Eine Reise durch deutsche Haftanstalten und durch die üblichen Vorurteile
Tim Wegner
20.12.2011

Der taz-Redakteur Kai Schlieter besichtigt deutsche Strafvollzugsanstalten, spricht mit Juristen, Kriminologen, Soziologen, Psychologen. Dabei konfrontiert er die herrschenden Vorurteile mit Statistiken und den deutschen Haftalltag mit den Gesetzen.

Beispiele: Eigentlich soll der offene Vollzug die Regel sein, tatsächlich ist er die Ausnahme; mit Straftätern wird nicht immer laxer umgegangen, vielmehr sind seit 1990 immer mehr Menschen in Haft; es werden nicht immer mehr Jugendliche gewalttätig, vielmehr sind zum Beispiel die Raufereien unter Schülern mit Verletzungsfolgen seit 1993 deutlich gesunken; was manchem wie ein Wellnessknast vorkommt, ist im Strafvollzugsgesetz vorgeschrieben: Das Leben in Haft soll den allgemeinen Lebensverhältnissen weitmöglichst angeglichen sein; das Ziel der Haft ist, dass die Gefangenen als sozialverträgliche Zeitgenossen entlassen werden – doch nur drei Prozent bekommen eine Sozialtherapie gewährt.

Das ist Rechtsbruch, und der Autor erzählt noch von weiteren Rechtsbrüchen, denen Gefangene ausgesetzt sind. Dass es gefährliche Menschen gibt, vor denen die Gesellschaft geschützt werden muss, verschweigt er keineswegs. Doch die Mittel, um diesen Schutz zu erreichen, die sind in vielen Fällen die falschen, weil nutzlos. Beispiel Sicherungsverwahrung: Solange Verurteilte nicht in gewissen Grenzen selbständig leben und auch mal ausgehen können (und sei es in Begleitung oder einfach zur Arbeit), weiß man schlichtweg nicht, wer dazugelernt hat und wer nicht; Gutachten allein aufgrund von Gesprächen können nie wirklich treffsicher die zukünftige Gefährlichkeit einer Person klären.

Kurzum: ein gut lesbares Buch, das in unaufgeregter Weise einiges geraderückt, was in der öffentlichen Debatte immer wieder falsch dargestellt wird.

Kai Schlieter: Knastreport, Westend Verlag, 253 Seiten, 17,95 Euro

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