04.05.2012

Die beiden Frauen stehen einander gegenüber, die Zungen herausgestreckt. Marina, 23, soll Küssen lernen, ihre Freundin Bella will es ihr beibringen. Aber Marina findet die feuchte Berührung eklig; sie ist vollkommen unerfahren in Liebes- und Beziehungsdingen.

Besser verstehen sich die Freundinnen, wenn sie Distanz halten: Dann kann es vorkommen, dass sie ein kleines Ballett aufführen, auf einem gepflasterten Weg in den gleichen Takt fallen – wie in einem Musical. Marina hat im Ausland gelebt und fühlt sich fremd in der öden griechischen Küstensiedlung, wo sie als Chauffeurin die Un-Orte der Moderne abklappert: Hotel, Flughafen, Fabrik.

Marina begleitet den Vater beim Sterben

Nähe erlebt sie nur mit ihrem Vater, einem Architekten. Der ist aber todkrank, er bereitet sich auf sein Ende vor. Und während Marina ihn fürsorglich aus dem Leben begleitet, muss sie selbst ihren Platz darin finden.

Auf den ersten Blick ist der Film von Athina Rachel Tsangari eine Erzählung über eine junge Frau, die sich aus einer ödipalen Bindung löst, ihre Sexualität erprobt und plötzlich auf sich gestellt ist. Auf den zweiten Blick aber weitet sich der klassische Stoff zu einer subtilen Erforschung der Spezies Mensch.

Was aht der Film mit Attenborough zu tun?

Der Titel ist eine Verballhornung des Namens von David Attenborough, eines bekannten britischen Naturfilmers, von dessen Tierdokumentationen die Hauptfigur Marina besessen scheint. In beinahe surrealen, schön komponierten Szenen erprobt sie Gesten, Bewegungen, Geräusche, Sprache und Musik – bis sie am Ende ihren sprachlos gewordenen Vater mit einem Popsong aus dieser Welt in die nächste führen kann.

Wie kommunizieren wir? Wie bauen wir Beziehungen auf? Wie entwickeln wir uns, und wie bewegen wir uns in der Umgebung, die wir geschaffen haben? Mit solchen weitreichenden Fragen schlägt der Film den Bogen vom modernen, krisengeschüttelten Griechenland zur griechischen Philosophie, die den Menschen als Individuum sieht, das doch erst in der Beziehung zu anderen zu sich kommen kann.

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Attenberg (Griechenland 2010)
Regie und Buch: Athina Rachel Tsangari; Darsteller: Ariane Labed (Mariana), Evangelia Randou (Bella), Vangelis Mourikis (Spyros) u.a.; 95 Min.; Preise: Beste Hauptdarstellerin, Venedig 2010;
Kinostart: 10. Mai

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