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Juli 2016: Evangelische Filmjury empfiehlt
Als Film des Monats Juli 2016 zeichnet die Jury der Evangelischen Filmarbeit "Toni Erdmann" von Maren Ade aus
13.07.2016

Ines hat es geschafft. Sie arbeitet erfolgreich für eine bekannte Unternehmensberatung, hofft auf eine Versetzung in die Boomtown Schanghai und hat eine Assistentin, die sie herumschicken kann. Wichtig ist jetzt, dass ein kompliziertes Outsourcing-Unternehmen in Rumänien über die Bühne geht. Aber der Kunde ist arrogant, der Chef fordernd – und der Gelegenheitssex mit dem Kollegen geht als "Privatleben" nicht durch. Als Ines’ Vater Winfried anreist, ein Musiklehrer und Fossil der antiautoritären Ära, gerät ihr mühsam im Gleichgewicht gehaltenes, von Champagner und Koks befeuertes Karriereprojekt ins Taumeln. In bizarrer Verkleidung, als "Toni Erdmann", heftet sich der besorgte Winfried an die Fersen seiner Tochter, mischt sich in Konferenzen und Empfänge ein.

Groteske Komik brilliant gespielt

Familienkomödie, Gesellschaftssatire, Frauendrama: Die dritte Regiearbeit der Autorenfilmerin Maren Ade ("Alle anderen") hat ein bisschen von allem - und ist doch ganz anders, vollkommen eigen. Über nahezu drei Stunden entfaltet "Toni Erdmann" das Psychogramm einer Gesellschaft, die den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hat. In Bukarest, einer Stadt, die verzweifelt den Anschluss an die internationale Wirtschaft sucht, zwischen Hotel-Lounges und Shopping Malls, halten Ines und ihre Kollegen das neoliberale Lebensmodell in Schwung. Was das den Einzelnen kostet, macht der Film fast physisch spürbar: als permanenten Stress, als Serie kleiner sozialer Demütigungen – hinter der grotesken Komik der pointiert geschriebenen und brillant gespielten Szenen lauern Angst und Scham. Die Charakterdynamik zwischen den beiden Hauptfiguren, die allmähliche Annäherung zwischen der zweckrationalen Tochter und dem "närrischen" Vater, bringt jedoch etwas Subversives in die Geschichte – sie eröffnet Spielräume für Gefühle, Fürsorge, Bedürftigkeit. Einen deutschen Film, der so erfindungsreich und gelassen das Individuelle mit einer weiträumigen sozialen Perspektive verbindet, hat es lange nicht gegeben.

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Produktion: Komplizen Film, Deutschland 2016; Regie und Buch: Maren Ade; Kamera: Patrick Orth; Schnitt: Heike Parplies; Darsteller: Peter Simonischek (Winfried/Toni), Sandra Hüller (Ines), Michael Wittenborn (Henneberg), Thomas Loibl (Gerald), Trystan Pütter (Tim) u.a.; Format: DCP, Farbe, 162 Min.; Verleih: NFP marketing & distribution, Kantstraße 54, Berlin Tel.: 030 32909 413, Fax: 030 32909 419, www.nfp.de; FSK: ab 12

Preise: Preis der Internationalen Filmkritik, Cannes 2016

Kinostart: 14. Juli 2016

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