Ina Schoenenburg
Eine Liebe, ein Krieg, ein Erdbeben
Uwe, verheiratet mit einer „echt fantastischen Frau“, hat als Soldat in Afghanistan Schlimmes erlebt, er ist ein schwer kranker Mann. Fahrig, gewalttätig, zertrümmert schon mal eine Tür. Alex, seine Frau, erträgt vieles. Meistens. Die HOFFNUNG, dass es gut ausgeht, ist stärker
Tim Wegner
12.08.2014

Ein Pappkarton steht im Wohn­zimmer, zwischen gemütlichem Sofa und großem Fernseher. Mit Edding hat hier jemand ordentlich auf die Kiste geschrieben: „Party, Pappbecher“. Hier wohnen Menschen, die gerne feiern. Gefeiert haben. „Meinen Vierzigsten“, sagt Alexandra wehmütig, „den haben wir gerade gefeiert, aber ohne Gäste. Uwe erträgt keine Menschen mehr in geschlossenen Räumen.“ Darum hat sie die Pappbecher in der Kiste verstaut. Und die Party ist erst mal vorüber.

Aber so kann man keine Ehe führen. Wenn man denkt, dass die guten Zeiten vorbei sind und nur noch schlechte Zeiten kommen. Ja, es stimmt, Uwe ist krank, schwer krank. Er hat ein Posttraumatisches Belastungssyndrom, er war als Soldat im Kosovo, in Afghanistan und nach dem Tsunami in Banda Aceh. Ja, er kann kein Grillfleisch mehr riechen, weil es ihn an verbrannte Leichen erinnert. Ja, er hat auf der A 61 versucht, sein Auto mit 250 Sachen gegen einen Brückenpfeiler zu rammen. Und neulich hat er zu Hause die Klotür eingetreten. Er kann den Tag nur mit Tavor überstehen, mit Trevilor und mit Valdoxan. Er ist ein kranker Mann. „Ein alter Mann“, seufzt Alex.

Uwe Heiland ist seit 17 Jahren Soldat. Aus Überzeugung! Nach Einsätzen in Afghanistan, Sumatra und im Kosovo leidet der Sanitätssoldat an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Sein Leben hat sich seither komplett verändert.

Aber der Mann ist erst 42, das nannte man mal die besten Jahre: Er ist groß, volle Lippen wie Mick Jagger, Rapper-Bart, Ray-Ban-Brille und cooler grauer Hoody, auf dem man erst auf den zweiten Blick den Panzer erkennt und den Satz „Ich stehe hinter meinen Soldaten“. Der steht zu dem, was er tut, steht zu seinen Soldaten, zu seiner Krankheit – aber auch zu seiner Familie. Drei Mal haben sich Uwe und Alexandra Heiland schon getrennt. Drei Mal wieder zusammengefunden. Diese Party, sie ist noch nicht vorüber.

Alex hat Ja gesagt

Sie fing an mit einer gigantischen Show. Rocky Horror Picture Show, 26. Februar 1996, Rosengarten Mannheim. Uwe hatte alles akribisch vorbereitet. „Ich wusste, so ein Heirats­antrag daheim auf dem Sofa, das ist nichts für die Alex.“ Also hat er den Konzertveranstalter bequatscht, der hat die Bildzeitung informiert – großer Auftritt vor 3000 Musical­gästen. „Touch me, touch me, touch me, touch me“, die Stimmung im Saal tobt ihrem Höhepunkt entgegen, da holt der schrille Frank N. Furter, die Hauptfigur aus dem Musical, den jungen Uwe Heiland auf die Bühne. „Alex, ich möchte mein Leben mit dir verbringen.“ Hochzeitsmarsch, Beifall, Sekt in der Pause.

Uwe weiß nur noch, dass er vor lauter Scheinwerfern Alex im Zuschauerraum gar nicht gesehen hat. Und sie weiß nur noch, dass sie nicht auf die Bühne stürmen konnte, weil sie diese verdammt hohen Pumps anhatte, an denen Reis und nasses Klopapier klebte. Geheult hat sie, sie heult ganz schnell und ganz viel, very emotional. Alex hat Ja gesagt. Sie wollte ihn, das wusste sie von Anfang an. Er ist groß und stark, er kümmert sich. Er kommt aus ­einer anständigen Familie, das ist wichtig in Maudach, einem Stadtteil von Ludwigshafen am Rhein, einer bodenständigen Gegend.

Ist er katholisch?, fragen ihre Eltern als Erstes, und sie akzeptieren den Schwiegersohn, auch wenn sie ihn ein bisschen überheblich finden. Weiß alles besser, beim ­Trivial-Pursuit-Spielen platzt er immer gleich mit der Antwort heraus, während sie noch überlegen muss. Aber Alex mag das. „Ich kann mich ganz schwer entscheiden, der Uwe tut mir gut“, sagt sie. „Ein Kopp und ein Arsch“, sagt Uwe.

Der unsterbliche Highlander

Angelegt ist diese Ehe auf eher traditionelle Rollen­verteilung. Der Mann als Haupternährer, die Frau als Zuverdienerin. Der Mann, der vorangeht, die Frau, die ­ihm folgt. Niemand kann ahnen, dass es Alex sein wird, die den Laden weitgehend alleine wuppen muss. Und dass sie ihm nicht überall hin folgen wird. Ein Krieg kommt dazwischen, ein zweiter, eine ­Naturkatastrophe – und damit ein Erd­be­ben, das alles zum Erschüttern bringt. Auch wenn das Epizentrum in Südostasien liegt. Die Druckwelle reicht bis Ludwigshafen, heute ist im Hause Heiland nichts mehr wie es schien.

Der Name „Heiland“ steht, aus farbig angemaltem Salzteig gebacken, an der Tür des Einfamilienhäuschens in Maudach. Heiland wie der Gottessohn. Ob er oft darauf angesprochen wird? „Klar“, sagt Uwe, „Highlander“. Highlander, der Kino-Action­held, gespielt von Christopher Lambert, „who will battle to the last“, so der Epilog des Fantasyfilms. Der unsterbliche Highlander, der kämpft bis zuletzt – auch ein Programm.

Uwe Heiland ist ein Kämpfer. Aber ­unsterblich, nein, das ist er leider gar nicht. Er ist schwer verwundet. Bei der Bundeswehr zieht es ihn sofort zu den Sanitätern. Die Medizin, das hat ihn immer interessiert, je chirurgischer, desto interessanter. Und die Medizin verbindet ihn auch mit Alex, die Physiotherapeutin ist. Uwe verpflichtet sich als Sanitätssoldat, erst vier, dann acht, dann zwölf Jahre, man kriegt dann mehr Geld, auch viel mehr Geld als in einem zivilen Krankenhaus. Schließlich ist Nachwuchs unterwegs. Findet Alex die Entscheidung richtig, dass er sich fest an die Bundeswehr bindet? „Ja, aber von Ausland war nie die Rede.“

Irgendwann war eine Leiche zu viel

Bis heute gibt es Streit, wenn die beiden erzählen sollen, warum Uwe sich für den Balkan gemeldet hat. Mai 2001, Kosovo. „Klar wollte ich das, jeder will das“, sagt er noch heute. „Ich bin Soldat, und dann bin ich das mit allen Rechten und Pflichten.“ Und sie wirft ihm bis heute vor: „Du hättest mit mir reden sollen.“ Sie hatte gerade das zweite Kind bekommen. Das erste läuft schreiend aus dem Zimmer, wenn der Papa am Telefon ist. Das zweite sieht er nur zehn Tage in diesem Jahr. Sie fühlt sich allein­gelassen, im Stich gelassen.

Der Krieg kommt immer wieder zu ihm zurück. Auch wenn die Uniform im Schrank hängt
Zwischendurch kommt er auf Heimaturlaub, und wenn er von diesen Wochen erzählt, klingt es ganz schön. „Ich bin in Köln-Bonn gelandet, dann sind wir gleich in den Urlaub geflogen. Und da hat die Kleine am Strand laufen gelernt.“ Ha! Da muss Alex aber lachen. „Laufen gelernt! Mit sieben Monaten?“ Sie hat diese Heimaturlaube anders in Erinnerung. Dass er zickig war, fahrig, „als ob er in seiner eigenen Welt wäre“. Das erlebt sie noch ganz oft, wenn er aus dem Ausland zurückkommt. Verändert, abwesend. Manchmal denkt sie, es liegt an ihr. Er liebt mich nicht! Die Ehe ist schlecht! Irgendwann sagt sie sich: „O. k., der Uwe hat wieder seine Regel.“

Heute, über zehn Jahre und über fünf Einsätze später, sagt sie das nicht mehr. Es ist nicht seine „Regel“, es ist eine handfeste Krankheit. Uwe Heiland hat ein Posttraumatisches Belastungssyndrom, eine Krankheit, die schätzungsweise 1400 deutsche Soldaten haben, die aus Auslandseinsätzen zurückkehren. Bei manchen ist es ein einzelnes Erlebnis, das dieses Trauma auslöst. Bei Uwe sind es viele. Oder, wie er selber sagt, es war irgendwann dieses eine Erlebnis zu viel. Eine Leiche zu viel. Wer weiß schon vorher, wo seine Belastungsgrenze ist? Uwe ist nur Heiland, nicht unverletzbarer Highlander.

„Mein 11. September ist der im Jahr 2003"

Da ist der beste Freund, der im Kosovo Rücken an Rücken mit ihm im Kantinenzelt sitzt. Uwe hatte Frühdienst im Sanitätszelt, setzt sich gerade zum Frühstückskaffee hin, da hört er hinter sich einen Schuss. Und einen zweiten Schuss. Der Freund hat sich zwei Kugeln durch den Kopf gejagt, weil ihn 24 Stunden vorher die Freundin verlassen hat. Per SMS verlassen, das passiert ziemlich oft bei Auslands­einsätzen. Uwe muss den toten Freund versorgen, er ist ja Sanitäter. Er kann seither auch in seinem Wohnzimmer in Ludwigshafen nicht mehr mit dem Rücken zu anderen Menschen sitzen.

Da ist der Einsatz nach dem Tsunami, wo sie unvorstellbare Mengen von Leichen, von Armen, Unterschenkeln und Därmen in großen Gruben verbuddeln.

Vielleicht waren es einfach zu viele. Und da ist vor allem „mein 11. September“ in Kabul. Nicht der 11. September 2001, der Anschlag aufs World Trade Center – ­ das ist zwar indirekt auch der Schicksalstag für Uwe Heiland, denn ohne diesen Anschlag hätte es den Afghanistaneinsatz wohl nie gegeben. Aber „mein 11. September“ ist der im Jahr 2003. Uwe hat einen anstrengenden Tag im Operationszelt hinter sich, er steigt um 23 Uhr gerade die Leiter in sein Stockbett hoch, als eine ungeheure Druckwelle mit einem Schlag alle zu Boden fegt. Uwe findet sich unter dem Heizkörper wieder, sein Kamerad schreit: „Schnell, ab in die Uniform, Helm auf, in den Bunker.“ Uwe schafft es noch, Alex in Maudach anzurufen, „egal was du gleich in der Tagesschau siehst, ich bin am Leben“. Wenn Uwe das heute, im Jahr 2014, erzählt, muss Alex sofort heulen. Sie hatte Angst, Angst, Angst.

Und auch die Männer im Bunker hatten damals Angst. Was heißt schon Bunker! In einem Blechcontainer, der nach oben nur mit Sandsäcken abgeschottet ist, hocken in dieser Nacht 60 Männer wie in einer Öl­sardinenbüchse. Verschwitzt, in Todesangst. Die einen fangen an zu schluchzen. Die anderen fangen an, sich zu verabschieden. Sie befürchten, dass jeden Moment die Taliban den Container mit Handgranaten stürmen. „Ich hatte innerlich abgeschlossen“, sagt Uwe, „wir alle dachten, wir kommen da nicht mehr lebendig raus.“

Alex fühlt sich allein­gelassen – ist aber auch stolz

Am Morgen ist der Spuk vorbei, es war „nur“ ein Luftangriff der Taliban, die zwei Raketen aus alten Autobatterien gebastelt und über dem Lager abgeschossen hatten. Zwei Tage bleiben die deutschen Soldaten zusammen, reden, dann geht jeder wieder seinem Dienst nach. Ob es daran liegt, dass es Uwe heute nicht mehr in geschlossenen Räumen aushält? Wer weiß das schon.

Und Alex? Sie fühlt sich in diesen Jahren einerseits allein­gelassen – ist aber auch stolz auf ihren Soldaten. Einerseits ist es großer Mist, dass sie alles alleine machen muss. Jeden Zettel für die Klassenfahrt ­alleine ausfüllen, zu jedem runden Geburtstag alleine mit den Kindern fahren. Und als sie einen Bänderriss hat, macht ihr niemand einen Verband – dabei ist sie doch mit dem tollen Sanitäter verheiratet. Aber der ist weit weg.

Aber andererseits – er ist wirklich ein toller Sanitäter. Und er ist damit auch ein attraktiver Mann für sie. Bei allem Grauen erzählt er auch Abenteuergeschichten, bei denen sie an seinen Lippen hängt. Wie die Bundeswehrärzte einem afghanischen Kind, das auf einer Tretmine gespielt hatte, das Bein amputiert haben. Wie er in Kundus Babys auf die Welt gebracht hat. Und wie sie jener Frau, deren Mann sie verbrennen wollte, durch unzählige Hauttransplanta­tionen das Leben gerettet haben.

Papa im Krieg, Mama schmeißt den Alltag. Schule, Kindergeburtstag, Aua am Fuß. Und nach dem Krieg?

„Da bin ich bei der AOK erst mal durch die Decke!“

Alex kennt alle Geschichten. Alex: „Erzähl das mit den Parasiten auf der Leber“ – ­ das war ein medizinisch exotischer Fall eines Kindes im deutschen Feldlazarett. Alex: „Und der Waran!“ Ja, in Banda Aceh, nach dem Tsunami, hat Uwe nicht nur tote Menschen begraben. Sondern Tiere ge­rettet, die durch das Beben verstört in einem Straßengraben lagen. Einen vereinsamten Waran, eine exotische Riesenechse, hat er zusammen mit einer deutschen Tierärztin in seinem Jeep zurück in den Urwald gefahren. In diesem Moment ist Uwe für Alex kein verwundeter Soldat. Kein alter Mann. Sondern ein bisschen wie der Dschungeldoktor aus Daktari.

Nach Uwes letztem Einsatz trennen sich Uwe und Alex. „Er hat kaum mehr gesprochen, war innerlich ganz weit weg“, erinnert sie sich, „und wenn ich was gesagt habe, wurde er aggressiv. So Sätze wie: Du bist nicht meine Mutter!“ Irgendwie versöhnen sie sich wieder. Und im selben Jahr, 2007, wird Uwe krank. Er assistiert bei einer Operation im Bundes­wehr-Krankenhaus in Koblenz, ein Kind, blond wie sein ei­genes, liegt auf dem OP-Tisch, die Haut abgeschält wie ein Verband. Plötzlich sind diese Bilder wieder da aus Afghanistan. Er kippt um und bleibt über eine Stunde bewusstlos. Neurologen kümmern sich um ihn, Psychiater, aber schließlich ist es ein katholischer Militär­seelsorger, der ihm sagt: Uwe, mit dir stimmt was nicht. Du hast ein Posttrauma­tisches Belastungssyndrom.

Im Januar 2010 kommt er in die psychiatrische Abteilung des BundeswehrKrankenhauses in Koblenz, dort wird er anderthalb Jahre bleiben. Psychiatrie. „Kloppi-Station“. Mit Trommeltherapie und Weidenkörbe flechten! „Ohne mich!“, höhnt er. Mit dem Punchingball boxen. „Den Ball mussten die vier Mal austauschen, so oft war der Matsch!“ Ohne Anerkennung der Krankenkasse. „Da bin ich bei der AOK erst mal durch die Decke!“ Immer diese Sätze. Dann bin ich dem Oberarzt an die Gurgel. Dann habe ich die Tür eingetreten.

Klar ist Uwe noch der Kämpfer. Aber statt Tarnfleck jetzt im Jogginganzug in einer weiß angestrichenen nagelneuen Psychiatrie-Abteilung. Anderthalb Jahre wird er stationär behandelt, entlassen mit der Gewissheit: Heilbar ist die Krankheit nicht, nur beherrschbar. Alex ist jetzt mit einem kranken Mann verheiratet. Sie macht ein Zusatzstudium, damit sie mehr Geld verdient und die Familie unterhalten kann. Das ist anstrengend, aber es gibt ihr auch eine neue Rolle: Sie ist die Familienernährerin.

Zum ersten Mal sagt Alex: „Nein, ich gehe nicht mit.“

So wiederholt sich die Geschichte, die Deutschland nach zwei Weltkriegen erlebt hat: Frauen, die selbstbewusst wurden, während die Männer an der Front sind. Familien, die sich schwer damit tun, wenn die Männer wieder zurück­kommen. Viele Familien werden dieses Jahr, wenn Hunderte von Kämpfern aus Afghanistan zurückkommen, damit zu tun haben.

So auch Familie Heiland. Uwe bekommt zwar nach seiner Entlassung einen Job bei der Bundeswehr, er betreut Familien, deren Angehörige im Auslandseinsatz sind. Aber sein Standort, Speyer, soll bald geschlossen werden, die Bundeswehr ­bietet ihm einen attraktiven Job in Lüneburg an. Zum ersten Mal in ihrem Ehe­leben sagt Alex: „Nein, ich gehe nicht mit.“ Die Schwiegereltern fallen „fast tot um“, er­innert sich Alex. Du hast ihn doch ge­heiratet! Du wolltest doch mit ihm gehen, bis ans Ende der Welt! Nein, sagt Alex, Uwe ist kein sicherer Halt. Ich brauche meine Arbeit, meine Freunde, mein sicheres Zuhause in Maudach. Wer weiß, wann er wieder zusammenklappt!

Wieder gibt es eine Ehekrise. Jetzt zieht Uwe mit der großen Tochter nach Lüneburg und Alex bleibt mit der kleinen in Ludwigshafen. Die Wochenenden und die Ferien verbringen sie gemeinsam, gerade waren sie in Holland mit der Militärseelsorge. Alex ist sicher: „Ich habe gemerkt, dass ich auch ohne Uwe zurechtkomme. Das gibt mir die Stärke, immer wieder auf ihn zuzugehen.“

Und das ist richtige Arbeit. Uwe ist inzwischen ein Profi in seinem Krankheitsbild. Er hat über eine Facebook-Gruppe viele andere Kranke kennengelernt. „Wir haben nur noch Freunde mit PTBS“, sagt er, „alle anderen sind weg.“ Sie findet das furchtbar. „Nein, einen Freund haben wir noch hier in der Siedlung, der ist gesund“, sagt sie. „Nein“, sagt Uwe, „das habe ich dir noch gar nicht erzählt, der hat auch schon einen Termin beim Psychiater.“ Für Alex ist das schwierig. Klar, sie ist ­seine Frau, und sie ist schon von Berufs ­wegen eine Kümmerin. Sie hat Verständnis für die Krankheit. Aber sie will auch leben! Als er sie bittet, zu einem Trauma-Wochenende mitzufahren, sagt sie, mit ihrem neuen Selbstbewusstsein: „Nein! Was soll ich mir die anderen Krankengeschichten auch noch anhören? Wir waren schon dreimal getrennt, die anderen Paare noch keinmal, was interessiert mich deren Ehe?“

Zuhause, Pizza vom Blech für alle. Aber Uwe lebt in seiner eigenen Welt.

„Die mussten mich die Nacht vorher wegschießen, aber jetzt geht’s schon wieder.“

Lieber würde sie an ihrer eigenen Ehe arbeiten, „das ist eine Sache der Prioritäten“. Sie ist ja erst 41. Sie will sich zum Beispiel nicht damit abfinden, dass es keinen Sex mehr geben soll, nur weil die Psychopillen auf die Potenz schlagen. Es gibt da auch andere Spielarten, die beiden sind ja nicht doof. Alex leidet. Sie fühlt sich nicht begehrt, sie hat 20 Kilo zugenommen.

Februar 2014, Uwe soll einen Vortrag über PTBS halten in der Graf-von-Sponeck-Kaserne in Germersheim. Wird Alex wohl mitkommen? Anruf zwei Tage vor dem Termin von Uwes Handy. „Hallo, ich bin grade auf der Intensivsta­tion.“ Der Blutdruck war plötzlich auf 250, Herzrhythmus-Störung, jetzt haben sie ihm einen Stent eingesetzt. Ein Routine­eingriff, eigentlich, aber nicht bei Menschen, die in weiß gekachelten OP-Sälen plötzlich Flashbacks erleiden. „Die mussten mich die Nacht vorher wegschießen, aber jetzt geht’s schon wieder.“ Na klar hält er übermorgen den Vortrag, er ist ein Soldat.

60 Eltern und Ehegatten sind an diesem verregneten Samstag ins „Pfalzkino“ der Kaserne gekommen, Holzstühle, Tee in Metallkannen, könnte auch ein evan­gelisches Gemeindehaus sein. Es ist trostlos im Februar auf dem Bundeswehrge­lände. Hauptattraktion ist ein Römerschiff, die Soldaten haben es in mühsamer Arbeit rekonstruiert. Ein bisschen kann man es verstehen, wenn Soldaten hier auch mal raus wollen. Banda Aceh klingt irgendwie spannender.

„Ich bin kein Rassist“, sagt er, „aber ich kann mich schwer beherrschen.“

Hauptfeldwebel Heiland, in blauem Bundeswehrpulli, Soldatenmütze und der gelben Solidaritätsschleife der Bundeswehr, wird angekündigt wie ein Veteran. Fünf Einsätze! Schwere Krankheit! Uwe, wir sind stolz auf dich! Uwe ist aufgeregt, hat Angst sich zu verhaspeln, vor einem Jahr hätte er sich das noch nicht zugetraut, vor einem vollen Saal zu referieren. Bevor er seine Powerpoint-Präsentation startet, sucht er die Sitzreihen ab, keine Alex da. Nur Saphira, sein Thera­piehund, sitzt brav neben dem Beamer. ­

Ohne Saphira, das erklärt er in seinem Vortrag, wäre er vielleicht schon nicht mehr da. Saphira hilft ihm, seine Aggressionen zu beherrschen. Wenn er verschleierte Menschen sieht zum Beispiel, dann sieht er rot. Seine Psycho­login hat lange mit ihm geübt. Türkischer Supermarkt – geht inzwischen. Dönerbude – geht gar nicht. „Ich bin kein Rassist“, sagt er, „aber ich kann mich schwer beherrschen.“ Er hat in Kundus zusehen müssen, wie die Taliban eine Frau gesteinigt haben. Zu Tode gesteinigt. Er durfte nicht eingreifen, er konnte die Frau nicht retten. Das sind die Bilder, die ihm hochkommen, wenn er heute in Mannheim oder Ludwigshafen Menschen arabischen Aussehens trifft. Zu­fällig sind das Städte, in denen bis zu 40 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund haben, die größte Gruppe sind Türken, hier steht auch die größte Moschee Deutschlands. Man möchte nicht Muslim sein, wenn demnächst viele Uwe Heilands mit solchen Bildern im Kopf zurück­kommen.

„Verheiratet mit einer echt fantastischen Frau“

Ohne Saphira, seinen Therapiehund gäbe es ihn gar nicht mehr, sagt Uwe
Uwe hat Hündin Saphira, um von ­seinen Aggressionen „runter­zukommen“. Der Leonberger sorgt dafür, „dass im Zweifelsfall nicht ich die Straße wechsle, sondern die anderen“. Uwe hat auch ein gelbes Gummiband am Arm – an dem zieht er, lässt es schmerzhaft zurückschnellen, wenn die Bilder, die Aggressionen überhand nehmen. Ein Trick aus der Therapie, einen Sinnesreiz durch einen anderen zu überlagern.

Und Uwe hat Alex, das hat er schon in die zweite Powerpoint-Folie ­reingeschrieben. Zwischen Geburtsdatum, Dienstgrad und Dauer der Einsätze steht da: „verheiratet mit einer echt fantastischen Frau“. 40 Minuten später, nach Fotos von ausgebrannten Bussen, bärtigen Kämpfern und Psychopillen-Packungen, geht im Pfalzkino die Tür auf und die echt fantastische Ehefrau kommt doch noch. Obwohl sie schwer erkältet ist, die Kinder noch zum Sport fahren musste – sie weiß, wie wichtig es ihm ist. Direkt nach seinem Vortrag kommt Uwe in die letzte Reihe und küsst Alex. „Komm, ich stell dir un­sere Yoga­lehrerin vor.“ Die macht Yoga nur mit Traumasoldaten. Ob die Ehefrau mal mitkommen will? „Nein, ich hätte lieber einen Kurs nur für Uwe und mich, was Körperliches.“ Genau. In die Trauma­gruppe soll er mal alleine gehen. Eine Frage von Prioritäten.

Uwe und Alex sind an diesem Februarsamstag die Stars in der Sponeck-Kaserne, umringt von Familien, denen ganz schön bange ist, in welchem Zustand ihre Söhne, Schwiegertöchter und Ehemänner demnächst aus dem Ausland zurückkommen werden. Es war schlimm, was Hauptfeldwebel Heiland da erzählt hat, PTBS Typ 1 und 2, er hat Typ 2, die schlimme Form, klar. Aber immerhin, er steht hier, seine Frau hält zu ihm, und die beiden vermitteln den Eindruck: Zusammen halten wir das durch! Im Vortrag hat Uwe von einer Klassenkameradin erzählt, die seiner Tochter bei der Kommunion an den Kopf warf: „Dein Vater ist ein Mörder!“ Empörung in der Kaserne. Aber Familie Heiland kann mit solchen Anwürfen umgehen. „Wenn der Feind von außen kommt, halten wir eh zusammen“, sagt Uwe. Und Alex erinnert sich: Als eine Lehrerin erzählte, dass auch ihr Mann nach Afghanistan eingezogen werde, ging Alex’ 13-jährige Tochter tapfer zu ihr und sagte: „Frau Müller, da kommt jetzt eine schwere Zeit auf Sie zu!“

Tolle Kinder. Die natürlich stolz auf ­ihren Vater sind. Wenn er sie abholt an der Schule, dann bitte in Tarnuniform. „Ist schon cool.“ Die alles wissen über seine Krankheit – „wir kennen ihn ja nicht ­anders“. Und die jetzt – mit 13 und 15 – auch schon groß genug sind, um mal abends alleine zu bleiben. Dann könnten die Eltern ganz theo­retisch auch mal wieder Party machen. Ob das wieder kommt? Uwe sagt nein, Alex sagt, so kann sie nicht leben. Aber immerhin hat Uwe ihr jetzt Karten geschenkt für ein Konzert von Beth Ditto. Die hat Kleidergröße XXL, sie ist richtig dick. Und richtig ­sexy. Nein, diese Party ist noch nicht zu Ende.

Ich habe den Artikel mit grosser Aufmerksamkeit gelesen.
Bitte schaut Euch doch mal die Linkhinweise aus der o.g. Internetseite an.
Vielleicht gibt es ja doch noch Möglichkeiten für Uwe und Alex, auch wenn die Methode Emotional Freedom Techniques (noch) realtiv unbekannt im Bereich der Bundeswehr ist.
Die US- Vereranen nutzen EFT schon seit vielen Jahren sehr erfolgreich !

Herzliche, kameradschaftliche Grüsse

Volker Gross
Hauptmann a.D.

Ihr Schicksal hat mein Herz berührt. Ich bewundere Ihren Zusammenhalt und Kampfgeist. Ich bin Trainerin für die Emotional Freedom Techniques (EFT), das bei schweren, chronifizierten Traumatisierungen in der US Army schon seit Jahren erfolgreich eingesetzt wird. Ich habe vor einigen Jahren eine Gruppe von Soldaten/innen der Luftwaffe in EFT ausgebildet im Rahmen der "Selbst- und Kameradenhilfe". Leider gibt es noch nicht genug wissenschaftliche Studien zu dieser Methode, so dass sie noch keine offizielle Anerkennung (Ärzte/Psychologen) hat. Ich weiß jedoch aus meinem Leben und aus Hunderten von Berichten mir bekannter und unbekannter Menschen, wie wirksam das Meridian-Klopfen ist - gerade bei schwer belastenden Erinnerungen. Es gibt einige aufgeschlossene Ärzte und Psychologen, die mit EFT behandeln. Wenn Sie möchten, so helfe ich gerne weiter mit Informationen. Mich finden Sie über meine Webseite: www.emofree.de

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Ich lese Ihre Zeitung als Beilage in der SZ oft recht gerne, weil ich das Gefühl habe, das es mir gut tut.
Zu dem Artikel Was die Liebe aushält zwei Anmerkungen:
Der Mann um den es sich da dreht, hätte mehr Aussicht auf ein weitgehend normales Leben, wenn sich mal jemand kompetent um seinen Streßstoffwechsel und um seine Versorgung mit Vitaminen, Mineralien, Spurenelementen und Mikronährstoffen kümmern würde. Streß ist wie Krebs eine konsumierende Erkrankung, das heißt der Körper verbraucht mehr, als man mit Essen-auch dem ausgewogensten- an Inhaltsstoffen nachschieben kann( Dafür zuständig ist Orthomelekulare Medizin, Mitochondriale Medizin-ganzheitliche naturwissenschaftliche Diagnostik). Auch Therapie hat mehr Aussicht auf Erfolg, wenn der Körper z.B.die Proteine, die für Langzeitgedächtnisaufbau benötigt werden überhaupt zur Verfügung hat.
Ich selbst bin fürs Leben geschädigt durch einen Vater, der als Rußlandspätheimkehrer völlig "durchgeknallt" war und mich durch die gesamte Kindheit schwer traumatisiert hat. Ich bin nicht die Einzige. Vieles in meinem Leben hat dazu geführt, daß ich gelernt habe-was mich letztenendes in etwa gesund gemacht hat- daß psychische Befindlichkeit auch ein Stoffwechselprodukt ist.
Es gibt ein gutes Buch von der Therapeutin Betina Alberti " Seelische Trümmer" aus dem auch klar hervorgeht, daß Deutschland voll ist von dissoziierten Menschen aufgrund der kriegsgeschädigten Eltern. Das hat ursächliche Wirkung auf unsere Gesellschaftsform. Ich denke, daß wäre auch mal ein Thema für Chrismon, das bislang noch viel zu wenig in der Öffentlichkeit angekommen ist, in welcher Weise unsere Gesellschaft durch die Folgen der Weltkriege beeinflußt ist-wie es in der Bibel steht- die Sünden der Väter pflanzen sich fort bis ins vierte Glied- oder so ähnlich.
Mit freundlichem Gruß
Laura Reese

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