Der Prinz und die Bibel
Wie der äthiopische Prinz Asserate Asylant wurde und seine amharische Bibel umso mehr schätzen lernte
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
15.06.2016

Sind religiöse Fragen peinlich? Als Asfa-Wossen Asserate, deutsch-äthiopischer Schriftsteller und Unternehmensberater, 2003 sein viel beachtetes Buch "Manieren" herausbrachte, stießen die Leser auf eine abenteuerliche Liste zum Thema "Was ist hässlich?" Eine der Antworten lautete: "Fremde Leute beim Abendessen zu fragen: Glauben Sie an Gott?" In der Liste fanden sich auch Hässlichkeiten wie: "Rotweingläser zu voll schenken" und "Mit nacktem Oberkörper am Esstisch sitzen". Auch dabei: "Sich im Theater mit dem Rücken zu den Sitzenden durch die Stuhlreihen zwängen."

Nein, peinlich sind religiöse Fragen nicht, aber manchmal die Weise, wie sie gestellt werden. Dreizehn Jahre später spricht Asserate, Großneffe des gestürzten Kaisers Haile Selassie, offen über seine religiöse Erziehung und darüber, wie wichtig ihm, dem äthiopisch-orthodoxen Christen, religiöse Bücher sind, und vor allem in der Zeit, als er vor der sozialistischen Revolution in Äthiopien ins deutsche Exil musste. Geflohen, so wie afrikanische Flüchtlinge heute fliehen, ist Prinz Asserate nicht, aber er wurde in kürzester Zeit zum Heimatlosen. Aber zwei Bücher hütete er wie seinen Augapfel: ein handgeschriebenes Gebetbuch und eine Bibel im amharischer Sprache.

"Mein Glaube ist mein größter Anker im Leben"

Prinz Asserate sagt über sich selbst: "Ich bin der klassische Asylant, wie er im deutschen Grundgesetz steht." Das kam so: Er war Jura- und Wirtschaftsstudent in Tübingen, als die sozialistische Revolution Äthiopien überrollte. Der Kaiser wurde von den Militärs im September 1974 abgesetzt, ein knappes Jahr später fand man ihn, mit einem Kissen erstickt, tot auf. Bei der Bonner Botschaft seines Landes wurde Prinz Asserates Pass nicht verlängert, er war ausgebürgert. Bis 1991, dem Ende der Militärdiktatur Mengistus, musste er sein Vaterland meiden. 1976 hatte er eine Menschenrechtorganisation gegründet. Er nutzte seine vielen Kontakte als PR-Fachmann und Unternehmensberater, um politische Gefangene in Äthiopien freizubekommen.

"Durch die ganzen schlimmen Jahre hat mir mein Glauben Halt gegeben", sagt Asserate. "Mein Glaube ist mein größter Anker in meinem Leben."

Prinz Asserate O-Ton

Im Video für das Frankfurter Bibelhaus Erlebnis Museum ist Prinz Asserate einer der Gewährsleute der Ausstellung "fremde.heimat.bibel." Dort berichten Flüchtlinge über ihre religiöse Verankerung im Christentum. Einem Einblick gibt es hier im Video.

Asserate ist tief in der äthiopisch-orthodoxen Religiosität verwurzelt. Die Orthodoxie prägt das ganze Land. Schon seit dem Jahr 320 war das Christentum Staatsreligion, eine sehr traditionsbewusste Religion. Die Hochschätzung Marias, der Mutter Jesu, und der Engel geht so weit, dass es eigene Gebetbücher für sie gab. In die Sprache des Alltags, das Amharische, wurde die Bibel erst im 19. Jahrhundert übersetzt.

Besonders angetan haben es Asfa-Wossem Asserate Luthers Bibelübersetzungen. Ihn stören ältlich wirkende Textpassagen kein bisschen. "Die Sprache von heute kommt nicht annähernd an die Sprache Luthers heran", sagt er. Da wird ihm die im Oktober 2017 erscheinende Revision der Lutherbibel sicherlich gefallen: Sie dreht einige der zu modern geratenen Übersetzungen aus den achtziger Jahren zurück, setzt wieder auf ungewöhnliche Konjunktive und eigensinnige Satzmelodien. Auch Luthers bildhafte Wortschöpfungen kehren ungekürzt in die Bibel zurück.

Einen originellen Vorschlag unterbreitet Asserate, um die Glaubensspaltung zwischen der Ostkirche (der Orthodoxie) und den Kirchen der Reformation zu überwinden. "Wir vergessen bei Luther immer wieder: Er war ein katholischer Ordensmann", sagte Asserate. "Wenn es zu einer Annäherung der evangelischen Kirche mit der Orthodoxie kommen soll, dann kann das nur über Martin Luther gehen." Er hofft, dass sich alle getauften Christen "in irgendeiner Art und Weise wieder in einer Kirche zusammenfinden". Er habe keine Problem mit Martin Luther, schiebt er nach. "Wenn Sie und ich Anfang des 16. Jahrhunderts gelebt und die Situation der Kirche damals gesehen hätten, dann wären Sie auch auf seiner Seite."

Seine Lutherbegeisterung ist überhaupt kein Widerspruch dazu, dass er seit seiner Ausbürgerung seine Bibel und sein handgeschriebenes Gebetbuch noch mehr in Ehren hält.

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