chrismon Chefredakteur Arnd Brummer
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Leute abholen? Botschaft, nicht Holschuld
Navid Kermani und sein falsches Lob für Martin Luther
Lena Uphoff
03.09.2015

Die Intellektuellen des frühen 16. Jahrhunderts haben die Nase gerümpft, wenn sie jemand auf Martin Luthers Übersetzung der Bibel ins Deutsche ansprach. Manche, wie Erasmus von Rotterdam, hielten es für höchst gefährlich, einfachen Leuten ohne theologische Vorbildung die Lektüre der Heiligen Schrift zu ermöglichen. Die Bibeltexte müssten ihnen wie bisher in homöopathischen Dosen von gebildeten Theologen präsentiert und erklärt werden. Dass Luther die hehren Worte in ein brachiales Volksdeutsch für jedermann, in eine „Kuhstall-Sprache“ übersetzt habe, fanden die klugen Gelehrten geradezu widerlich.

Ganz ähnlich äußert sich der große Denker Navid Kermani derzeit in Interviews zur Präsentation seines neuen Buches „Ungläubiges Staunen“ über den Protestantismus der Gegenwart. Das Buch, ein Lobgesang auf die christliche Bildkunst, beschreibt Religion als sinnliche Erfahrung, die nur dann funktioniert, wenn sie geheimnisvoll, weltfern, mystisch bleibt.

"Dem gemeinen Mann aufs Maul schauen"

Ins Visier nimmt Kermani dabei Kirchentage oder auch Medien wie chrismon. Die wollten „den Menschen dort abholen, wo er ist … ein grauslicher, anbiedernder Gedanke, der zu einer ästhetischen Verarmung und auch theologischen Verharmlosung sondergleichen geführt hat“. Und dann lobt der Autor die Lutherbibel und Bachs Kantaten, die ihn überwältigen könnten.

Na dann. Martin Luther hatte seine Bibelübersetzung im „Sendbrief vom Dolmetschen“ 1530 erklärt und seine intellektuellen Kritiker attackiert. Er nennt sie „Esel“, die „keinen Gack“ von dem verstehen, was er gemacht habe. Und er schreibt: „Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch reden, wie die Esel es tun. Sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden und darnach dolmetschen; so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“

Freundschaft

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„Freunde. Freundinnen. Freundschaft.“ Ein Lesebuch. Herausgegeben von Arnd Brummer. Bei der edition chrismon erhältlich (über die Hotline 0800 / 247 47 66 oder unter www.chrismonshop.de).

Grauslich, anbiedernd, lieber Navid Kermani? Zum Glück aber schon fast 500 Jahre her. Und Luthers Wortschöpfungen – Machtwort, Schandfleck, Lückenbüßer, Lästermaul – oder Redewendungen – „die Zähne zusammenbeißen“, „Perlen vor die Säue werfen“, „etwas ausposaunen“, „im Dunkeln tappen“, „auf Sand bauen“ – sind nicht aus mystischer Intellektualität geboren, sondern aus dem protestantischen Ur-Interesse: die Leute abholen, wo sie sind. Nun ist Navid Kermani kein „Wolf im Schafspelz“ und kein „Bluthund“ (noch mal Doktor Luther). Deswegen wird ihn dieser Widerspruch kaum treffen. Es muss nur mal gesagt werden: Für Evangelische heißt der Kern ihres Tuns „frohe Botschaft“ und nicht „anspruchsvolle Holschuld“. So sah das im Übrigen auch Johann Sebastian Bach, weshalb ihn katholische Bischöfe zu seiner Zeit als eine Art Popmusiker abqualifizierten.

PS: „Sie gehen mir auf den Sack!“ Wie Til Schweiger CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer in einem TV-Talk anraunzte, würden wir Navid Kermani nie entgegnen. Martin Luther, da sind wir sicher, hätte die Reaktion des Schauspielers schenkelklopfend erfreut: Grober Keil auf groben Klotz!

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Manchmal tut es einfach gut, ein wahrhaft protestantisches und im Kern evangelisches Wort wider welt-und menschen-fremde Publizisten oder gar Theologen zu lesen. Denn wenn es nach denen gehen würde, hätte sich der christliche Gott das wundersame Geschenk seiner Menschwerdung glatt schenken können... Danke Arnd Brummer

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... Kann ich besser erfahren, wenn ich dem Text nachspüre. Das klappt nur in einer Sprache, die ich verstehe und in meiner Lebenswirklichkeit erreicht. Für mich ist biblische Mystik nur in Verbindung mit einer modernen Übersetzung möglich und wenn ich mich mit anderen austauschen und über moderne Medien Impulse holen kann.
Ralf Friedrich

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Luther ist mir allmählich schnuppe, und ungehobelte Journalisten sind mir lästig. Da nimmt sich ein Kermani sehr fein heraus. Ich habe mein Leben auf Fels gebaut, nicht auf die Macht einer Kirche, sondern auf einen Gott, der mehr ist als das.
Luther war wohl wirklich ein sehr ungehobelter "Kerl", aber er war einsichtig genug, dies immer wieder zu erkennen, was man dem Autor des vorliegenden Textes , Herrn Brummer, sicher nie wird "anlasten" können.
Selbstzweifel, bzw. Zweifel überhaupt, sind ihm nur dann willkommen, wenn er sie als die s.g.n. Botschaft an andere weitergeben könne. Dabei wurde der Zweifel erst unlängst als erzevangelisch gepriesen.

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Navid Kermani hat völlig recht, wenn er die Verkündigung evangelischer Geistlicher geißelt.
Bevor Sie, Herr Brumer, wieder einmal gegen Herrn Kermani polemisieren, empfehle ich Ihnen, die Rede von Navid Kermani in der Paulskirche anläßlich der Verleihung des Friedenspreises zu lesen (siehe FAZ vom 19.Oktober 2016 Seiten 1, 10 + 1 sowie Rhein-Main-Zeitung).
Freundliche Grüße Christian Witte.

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Kritiker verstehen unsere Reformation oft besser, als die Amts-Kirche selbst, hatte schon Rudolf Bohren gewarnt. "Solus Christus" ist das protestantische Uranliegen. Eine echt christologische Kirchenpraxis holt dann auch "die Leute ab wo sie sind". Karl Barth hat heute noch mehr youtube-clicks als Bedford-Strohm.
Die EKD-Verlautbarungsindustrie inklusive Publizistik tut das nicht. Kurzer Blick auf Auflagezahlen und Umfragewerte reicht - ganz frisch Shell-Studie 80% der evangelischen Jugendlichen findet nicht, dass Kirche was mit ihrem Leben zu tun hat.
Dieses Zombie-Deutsch das aus Hannover wabert, fällt stilistisch unter die 7-Todsünden der Komnunikation. Der Fräulein Rottenmaier-Zeigefinger hier auf Chrismon etc. -(7 Bücher, die in der Schule nichts zu suchen haben und was sonst noch alles unschicklich ist...) auch.
Luther konnte Kermani und Schweiger. Unsere Evangelischen Kirchenfürsten nur Gremienprotokoll-Deutsch. Bei diesem Kommentar hätte er sicher mal wieder den Hammer rausgeholt.

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