Bürgerwehr in Ebrine bei Nacht
Zara Järvinen
Das gespaltene Dorf
Jean Rabbat ist Polizist, Elie Fares gehört der Supermarkt. Sie leben in Ebrine, einem christlichen Ort in den Bergen des Libanon. 700 Syrer sind bis jetzt nach Ebrine geflohen, Muslime. Jean hat Angst und gründet eine Bürgerwehr. Elie verdient an den Flüchtlingen
und fürchtet um den Frieden
Zara Järvinnen
03.03.2015

Um acht Uhr macht Elie, der Supermarktbesitzer in Ebrine, seinen Laden dicht. Er zieht das schwere Eisentor zu und bringt ein Vorhängeschloss an. Für Jean,­ den Polizisten, beginnt dann die Schicht. Er schlüpft in schwarze Stiefel, steckt die Beine seiner blauen Uniformhose hinein, legt den ­Gürtel mit der Pistole an. Seitdem die Syrer nach Ebrine gekommen sind, verstehen sie sich nicht mehr. „Der Sheriff“, sagt Elie über Jean verächtlich, Jean nennt Elie „Verräter“.

4000 Menschen leben in Ebrine. Es ist  eine Ansammlung von weiß getünchten Häusern und Kirchen, die über die Bergkuppen versprengt sind. Alle paar Hundert Meter flankieren Schreine die Straße nach Ebrine, mal mit einer Marienstatue, mal mit Jesus, mal mit einem libanesischen Heiligen, geschmückt mit Kerzen und Blumen. Je ferner die Küste, desto enger die Straßenkurven. Hier, unterm schneebedeckten Gipfel des Mount Libanon, liegt das Kernland der libanesischen Christen, das Rückzugsgebiet der Maroniten. Von den 1,2 Millionen syrischen Flüchtlingen im Libanon haben 700 in Ebrine Zuflucht gefunden. Erst waren sie Menschen in Not, dann wirtschaftliche Konkurrenten für die Einheimischen. Inzwischen nimmt man sie als terroristische Bedrohung wahr. Wie konnte es dazu kommen?

Das Gerede

Wo der Polizist wohnt, weiß jeder in ­Ebrine. Jean Rabbat ist ein großer Mann, der sich gerade hält, schlank, Mitte vierzig, mit angegrautem, vollem Haar. Seit 16 ­Jahren wacht er über etwa 4000 Ebriner, der einzige Polizist im Ort. Fragt man ihn, was sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten verändert hat, sagt er: „Mehr Syrer, weniger Arbeit.“

Auf die Nachfragen antwortet seine Frau. Sie trägt die Haare kurz und einen rosafarbenen Hausanzug aus Nickistoff. Ihre Füße stecken in blauen Puschen. Einst habe Jean ein kleines Geschäft mit Holzmöbeln gehabt, einen Nebenverdienst zu seinem Polizistengehalt. „Heute machen das die Syrer“, sagt sie. „Alle reden davon, dass die Syrer so arm dran sind, aber wer hat die Arbeitsplätze und dazu das ganze Geld von den UN? Die Syrer. Wir sind hier die Armen!“ Die Frau hat Kartoffelpüree und Fleisch gemacht für die Gäste, die ­hören wollen, wie ihr Mann das Dorf verteidigt. Sohn und Tochter am Tisch nicken.

Wer profitiert?

###drp|YONBlMs618dZKsSuhosUtf_100091567|i-40|Zara Järvinen|### Kaufmann Elie Fares ver­mietet Wohnungen an die Syrer, er will keinen Streit. Sein Sohn (unten) klagt im Internet heftig über „Rassismus und Bigotterie“ in Ebrine

Seit die Syrer da sind, geht es dem ­Libanon wirtschaftlich schlechter. Die Weltbank sagt, die Flüchtlingskrise belas­te den Staatshaushalt mit 2,5 Milliarden US-Dollar im Jahr. Das Gesundheitssystem ist überlastet, Krankenhäuser und Schulen sind überfüllt. Strom- und Wasserversorgung fallen immer öfter aus. Es fehlt an Wohnraum. Innerhalb von zwei Jahren ­haben sich vielerorts die Mieten verdreifacht. Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt drückt die Löhne.

Laut Arab Index, der größten Umfrage im arabischen Raum, kann derzeit jede dritte libanesische Familie die Alltagsausgaben mit ihrem Einkommen nicht mehr tragen. Beirut und das nördlich gelegene Mount-Libanon-Gebiet beherbergten einst die wohlhabenden libanesischen Christen. Jetzt weht durch Ebrine ein rauer Wind. Libanons schrumpfende christliche Mittelklasse sorgt sich um ihre gesellschaftliche Stellung.

„In Syrien gibt es doch auch sichere Orte, aber die Syrer kommen ausgerechnet hierher, weil sie hier Geld bekommen“, sagt die Frau des Polizisten. Aber stimmt das? Kürzlich warnten die UN, die Essensrationen für vier Millionen Flüchtlinge müssten gekürzt werden. Eine Million Syrer bekomme keine Winterkleidung, sollten die Spenden weiter stagnieren.

„Das ist böse, was da in Syrien passiert“, sagt Jeans Frau. „Aber dass sie uns die Arbeit wegnehmen und unseren Kindern die Schule verleiden, geht auch nicht.“ – Besuchen denn syrische Jugendliche die Schule ihrer Kinder? „Nein“, sagt sie.

Die Angst

Unten im Dorf setzt Elie einen Mokka in einer Kupferkanne an. Er ist 53 Jahre alt, ein kurzer Mann mit rundem Gesicht – mit seiner ausgebeulten Jeans und dem ungebügelten Karohemd schon äußerlich das Gegenteil des Polizisten. Elies Familie lebt seit Generationen in Ebrine, er ist nach seinem Studium hierher zurückgekehrt, hat einen Supermarkt an der Hauptstraße eröffnet und zwei Söhne großgezogen.

Der Supermarkt ist ein Flachbau. Der Anbau dahinter sieht wie ein Rohbau aus, die Wohnungen drinnen sind weitgehend fertig. Elf syrische Familien leben hier, durchschnittlich 150 Dollar pro Monat verlangt Elie von ihnen. Für libanesische Verhältnisse eher wenig, aber dennoch ein guter Verdienst. Elie profitiert von der Anwesenheit der Syrer. Die Leute im Dorf würden ihm das nicht verübeln, sagt er. Elie kennt einige Flüchtlingsfamilien. Und er sieht die Sache mit den Syrern ganz anders als Jean. Elie verkauft von Anisschnaps bis Windeln alles, wofür man nicht weit fahren will. Da es in Ebrine keine Kneipe gibt, ist Elies Supermarkt das Ohr des Dorfes. Neben den Truhen mit der Tiefkühlware hat er eine Sitzecke mit einem Tisch und einem Flachbildfernseher eingerichtet. Dort hockt man, trinkt Mokka und redet über die Angelegenheiten des Dorfes.

Autorin und Fotografin

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###drp|2W_ZKbr4rSPkA32ekkDzTR2000091577|i-40|Zara Järvinen|### Ann-Kathrin Seidel , 33, und Zara Järvinen, 32, lernten sich  beim Couchsurfing kennen und standen seitdem einige brenzlige Situationen im Nahen Osten durch. Zum Beispiel als der Polizist in Ebrine seine Männer instruierte, nach kritischen Journalisten Ausschau zu halten – da war es Zeit aufzubrechen.

„Als der ‚Islamische Staat‘ kam, wurde alles schlimmer“, sagt Elie. Seit der brutalen Vertreibung der Christen aus der irakischen Stadt Mossul hat sich die Stimmung im Dorf verändert. Angst kam auf, und sie kleidete sich zuerst in Worte, sagt Elie: „Die Leute kamen zu mir und sagten: ,Gebt den Syrern eine Waffe, nur eine Steinschleuder, und sie könnten uns überrennen.‘“ Elie karikiert seine Mitbürger. Er unterstellt ihnen eine übertriebene Angst.

Jeden Morgen sehen die Ebriner die Syrer auf ihren Motorrädern in Richtung Küs­te fahren. Vorne die Männer mit Keffiya, der arabischen Kopfbedeckung, auf dem Rücksitz die Frauen mit Kopftuch. Eigentlich haben die Maroniten ein gutes Verhältnis zu Syrien. Die meisten Christen schätzen die alawitische Herrscherfamilie Assad dafür, dass sie Minderheiten Schutz gewährt, sie sind ihr gegenüber auch jetzt – nach fast vier Jahren Krieg – noch loyal. Viele haben nicht vergessen, dass Syrien 1976 den Maroniten zu Hilfe kam, den Libanon besetzte und den Vormarsch der palästinensischen PLO verhinderte. Fast 20 Jahre lang saßen syrische Soldaten in einer Baracke am Dorfeingang, bis sie 2005 abzogen.

Die Syrer, die heute in Ebrine leben, sind anders. Sie kamen nicht als bewaffnete Beschützer, sondern als arme Kriegsflüchtlinge. Sie sind Sunniten, sie gehören zur gleichen Glaubensrichtung wie der „Islamische Staat“. „Drei Viertel der Syrer in Ebrine gehören zu einer terroristischen Organisation“, behauptet Polizist Jean. „Auch die Frauen, aber die können es gut verstecken.“

Die Bürgerwehr

Schon vor zwei Jahren hatte die Gemeinde­verwaltung erstmals eine Ausgangssperre erlassen: Nach acht Uhr sollte sich kein Syrer mehr auf Ebrines Straßen blicken lassen. Im Oktober 2014 hat Human Rights Watch insgesamt 45 libanesische Kommunen gezählt, die Ausgangssperren ver­hängen. Diese sind illegal, widersprechen den internationalen Abkommen, die der Libanon unterschrieben hat. Aber der Staat duldet sie.

Dann kam die „Schlacht um Arsal“ – einen Rückzugsort von syrischen Opposi­tionskämpfern im Libanon. Anfang August überrannten Kämpfer des „Islamischen Staats“ und der radikalislamischen Nusra-Front einen Armee-Checkpoint an der nördlichen Grenze und nahmen Kurs auf die Flüchtlingshochburg. Ein fünftägiger Kampf um die Stadt entbrannte. Die Ebriner dachten: Jetzt ist der Krieg auch bei uns.

Am Tag nach dem Ausbruch der Kämpfe rief Jean, der Polizist, die Männer von Ebrine zusammen, um die Stadt zu beschützen. Mehr als hundert kamen – junge Burschen und ältere Männer. Einige hatten bis dahin eine Waffe nur zur Jagd in der Hand ge­habt, andere hatten schon im Bürgerkrieg gekämpft. Sie verteilten Flyer in den Geschäften: Die Ebriner sollten nur noch an Syrer vermieten, die bereits im Ort registriert waren, damit nicht mehr dazukommen würden. Außerdem seien libanesische Arbeiter Syrern vorzuziehen.

In zwei Schichten gehen die Männer seit August jede Nacht auf Streife, um die Einhaltung der Ausgangssperre zu überwachen. In Viererteams stehen sie an den Ortseingängen und Kreuzungen. Kein Syrer sollte sich nachts mehr draußen aufhalten. Die Regionalverwaltung im nahe gelegenen Batroun spendierte sogar Walkie-Talkies. 

Die Gewalt

Asma nennt Jean „das Polizeitier“. Sie wohnt im Anbau von Elies Supermarkt. Sie ist 24 Jahre alt, hat drei Kinder und ­einen Mann, der in einer Matratzenfabrik an der Küste arbeitet. Sein Arbeitgeber holt die syrischen Hilfsarbeiter jeden Morgen aus den christlichen Dörfern ab und fährt sie abends wieder zurück. Vor einigen Wochen sei ihr Mann erst um halb neun wieder in Ebrine gewesen, sagt Asma. Die Wachen der Bürgerwehr griffen ihn auf. Er erklärte sich, erzählte von Überstunden, hatte sogar die Telefonnummer seines Arbeitgebers parat. „Dann kam der Polizist und hat ihn geschlagen“, sagt Asma.

Bürgerwehr

###drp|kTcYwZgdQq0i_yN4VKI35sRh00091569|i-40|Zara Järvinen|### Bürgerwehr mit Bier. Die Patrouillen sollen ja auch ein wenig Spaß machen – jedenfalls denen von der Bürgerwehr

Elie kann von ähnlichen Vorfällen berichten. Von einer syrischen Frau, die in den Wehen lag. Und von ihrem Mann, der eine Stunde brauchte, um die Erlaubnis des Polizisten einzuholen, sie ins Kranken­haus zu fahren. Von einem jungen Neuankömmling, der noch nichts von den Regeln in Ebrine wusste, sich um neun Uhr in Richtung Supermarkt aufmachte und dort von sechs wachenden Ebrinern zusammengeschlagen wurde. Keiner der Vorfälle wurde amtlich erfasst. Von den Flüchtlingen will niemand Anzeige erstatten. Aber viele in Ebrine bestätigen die Geschichten. Auch die Männer der Shabab, der Jungs, wie Polizist Jean sie nennt, ­erzählen bereitwillig von ihrer Gewalt gegen die Syrer.

Etwa die Hälfte der Dorfbewohner unterstütze die Patrouillen, sagt Elie. Er selbst gehört zur anderen Hälfte. Sein Sohn, ein 24-jähriger Medizinstudent, der einen vielbeachteten Politikblog führt, hat im Herbst einen wütenden Beitrag verfasst, in dem er seinem Heimatort Rassismus, Bigotterie und Selbstjustiz vorwirft. Darauf berichteten auch die nationalen Medien über die nächtlichen Wachschichten und Übergriffe in Ebrine. Das traf einen Nerv. Einige wütende Ebriner verbreiteten ein Schmählied auf Elies Sohn im Internet.

Eine Hälfte der Dorfbewohner meidet Elies­ Supermarkt seitdem und kauft bei der Konkurrenz wenige Hundert Meter weiter. Der Polizist nennt Elie seither „den Verräter“, und Elie sagt zu ihm „der Sheriff“. Auch andere Gemeinden nehmen seit vergangenem Sommer ihre Sicherheit selbst in die Hand. Das ist in der Clangesellschaft des Libanon nicht unüblich. Die bewaffnete christliche Miliz von Ras Baalbek nahe der syrischen Grenze kooperiert sogar mit der schiitischen Hisbollah. Übergriffe gegen Flüchtlinge sind mittlerweile an der Tagesordnung. Die libanesische Regierung lässt die Bürgerwehren gewähren.

Ungewisser Ausgang

Glaubt man den vier Ebrinern, die sich in dieser Nacht an einer dunklen Kreuzung postiert haben, dann profitiert das Innenministerium sogar von den selbst ernannten Stadtwächtern. Ein Mann, ein Rotschopf Anfang 20, lehnt an einem uralten Mercedes, raucht und trinkt Heineken aus der Dose. Im Wagen befindet sich noch jede Menge Nachschub. Zwischen den Bierdosen liegt ein Jagdgewehr. Nur für den Notfall, versichert der Mann. „Wir verstecken es auch gut.“ Auch andere hätten Waffen dabei, sagt er.

Er beginnt von den Aufgaben zu erzählen, die den Männern vom Polizisten übertragen werden: die Ausgangssperre durchsetzen, unangekündigt Häuser durchsuchen. Nein, einen Bescheid habe man dafür nicht. Der Polizist ordne das doch an, sagt der Mann. „Wir schicken auch die Frauen vorher aus dem Haus. Wir wissen doch, die Muslime sind da ein bisschen empfindlich“, fügt er hinzu.

Mehrere Mitglieder der Bürgerwehr bestätigen, dass sie im Vorfeld Informationen über die Flüchtlinge vom Geheimdienst erhielten. „Wir wissen genau, wer in Syrien ein Kämpfer war und wo er gekämpft hat“, sagt der rothaarige Mann. Was sie finden, gäben sie weiter an den Geheimdienst. Was das für Dinge seien? „Waffen, Dokumente und so“, sagt der Mann. Ob sie tatsächlich schon Waffen gefunden hätten? „Nein“, sagt er.

Seit dem Einsatz der Dorfwächter habe die Zahl der Straftaten in Ebrine weder ab- noch zugenommen, gesteht Jean, der Poli­zist. Trotzdem behauptet er: „Die Dinge laufen hier viel besser als anderswo im Libanon.“ Vor allem seien keine weiteren Syrer mehr nach Ebrine gekommen, und die Angst habe abgenommen. Ein Funkspruch kommt rein. „Schurti“, sagt die Stimme – „Polizist“. „Ich muss los“, sagt Jean, steigt in sein Polizeiauto und fährt die Hauptstraße hinunter – vorbei an Elies dunklem Supermarkt.

„Wir müssen ganz vorsichtig sein, dass sich die Geschichte nicht wiederholt“, warnt Elie. 1948 kamen palästinensische Flüchtlinge. Sie blieben, konkurrierten wirtschaftlich mit den Libanesen. Erst kam das Gerede, dann die Angst, dann die Bürgerwehren, dann die Gewalt und schließlich der libanesische Bürgerkrieg. Die Syrer könnten die neuen Palästinenser sein. Ebrine ist ein gespaltenes Dorf in einem gespaltenen Land. Nun wird es darauf ankommen, wer sich im Dorf durchsetzt. Die friedlichen Bürger um Elie – oder die Kämpfer um Jean.

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