiere krank geworden. Ansonsten wird es im Stall von Bethlehem so zugegangen sein wie zu allen Zeiten: Mütter nehmen ihr neugeborenes Kind auf, sie wickeln und stillen es. Heutzutage legt man das Kind nach der Geburt allerdings eher auf die Brust der Mutter als in eine Krippe.

Die schönsten Geburten sind für mich jene, in denen die Paare miteinander stimmig sind und bei denen die Geburt glücklich verläuft, sie alles um sich herum vergessen und sich nur noch über dieses Kind freuen. Wie bei diesem afrikanischen Paar, das voller Glück über seinen Sohn Rashaad ist, den ich hier gerade auf dem Arm halte. In solchen Situationen bin ich manchmal immer noch zu Tränen gerührt. Wenn das Glück der Eltern unfassbar groß scheint, ist das auch für mich als Ärztin besonders schön.

Hinrich Poppe, 44, Biobauer in Ruschwedel bei Stade

Ich lebe von Kindesbeinen an auf dem Bauernhof. Bei uns auf dem Hof gab es immer einen engen Kontakt zwischen Kindern und Tieren. Wenn zum Beispiel Stuten ihr Fohlen bekamen, gab es eine Regel: Das Kind, das dem Bauern als Erstes mitteilte, dass die Geburt beginnt, bekam ein Taschengeld. Es ist nämlich so, dass die Stuten von Natur aus die bevorstehende Geburt nicht zeigen wollen. Die Kinder waren schlau: Da die meisten Geburten nachts stattfinden, legten sie sich abends in die Krippe, um den Beginn der Geburt nicht zu verpassen. Bei all der Aufregung vor den Geburten kam es oft so, dass den Kindern die Augen zufielen. Sie schliefen dann so fest, dass sie trotz all der Unruhe im Stall sogar die Geburt verpassten. Der Bauer ist hingegen rechtzeitig zur Stelle, weil er irgendwie spürt, dass es nun so weit ist. War das Junge dann da, weckten wir die Kinder ­ eine schreckliche Enttäuschung für sie. Heute sind die Verhältnisse etwas anders: Wir können eine Videokamera im Stall installieren und das Geschehen aus der Ferne beobachten. Oder die Tiere haben einen Geburtsmelder umgebunden. Aber eigentlich macht es mehr Spaß, daneben zu sitzen, sich zu unterhalten und darauf zu warten, dass es losgeht. Und was die Krippen angeht: Sie haben heute nur noch eine Länge von 30, 40 Zentimetern. In ihnen kann man nicht mehr schlafen. Wenn die Kinder im Stall schlafen, dann irgendwo im Stroh.

Axel Bulthaupt, 39, TV-Moderator in Leipzig

Für mich hat eine Sendung eine ganz besondere Bedeutung: die José Carreras Gala, eine Benefizgala für leukämiekranke Menschen. Wir stellen in ihr die Schicksale von neun, zehn kranken Menschen vor. Es gibt die Gala seit zehn Jahren, wir haben inzwischen mehr als 60 Millionen Euro an Spenden eingenommen. Ich weiß, was die Sendung für leukämiekranke Menschen bedeutet: Sie erfahren, dass sich viele Menschen mit ihnen und ihrem Leiden auseinander setzen. Neben all den schrecklichen Botschaften und all dem Unsinn, der aus der Glotze kommt, erfüllt das Fernsehen in diesem Fall eine wirklich sinnvolle Aufgabe: Es hilft. Für viele Menschen können die Spenden im wörtlichen Sinn lebensrettend sein. Vom Retten ist ja auch in der Weihnachtsgeschichte die Rede.

Besonders stark bewegt hat mich folgende Geschichte: In einem Leipziger Krankenhaus besuchte ich als Moderator ein leukämiekrankes Mädchen. Sie wünschte sich so sehr, später einmal selbst Moderatorin zu werden. Ich zeigte den Film und lud sie ein, in der Sendung ein Jahr später einige Musiktitel anzusagen. Genau so kam es: Sie war wieder gesund, kam in die Sendung. Doch wieder ein Jahr später musste ich verkünden: Sie hat es nicht geschafft, sie hatte einen tragischen Rückfall. Ich habe viele Sendungen moderiert, und viele gute Nachrichten vorgetragen. Aber in einer solchen Situation kann ich meine Gefühle natürlich nicht unterdrücken. Das hat auch damit zu tun, dass meine Großmutter und meine Mutter durch den Krebs gestorben sind.

Markus Roth, 37, AstroteilchenPhysiker am Forschungszentrum Karlsruhe

Wenn ich an Weihnachten denke, dann fällt mir der Anfang des Weihnachtsliedes "Vom Himmel hoch, da komm ich her" ein. Unsere Arbeit besteht darin, mehr über die Entstehung, Entwicklung und Geschichte unseres Universums zu erfahren. Vom Pierre-Auger-Observatorium aus, unserem Projekt in Argentinien, suchen wir Teilchen aus dem All. Das können Protonen, Eisenkerne oder andere Dinge sein, die mit extrem hohen Energien auf unsere Erde treffen. Diese kommen zum Beispiel von Sternexplosionen und kollidierenden Galaxien, und wir weisen sie nach. Die Energien sind so enorm, dass es sie nach unserem heutigen physikalischen Verständnis gar nicht geben dürfte. Mich fasziniert, dass wir bei unserer Arbeit Neues oftmals sozusagen am Rande entdecken: Unvorhergesehenes, über das wir als Wissenschaftler so noch nicht nachgedacht hatten. Das macht mir als Physiker Freude. Wir werden ständig bombardiert mit Folgeprodukten der kosmischen Strahlung, es ist wie ein Luftschauer oder ein Teilchenregen, der auf uns niederprasselt. Wir messen diese Folgeteilchen und wir stellen Teleskope auf, um in der Nacht die Leuchtspur zu messen, die sich entlang dieser Luftschauer entwickelt. Der Spiegel auf dem Foto neben mir ist ein Teil der Teleskope. Unser Experiment zielt darauf, die Quellen dieser Teilchen zu finden, ein Objekt oder einen physikalischen Mechanismus.

Hans-Friedger Lachmann, 50, Produktionsleiter im Zeiss-Grossplanetarium Berlin

Mit 15 Jahren habe ich zum ersten Mal mit einem Fernrohr die Sterne betrachtet; heute bin ich noch genauso fasziniert davon wie damals. Man sieht im Prinzip nicht mehr als winzige Lichtpunkte, und gleichzeitig weiß man, dass man etwas Gigantisches vor sich hat. Mich wundert es nicht, dass es ein Stern ist, der eine so große Rolle in der Weihnachtsgeschichte spielt.

Ich kenne den Sternenhimmel wie meine Westentasche. Und doch bin ich insgeheim immer auch auf der Suche nach etwas Neuem, Unbekanntem. Mit meiner Familie fahre ich schon seit vielen Jahren im Sommer nach Griechenland auf die Insel Kreta. Da ist die Luft so klar. Es vergeht kein Abend, an dem ich nicht mindestens fünfzehn Minuten die Sterne beobachte. Vor etwa zehn Jahren ist mir etwas Merkwürdiges passiert. Ich hatte mir ein dunkles Plätzchen gesucht, um den Aufgang des Jupiters zu sehen, und blickte in nordöstlicher Richtung übers Meer. Plötzlich entdeckte ich zwei neblige Flecken überm Wasser. Es war mir ein völliges Rätsel, was das sein könnte. Die Flecken haben mir keine Ruhe gelassen. Ganz ähnlich muss es damals den drei Weisen gegangen sein, als sie den Stern von Bethlehem gesehen haben. Nach ein paar Stunden habe ich sie mir noch einmal genau angeschaut. Und da machte es klick: Es mussten die beiden so genannten offenen Sternhaufen im Perseus sein. Das sind Ansammlungen von vielen räumlich benachbarten Sternen. In Berlin habe ich diese noch nie beobachten können, weil es dort eben nie so klar ist. Das war ein glücklicher Moment.

Günter Piening, 55 Jahre, Beauftragter für Migration und Integration des Berliner Senats

Ob das Jesuskind vor 2005 Jahren eine Geburtsurkunde bekommen hätte? Ich weiß es nicht. Heute jedenfalls stehen Eltern, die in der Fremde ein Kind bekommen, vor großen Hürden. Ich habe es oft mit dramatischen Schicksalen zu tun, weil neugeborene Kinder von Flüchtlingen häufig keine Geburtsurkunde erhalten.

Vor einiger Zeit hatten wir einen Fall, der mich besonders berührt hat. Das Kind war kurz vor Weihnachten in Berlin geboren, die palästinensischen Eltern waren aus dem Libanon nach Deutschland geflüchtet. Sie besaßen eine Duldung, aber sie hatten wie alle palästinensischen Flüchtlinge keinen Pass, sondern nur einen UN-Flüchtlingsausweis für Palästinenser. Das Standesamt hat ihnen deshalb lediglich eine Bestätigung darüber ausgestellt, dass "ein Kind männlichen Geschlechts von einer angeblichen Frau T. geboren" wurde. Die Eltern waren fassungslos. Eine Geburtsurkunde ist ja viel mehr als nur ein Papier ­ es ist ein Nachweis, dass ein Mensch existiert. Dem Kind wurde also in gewissem Sinne die Existenz abgesprochen, es war in den Augen der Behörden nur ein angebliches Kind! Und natürlich fühlten sich auch die Eltern selbst zutiefst infrage gestellt.

Mit unserer Unterstützung hat der Junge dann doch noch eine Geburtsurkunde bekommen. Die Eltern klagten vor dem Amtsgericht. Trotz des erbitterten Widerstands der zuständigen Senatsverwaltung für Inneres entschied das Gericht zugunsten der Familie. Helmi, so heißt das Kind, hat jetzt also eine Geburtsurkunde und wird später, so hoffe ich, einmal problemlos einen Pass bekommen oder heiraten können. Inzwischen wurde die Dienstanweisung für Standesbeamte geändert, so dass sie in vergleichbaren Fällen Geburtsurkunden ausstellen können. Aber leider haben wir es trotzdem immer wieder mit solchen Schicksalen zu tun.

Anja Kohl, 35, Börsenjournalistin in Frankfurt am Main

Die Weisen aus dem Morgenland, an die ich denken muss, bringen nicht Gold, Weihrauch und Myrrhe, sondern sie haben mit flüssigem Gold zu tun. Sie sind Ölscheichs und stammen aus Kuwait. Schon vor Jahrzehnten machten sie sich auf den Weg an die deutsche Börse. Lange suchten sie hartnäckig nach einer einträglichen und inflationssicheren Anlage ­ im eigenen Land gab es die nicht. Sie fanden sie schließlich in Deutschland.

1974 stiegen die Kuwaitis bei DaimlerChrysler, damals noch Daimler-Benz, ein. Viele hatten in jenen Tagen Bedenken, dass es den Scheichs nur ums schnelle Geld geht, dass sie ­ wie manche Politiker heute sagen ­ "Heuschrecken" sind. Die Angst, dass ein deutsches Top-unternehmen vom Persischen Golf aus ferngesteuert werden könnte, ging um. Heute wissen wir, dass die Männer aus dem Morgenland zu den verlässlichsten Investoren überhaupt gehören. Während deutsche Banken jetzt in der Krise ihre Daimler-Aktien am liebsten so schnell wie möglich versilbern würden, halten die Kuwaitis an ihrem Engagement fest. Sie haben zwar einen kleinen Teil ihrer Anteile verkauft, aber im Grunde sind sie Daimler treu geblieben. Während bei uns der Zweifel allgegenwärtig scheint, haben sie sich das Vertrauen bewahrt. Und auch sonst halten sie sich zurück. Anders als man es von großen Königen erwarten könnte, sagen sie den deutschen Managern eben nicht, wo es langgeht. Natürlich handeln sie nicht komplett uneigennützig. "Das Geld aus dem Öl", sagte einst Scheich Hamad, "ist unser einziges Kapital. Wir müssen es so anlegen, dass auch noch zukünftige Generationen davon leben können."

Mandy Schröter, 45, US-Heimkehrerin

Es ist schwer zu beschreiben, wie es ist, in ein völlig fremdes Land gehen zu müssen. Als ich in Frankfurt/Main ankam, besaß ich kaum etwas und konnte kein Wort Deutsch. Ich habe in den USA eine Gefängnisstrafe abgesessen, und weil ich keinen amerikanischen Pass habe, wurde ich danach einfach ausgewiesen. Ungeachtet dessen, dass ich 40 Jahre dort gelebt habe. Ich fühlte mich heimatlos, das war noch schlimmer, als für eine kurze Zeit keine Herberge zu haben, wie es seinerzeit Maria widerfuhr. Bei der Ankunft im Frankfurter Flughafen war mir alles unheimlich. Der ist so groß, dass man darin verloren geht. Ich war sehr verängstigt, obwohl ich wusste, dass mich jemand von der Flughafenseelsorge erwartet und ich nicht unter einer Brücke schlafen muss. Ich fühlte mich sehr klein. Das Schlimmste war, dass mich die Polizei sieben Stunden festhielt, bis mich die Mitarbeiterinnen von der Seelsorge fanden. Sie besorgten mir eine Fahrkarte und brachten mich zum richtigen Zug. Das war unglaublich lieb. Die meisten Menschen waren sehr freundlich zu mir. Das erste Mal, dass ich mich ein bisschen sicher fühlte, war, als mich ein Freund am Bahnhof in Essen abholte. Es ist ein gutes Gefühl, wenn jemand da ist. Nun lerne ich Deutsch. Ein bisschen Zeit habe ich gebraucht, um mich in der Stadt zurechtzufinden. Aber glücklich gemacht hat mich, dass ich nicht allein bin und dass sich hierzulande die Menschen füreinander verantwortlich fühlen.

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