Zelte des Konfirmanden-Camps in Wittenberg
Zelte des Konfirmanden-Camps in Wittenberg
Jasmin Zwick
Tragt euch auf Händen!
150 junge „Teamer“ bereiten sich auf das große Konfirmanden-Camp im Reformations­sommer bei Wittenberg vor
Portrait Manon Priebe, online-Redaktion chrismonLena Uphoff
15.10.2016

Rituale sind wichtig. Also steht Tim Rothe an einem heißen Augusttag mit 150 anderen Jugendlichen auf der Rasenfläche des Reitclubs Wittenberg im Kreis und klatscht im Rhythmus des 90er-Jahre-Hits „Narcotic“ seinen Nachbarn auf die Schenkel. Ein Klassiker unter den Spielen auf Konfi-Freizeiten. Tim beweist damit Mut zur „Selbstblamage“ – unab­dingbar für einen richtig guten, einen lockeren ­Teamer, sagt der 18-Jährige.  

Tim Rothe
Das ist fast überall in Deutschland so: Ehrenamtliche Jugendliche gestalten gemeinsam mit Diakon oder Pfarrer den Konfi-Unterricht in ihrer Kirchengemeinde. Ein Jahr dauert er. Er bereitet auf die Konfirmation vor und beginnt fast immer mit einem Zeltlager. Mehr oder weniger weit entfernt von der Gemeinde. Im Reformationssommer aber, elf Wochen lang von Juni bis hinein in den September, sollen pro Woche 1400 Konfirmanden nördlich von Wittenberg campen. Sie sollen Spaß haben und ganz eigene Erfahrungen machen. 

Dafür entsteht eine Zeltstadt aus 15 „Dörfern“: mit Schlaf­zelten, jeweils einem großen Veranstaltungszelt, Arbeits- und Essenszelten. Na klar: Auch die Kirche ist ein Zelt. Tim hat das Abi frisch in der Tasche und will Verantwortung übernehmen. Seit 2013 fährt er jährlich mit 30 bis 40 Augsburger Konfirmanden für elf Tage nach Italien. Vielleicht wächst man so ganz natürlich in die Rolle eines Vorbilds. Tim, das dichte schwarze Haar mit Bedacht verwuschelt, sagt jedenfalls voller Überzeugung und ohne dass man lange nach seiner Haltung fragen muss, Sätze wie: „Es reicht nicht, in Andachten vom Glauben zu reden. Viel sinnvoller ist es, wenn ich die christlichen Werte den Konfis vorlebe.“

„Glaube und Religion verschwinden immer weiter von der Oberfläche unserer Gesellschaft“, sagt Tim. Und doch bedeuten sie etwas, auf jedem Bolzplatz. Jeder Amateurfußballer weiß, dass nichts ohne seine Mitspieler und feste Regeln geht. Dass Respekt vorm Gegner nötig ist. Und dass der Schiedsrichter bei Tor wie Foul das letzte Wort hat. „Gemeinschaft, Respekt und Nächstenliebe: Wer das lebt, ist ein guter Christ. Die meisten wissen es nur nicht!“ 

Crowdsurfing statt Jesaja-Zitate

So reflektiert wird kaum ein Konfirmand das Camp verlassen. Aber alle werden mehr über „Trust and try“ wissen als vorher: Das Vertrauen in Gott und Mitmenschen und der Mut, Neues aus­zuprobieren – das ist das große Thema im kommenden Sommer. Zu Beginn jeder Unterrichtseinheit erläutert ein gewisser Martin L. Uther – nicht im 500 Jahre alten Kostüm, denn das wäre, finden die Camp-Planer, „dilettantisch und halb peinlich“ – im Video seine ­reformatorische Sicht. Zum Beispiel auf die Sache mit dem Respekt oder zu der Frage, ob der Wert eines Menschen an seine ­Leistung gekoppelt ist.

Und wie vermittelt man Gottvertrauen auch solchen Kindern, deren Eltern keine Bücher, geschweige denn eine Bibel im Haus haben? Statt ­Jesaja 43 – „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; ­­du bist mein!“ – auswendig lernen zu lassen, em­pfehlen die Camp-Leiter Crowdsurfing. Also lernen Tim und  die anderen Teamer, wie eine kleine Menschenmenge Konfis gefahrenfrei auf Händen trägt: Eng bei­sammenstehen, dem Konfi gut zureden, aber ihn nicht bedrängen. Anfangs fänden die Konfirmanden Kirche noch richtig uncool, weiß Tim aus Erfahrung. Dann kommen die Rituale: Jeden Abend bei Fackelschein zusammensitzen und „Der Mond ist aufgegangen“ singen, verbindet, schweißt zusammen. Die Botschaft: „Gott ist bei uns, wenn wir zusammen sind und etwas tun, was uns Spaß macht.“

Vormittags Konfi-Unterricht, nachmittags die geballte Ladung Reformation

Dafür füllen die Teamer jetzt schon mal Autoreifen mit Blumenerde, Blumen und Kräuter sollen daraus sprießen. In die ausgesägten Kerben von Baum­stämmen stellen sie ihre ausrangierten Lieblingsbücher. Ein paar Jugendliche stehen auf einer Leiter an der Böschung und lassen Sägespäne in gestutzte Feuerwehrschläuche rieseln. Geschickt verwoben, sollen daraus mal Sitzgelegenheiten werden. Und immer spritzt irgendjemand mit einer Wasserpistole, landet irgendwo ein Eimer Wasser auf Mädels in Sommerklamotten.

Vormittags Konfi-Unterricht, nachmittags die geballte Ladung Reformation im historischen Zentrum Wittenbergs: Ausflüge zum Lutherhaus, zum Melanchthonhaus und zu den Cranachhöfen. Zum Abschluss gibt es eine Andacht in der Kirche des Thesenanschlags, der Schlosskirche. 

Keine einfachen Antworten auf schwierige Fragen

Tim hat verinnerlicht, dass jeder – so sehr er ihm auch auf die Nerven gehen mag – ein Kind Gottes ist. Einem penetranten Wirbelwind, der sich hauptsächlich mit Pöbeleien in die Gruppe eingebracht hat, verordnete Tim mal Tagebuchschreiben. „Der saß dann jeden Abend ruhig da und hat geschrieben, ­30 Seiten voll.“ 

###autor###Im großen Versammlungszelt hängen weiße ­Plakate mit den großen Fragen: „Hilft Beten?“, „Woher weiß ich, dass Gott mich hört?“ und „Warum macht Gott nicht einfach alles gut?“ Kann ein 18-Jähriger so bibelfest sein, dass er anderen solche Fragen beantwortet? Tim hat Grundkurse belegt und Schulungen mitgemacht, nicht zuletzt selbst solche Fragen auch im Konfirmationsunterricht gestellt. „Ich antworte dann so was wie: ‚Das ist eine schwierige Frage. Auf schwierige Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Was meinst du denn?‘“ Das Ziel sei schließlich nicht, dass die Jugendlichen am Ende das Camp als gläubige Christen verlassen. „Zweifel sind doch völlig okay!“

Gänsehaut bekommt er, wenn die Jugendlichen am Ende sagen, dass sie jetzt verstünden, was christlicher Glaube sei und an ihm gesehen hätten, wie er im Alltag präsent ist. 

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