Eine Zeichnung des chinesischen Künstlers Sun Xun zum Reformationsjubiläum
Eine Zeichnung des chinesischen Künstlers Sun Xun zum Reformationsjubiläum
Sun Xun
Luthers Kraniche
Der chinesische Künstler Sun Xun hat für chrismon zum Reformationsjubiläum eine Zeichnung gemacht. Eine Aufforderung, die politischen Herausforderungen von heute anzunehmen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
23.10.2017

Warum denn diese schwarzen Wolken, diese gefiederten dunklen Augen, die wie Alfred Hitchcocks Vögel über die Erde herfallen? 

Sun Xun, ein junger Künstler aus Peking, bekommt  seit einigen Jahren international viel Aufmerksamkeit. ­­Er stellte seine Arbeiten im Guggenheim Museum und im Metropolitan Museum of Art in New York aus, auch in London, Paris oder Singapur. Er zählte bereits in der Wittenberger Ausstellung „Luther und die Avantgarde“ ­(geöffnet noch bis 1. November) zu den herausragenden Künstlern. Die von ihm ausgemalte Zelle im ehemaligen Gefängnis von Wittenberg, jenem wirklich ungewöhnlichen Ausstellungsort, zieht viele Besucher an, wie auch die von Ai Weiwei gestaltete.   

Sun Xun, geboren 1980, also vier Jahre nach dem Ende der chinesischen Kulturrevolution, hat die Freiheit zu seinem großen Thema gemacht. Er setzt sich damit auseinander in Tuschezeichnungen, Malereien, raumfüllenden Installationen, Animationsfilmen, Holzschnitten, Videos. Und er bedient sich frei an historischen Motiven.

Die Freiheitsstatue neben dem Turm von Babel

In seiner Zeichnung für chrismon setzt Sun Xun den Turm von Babel, Symbol menschlicher Überheblichkeit, neben die New Yorker Freiheitsstatue und die chinesische Mauer. Man mag es als Kritik am amerikanischen Präsidenten Donald Trump verstehen („Ich werde eine große Mauer bauen – und niemand baut Mauern besser als ich“) oder am Wirtschaftsprotektionismus Chinas. Und  in den gespenstischen Astlöchern ­des Baumes könnten Mikrofone der amerikanischen oder chinesischen Sicherheitsbehörden stecken, oder ­die von Industriespionen.  

Warum so düster? Stehen in China, einem beliebten Wirtschaftspartner Deutschlands, zurzeit nicht viele Zeichen auf Glück und Erfolg? Gerade wird in Peking die große Kunstausstellung „Deutschland 8“ gezeigt, in sieben Museen, mit Arbeiten von 55 namhaften deutschen Künstlern der Nachkriegszeit und der Gegenwart. Vorbereitet wurde sie von der Stiftung für Kunst und Kultur, Bonn, die auch „Luther und die Avantgarde“ zustande brachte. „Deutschland 8“ ­begeistert. Schon deshalb: Die 8 ist die chinesische Glückszahl schlechthin. Ein Vertrag, morgens um 8 Uhr unter­zeichnet, bringt unbedingt Erfolg. Autokennzeichen, Kontonummern, Telefonnummern mit möglichst vielen Achten verheißen nur Gutes. 

Chinesische Künstler als Luther­interpreten: Das wäre bei früheren Reformationsjubiläen nicht denkbar gewesen. Nicht 1917 im Ersten Weltkrieg, als die Kirchen die deutschen Soldaten mit nationalistischen Sprüchen antrieben, nicht 1983 beim Lutherjahr in der DDR, als der SED-Staat den Reformator zur Selbstüberhöhung einspannte. 

Evangelische Kirche und Künstler: Für beide ist das Freiheitsthema wichtig

Sehr souverän, dass die evangelische Kirche mit der Avantgarde-Ausstellung ihre Deutungshoheit über das Reformationsgeschehen bei der eigenen Veranstaltung aufgegeben hat. Und das Ergebnis gibt ihr recht. Letztlich begegnet dem Betrachter in den Kunstwerken ihr ureigenes Thema, das der Freiheit. 

Sun Xun ist ein säkularer Künstler, der sich gleichwohl oft mit dem Buddhismus beschäftigt. Auch deshalb scheint er mit seiner Kunst zu raten: Betrachtet das Leben ruhig und ­aus der Distanz, lasst euch nicht von Alltagsängsten auffressen und von euren Emotionen hinreißen. An Martin Luther interessiert ihn dessen kritischer Geist, der sich gegen die Machtstrukturen der Kirche ­richtete. 

Sun Xuns Werk passt aber auch in die aktuelle politische Lage Deutschlands: Im Jahr des Reforma­tionsjubiläums ist die AfD politisch so erfolgreich wie nie zuvor. Sun Xuns Bild scheint zu sagen: Gebt den Angstmachern keine Chance. So trotzt auf dem chrismon-Bild eine aufrechte Person im Professorentalar dem Horror: Martin Luther, flankiert von zwei Kranichen. Der Kranich ist das chine­sische Symbol für Weisheit, Glück und langes Leben und wird auch in der deutschen Kultur als souveränes, majestätisches Tier bewundert. 

Schon auf die Wände „seiner“ Zelle hatte Sun Xun den Augustinermönch und Theologieprofessor gezeichnet, auch dort ruht auf den Schultern kein kluger Kopf, sondern ein glühender Planet: Die explosiven Ideen dieses Mannes, so die Botschaft, verändern die Welt. 

Dan Xu arbeitet als Kuratorin und Projektmanagerin bei der Stiftung für Kunst und Kultur und betreut die Ausstellung „Deutschland 8“ in ­Peking sowie „Luther und die Avantgarde“ in Wittenberg. Die promovierte Kunsthistorikerin, Jahrgang 1983, hat viel mit asiatischen Künstlern zu tun und beobachtet deren subtile Art, mit dem Thema Menschenrechte umzugehen. 

„Die meisten chinesischen Künstler äußern sich nicht provokativ“, sagt Dan Xu, „sondern sie verwenden eine leisere und indirekte Bildsprache. Sie suchen nicht die direkte Konfronta­tion wie zum Beispiel Ai Weiwei, der inzwischen ja auch meist in Deutschland lebt.“ Der stellt in Wittenberg einen Betonklotz aus, in dem sich als Hohlraum sein eigener Körper abzeichnet. Ein klarer Hinweis auf seine politische Verfolgung in China. Andere Künstler halten sich politisch zurück. Das habe seinen Grund vor allem in der chinesischen Mentalität, sagt Dan Xu, und die basiere auf Harmonie und Höflichkeit. 

Eine politische Spitze gegen die Medienzensur?

Ziemlich deutlich ist in der Wittenberger Ausstellung „Luther und die Avantgarde“ eine Arbeit des chine­sischen Künstlers Zhang Peili. Er hat eine Reihe Transistorradios im Kreis aufgestellt, aus jedem dringt ein Schwall von Worten. Ein Mi­krofon fährt im Kreis herum, nimmt mal hier, mal dort die Laute auf und leitet sie an große Lautsprecher weiter. ­Offensichtlich eine politische Spitze gegen chinesische Medienzensur.

Dan Xu ist diese Interpretation zu eng. „Zhang Peilis Kritik ist auch ein Kommentar zu den Machtmechanismen der Medien in der westlichen Welt.“ Auch hier würden Nachrichten selektiert. „Wer hier die Macht hat, das Mikrofon zu benutzen, entscheidet mit darüber, wer und was gehört wird.“ 

Bei der Eröffnung der Pekinger Ausstellung hatte ihr Kurator Walter Smerling, Chef der Stiftung für Kunst und Kultur, behauptet: „Künstler sind mit ihren Mitteln der Politik und Wirtschaft um Längen voraus. Sie sind das entscheidende Quänt­chen freier im Denken.“ Das mag nicht auf alle Künstler zutreffen und erst recht nicht auf jede ihrer Ar­beiten. Aber auch Dan Xu sieht es so: „In vielen Bereichen sind sie ungezwungen, ungebunden. Sie haben eine enorme gesellschaftliche Kraft. Soft Power.“

Zügig und mit virtuosem Geschick hatte Sun Xun die Wände der Zelle in Wittenberg bemalt. Das dauerte gleichwohl zweieinhalb Wochen. Konzentriert fügte er wie bei einer Radierung Linie an Linie, mit großer Sorgfalt. Als Sun Xun an der Chinesischen Hochschule der Künste zu studieren begann, wollte er eigentlich ins Filmfach. Doch er konnte sich ­keine Filmkamera leisten. So stu­dierte er Zeichnen und Druckkunst. Ohne diese harte Schule wäre Sun Xun vielleicht nie ein international bekannter Zeichner geworden.

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