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Ein Pfarrer fordert: Schluss mit dem Zwangs-Ruhestand!
In einem Brief an chrismon appelliert Pfarrer Martin Hagenmaier: Schluss mit dem Zwangs-Ruhestand!
21.08.2015

###autor###Ich stelle mir vor, dass manche diesen Diskussionsanstoß angesichts der durchaus komfortablen Versorgung von Pensionären als eine Art Sakrileg und Gejammer auf hohem Niveau empfinden werden. Das sollte Sie aber nicht vom Lesen abhalten!

In unserer Gesellschaft kommt für jeden unweigerlich der Punkt, wo er zwangsweise „zur Ruhe gesetzt“ wird, sein Einkommen ohne sein Zutun und ohne seinen Willen kräftig reduziert und sein Geisteszustand per Herkommen auf den eines funktionslosen „Opas“ oder einer funktionslosen „Oma“, also eines Versorgungsempfängers oder einer Versorgungsempfängerin, reduziert wird.

„Es steht Ihnen ja das Ehrenamt offen!“, heißt es zur Beruhigung. In meinem Kopf erscheint für solche Leute, die zwangsweise in Rente gesetzt werden, das Bild der alten Nachbarin meiner frühen Kindheit. Sie konnte nun wirklich nicht viel mehr als den Hof fegen, und hinterher kam dann der Bauer, ihr Sohn, und fegte noch mal richtig. Eine Milchkanne zu tragen war ihr zu schwer, das machten wir Kinder gerne. Und ihr Lachen klang wie eine scheppernde Kanne aus Blech, so ein kraftloses Hehehe.

Ich bin gerade in so einen Ruhestand gewechselt und das – trotz Protest –, ohne gefragt zu werden, also unter Zwang. Vielleicht war mein Sträuben nicht heftig genug, obwohl ich es mehrfach öffentlich gemacht habe. Das wurde aber nicht wirklich ernst genommen. Auch keine Zeitung hat darüber berichtet, obwohl ich das ausdrücklich autorisiert hatte – kein Thema!  

Es ist mir also verboten, meinen Beruf unter normalen Bedingungen auszuüben. Selbstverständlich behalte ich als Pastor meine Rechte der „Wortverkündigung“, also des Predigens, und der „Verwaltung der Sakramente“, also des Haltens von Gottesdiensten mit Abendmahl oder Taufen etc. Ich kann auch Seelsorge betreiben. Aber ich mache es eben nicht mehr zu Erwerbszwecken. Und mancher sagt: „Sei doch froh, jetzt kannst du machen, was du willst.“ Will ich wirklich machen, was ich will? Das klingt nach der Frage der Kinder im Kinderladen der 70er Jahre: „Sag mal, Marion, müssen wir heute wieder spielen, was wir wollen?“

Das „Zur-Ruhe-Setzen“ mag einmal den Grund gehabt haben, dass die 65- bis 67-Jährigen nicht mehr in der Lage waren, einen zusammenhängenden Satz zu bilden und zuhauf kurz nach 65 ablebten – wobei das auch heute niemand im Voraus weiß –, dass sie als geistig unbeweglich galten und den Lehren ihrer Jugend anhingen, die inzwischen dreimal als nicht mehr zutreffend qualifiziert wurden.

Bei körperlich Tätigen war und ist die Lage anders. Bei ihnen gilt Arbeit immer noch als „Schinderei“ oder gar als Schikane. Viele von ihnen empfinden es weiter als soziale Errungenschaft, in den Ruhestand geschickt zu werden, es sei denn, die erworbene Rente ist zu gering. Aber bei allen gilt auch, Verantwortliche wollten oder wollen viele von ihnen tatsächlich loswerden und haben mit dem Rentenalter eine unverdächtige Gelegenheit dazu.

"Warum also diese Unfähigkeitserklärung Ruhestand?"

Allerdings erinnere ich mich lebhaft und zum Teil gerne an Kollegen, die bis zum 70. Lebensjahr im Dienst standen und diesen zur vollen Zufriedenheit ihrer Gemeinde ausübten. Es gab aber auch schon Phasen, in denen die Kollegen mit 58 Jahren den Ruhestand freiwillig ansteuerten. Die Kirchen wollten Personal loswerden und taten dies auf Kosten ihrer eigenen Ruhestandskassen. (Die Grundlage für diese Handlungsweise, der erwartete Rückgang der Kirchensteuern, ist übrigens nie eingetreten!) Gut – wer das freiwillig mitmacht und eine bessere Alternative hat …

Da war dann nicht von der Unfähigkeit der Alten die Rede, die ohnehin bei Berufen wie Arzt oder Ärztin, Journalist(in), Pastor(in) oder Lehrer(in) ein Märchen ist. Zumindest bei den Pastoren und Pastorinnen kann ich das selbst beurteilen. Da gewinnt man ja die richtige Berufsreife eigentlich erst mit 60! Alle anderen Jahre sind Vorübungen und Ablegungsrituale für Ehrgeiz und Selbstüberschätzung. Insofern ist es ohnehin ein „alter“ Beruf.

Rente mit 70?

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Ein Pfarrer wollte gar nicht in den ­Ruhestand. Er musste aber. Schade, sagt Chrismon-Redakteur Burkhard Weitz.

Warum also diese Unfähigkeitserklärung Ruhestand in einem bestimmten Alter? Die ganze Gesellschaft diskutiert, dass wir einem Zustand immer näher kommen, in dem ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin zwei oder gar drei Rentner(innen) ernähren muss. Die Landeshaushalte drohen von der Pensionslast erdrückt zu werden. Wäre das nötig, wenn der oder die im derzeitigen Rentenalter Befindliche seine oder ihre Tätigkeit weiter ausübt? Wenn das Ruhestandsangebot freiwillig wäre, gäbe es sicher in manchen Arbeitsfeldern bis zu 50 Prozent, die gerne weiter tätig wären, um ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Diese müssten von keinem anderen regulär Arbeitenden ernährt werden. Die Steuereinkünfte des Staates wären entsprechend höher. Die Zufriedenheit unter den Generationen ebenso. Ich kann jeden jungen Mann und jede junge Frau verstehen, der oder die darüber klagt, dass sie die vitalen heutigen Rentner(innen) ernähren muss, die dann auf ihre Kosten weltweit unterwegs sind und in den Ferien den jungen Familien beim Camping die besten Stellplätze wegschnappen sowie so gar keinen bedürftigen Eindruck machen.

Zu aller Blödheit kommt dann noch das Argument, die Noch-gar-nicht-Alten müssten die Arbeitsplätze für die Jungen freimachen. Klagte nicht die Wirtschaft eben noch über die wegbrechenden Fachkräfte und den dadurch entstehenden wirtschaftlichen Schaden? Bis zugewanderte Migrant(inn)en – wenn die Politik sich endlich dazu durchringt, das Land für Zuwanderer zu öffnen und den Missbrauch des Asylrechts zur Zuwanderungssteuerung einzustellen – zu gleichwertigen Fachkräften herangewachsen sind, wird es zwar unterschiedlich lange, aber insgesamt zu lange dauern.

Wann wird, wie es bei Ingenieur(inn)en schon lange geschieht, die Klagewelle übers Land schwappen, dass es nicht genug Ärzte und Ärztinnen, Lehrer(innen), Journalist(inn)en oder auch Pastor(inn)en gibt? Wobei auf die Dauer fraglicher wird, ob es letztere dann überhaupt noch geben muss! Der Pastor oder die Pastorin ohne Gemeindemitglieder muss erst noch erfunden werden, es sei denn, das Ganze wird von einer anderen Religion übernommen.

Pensionierungswelle auf der einen, fehlender Nachwuchs auf der anderen Seite

Weiteres Argument: „Wir leben in einer freien Gesellschaft, wo jede/-r nach seiner Fasson existieren kann!“ Schön wär’s, wenn das auf unsere Gesellschaft zuträfe! Man wird in allen Sachen gegängelt und gleichgemacht und hat Vorschriften aller Art zu befolgen. Wer schon einmal ein Haus gebaut, eine Steuererklärung abgegeben oder in Frankreich ein religiöses Plakat an falscher Stelle aufgehängt hat, weiß das.

Am schlimmsten sind die ungeschriebenen Regeln: Man muss „vernünftig sein“, darf auf keinen Fall irgendjemand kritisieren, weil der- oder diejenige sich gemeint fühlen könnte und dann nicht mehr zum Gespräch bereit ist, sondern zum Richter geht. Nicht nur wir Deutschen sind uns zu schade, mal etwas einzustecken, würden aber gerne austeilen, ich weiß!

Was ein Pfarrer nicht sagt

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(Fast) alles ist erlaubt! - Wenn eine Pfarrerin sich anhören muss, sie sei doch eigentlich zu schön fürs Pfarramt, dann sagt sie besser nicht: „Ich mag mir gar nicht ausmalen, in welchem Beruf Sie mich lieber sähen!“ Und schreibt stattdessen an die Facebook-Seite „Dinge, die ein evangelischer Pfarrer nicht sagt“. Wenn der Pfarrer nach der Karfreitagsliturgie verwundert sagt, „man könnte ja meinen, es wäre heute einer gestorben“, dann darf sich auch die Gemeinde getrost fragen, ob es Dinge gibt, die ein evangelischer Pfarrer nicht sagen sollte (und eine Pfarrerin selbstverständlich auch nicht).

Am besten ist es aber, man lacht herzlich darüber! Frank Muchlinsky hat auf der gleichnamigen Facebook-Seite solche „Dinge, die ein evangelischer Pfarrer nicht sagt“ gesammelt und aus den Stilblüten, Pannen und Peinlichkeiten rund ums Pfarramt ein humorvolles Buch gemacht.

Eine der inzwischen dümmsten Vorschriften ist die des „Zur-Ruhe-Setzens“. Sie wurde erfunden, um verbrauchten Menschen einen „verdienten Lebensabend zu gewähren“, war also damals in der Tat eine soziale Errungenschaft. Inzwischen ist sie zu einem realitätsblinden und unangemessenen Mechanismus der Ausgliederung verkommen, mit dem sich die Gesellschaft selbst schadet. Wie kann eine arbeitende Generation ihre nicht mehr arbeiten dürfenden Kolleg(inn)en 25 bis 30 Jahre auf einem Niveau halten wollen und gesetzlich dazu gezwungen werden, das sie selbst vielleicht nie erreichen wird?

Dieser Zeitraum entspricht in manchen Berufen und den entsprechenden Lebensverläufen einem gesamten Erwerbsleben. Das „Zur-Ruhe-Setzen“ kann allenfalls denen zukommen, die wirklich und nachweislich einfach nicht mehr können, nie aber denen, die noch können und auch noch wollen. Irgendwann muss sich diese Gesellschaft so organisieren, dass Individuen auch individuell behandelt werden. Warum hat sich im Erfindungsraum des Individuums das Individuum an den wirklich brisanten Stellen noch immer nicht verifizieren lassen?

Die lächerliche Gleichmacherei hat ja bereits beim einstmals als objektiv geltenden nominalen Alter des Menschen ihr Ende gefunden, indem die medizinische Wissenschaft erkannt hat, dass Individuen, die dem Kalender nach gleich alt sind, biologisch auf völlig verschiedenen Altersstufen stehen können. Natürlich hängt so etwas auch mit dem individuellen Lebensstil zusammen. Man darf sich also bei diesen Überlegungen nicht in eine falsche moralisierende Haltung gegenüber den individuellen Lebensstilen drängen lassen. Dem allerdings durch Gleichmacherei – also erzwungenem Gleichmaß – vorzubeugen, erscheint geradezu idiotisch. Die Gesellschaft kann garantieren, dass jemand unbeschadet zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Anspruch auf „Ruhegeld“ hat, sie sollte aber niemanden zwingen, das dann im Gleichschritt ohne Grund mit zu vollziehen. Warum müssen Dachdecker und Bauarbeiter den vielen Dienstleistungsberufen und gar noch den Geistesarbeitern gleichgesetzt werden?

"Ein bisschen Individualität beim Eintritt in die Rente"

An anderen Punkten folgt das Alterssicherungssystem individuellen und Lebensstilfragen sehr penibel und sehr kontraproduktiv. Kinderlose Paare – meist eine Frage des Lebensstils, manchmal auch der persönlichen Not – können sich gemeinsam über zwei lange Lebensarbeitszeiten und daher entsprechend bessere Renten und Pensionen freuen als Elternpaare, bei denen sich einer zeitweise hauptberuflich um die Kinder kümmerte. Wenn sie verwitwen, setzt sich das fort. Wer sein Leben lang oder gar nur Teile seines Lebens einen knappen Lohn bezog, wird im Alter dafür mit einer besonders kleinen Rente „belohnt“. Wer sich dann aus diesem Grund eine geringfügige Tätigkeit besorgt, um z. B. bis ins hohe Alter zu putzen oder Karren auf dem Supermarktgelände zusammenzuschieben, der tut das wegen individueller Knappheit seiner Rente.

Auch der- oder diejenige darf nicht mehr in seinem oder ihrem regulären Beruf arbeiten, um das Einkommen zu erhalten. Wer länger krank ist oder wem ein anderes Schicksal widerfährt wie z. B. eine psychische Erkrankung oder wer gar mehrere Gefängnisaufenthalte selbst herbeiführt, spürt auch das nachher ganz individuell. Da wäre so ein bisschen Individualität beim Eintritt in die Rente doch nicht zu viel verlangt! Aber das ist bei den „ganz gerechten Sachen“, die sich individuell auswirken, wohl eine Stufe zu viel! Besser wäre es allerdings, in den genannten Punkten weniger individuell und dafür beim Eintrittsalter individueller zu werden.

Mir ist auch klar bzw. meine etwas ältere und immer noch selbstständig tätige Frau hat mir das klargemacht, dass der Vorschlag der Individualisierung des Eintrittsalters in den Ruhestand erhebliche Probleme der gerechten Abwicklung erzeugen kann. Werden nicht in einer Kommission, die solche Anträge überprüft, gerade die ehrgeizigen und sich selbst überschätzenden Kolleg(inn)en sitzen, die nur ihren Förderern eine Verlängerung gönnen und alle anderen aus Gründen des Ehrgeizes als mögliche Konkurrent(inn)en ablehnen? Wer soll welche Berufsgruppe überprüfen? Sind alte Lehrer(innen) nicht generell aus pädagogischen Gründen für die Unterrichtung von Kindern und Heranwachsenden ungeeignet, während Studierende sich gegen ihre (alten) Professor(inn)en durchaus wehren können, bis diese von selber einsehen, dass sie in Ruhestand gehen müssen?

Alte Ärzte oder Ärztinnen könnten ihre gesundheitlichen und praxishinderlichen eigenen Defizite verbergen, weil sie auch sonst eigene Krankheiten eher nicht wahrnehmen. „Und geh mir weg mit alten Pastoren! Die meinen, ihre Predigten aus der Zeit vor zwanzig Jahren seien auch heute Vorbereitung genug!“

Alle diese Probleme gibt es auch bei Berufstätigen jüngeren Alters, ohne dass man sie gerecht lösen könnte. Es gibt keine gerechte Berufungs-, Beförderungs- oder Wahlpraxis im Erwerbsleben, und dennoch funktioniert das meiste irgendwie dann doch. Selbst wenn zurückgewiesene Bewerber(innen) zumindest im öffentlichen Dienst heute sogar vor Gericht ziehen. Bei Berufungen, Beförderungen und Wahlen sitzen meiner Erfahrung nach in der Tat die Ehrgeizigen und sich selbst Überschätzenden an den Hebeln und verteilen den vorhandenen Kuchen nach ihrem Gutdünken. Ähnliches könnte auch beim Renteneintritt passieren, womit man sich ob der gewonnenen Freiheit individuell abfinden könnte.

Diese vielen Worte brauchte es gar nicht. Es würde auch der Aufruf reichen: Leute, beginnt, euch gegen die Zwangsdeaktivierung im Alter zu wehren!

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