29.05.2017

Als ich vor einigen Wochen auf einer sonnigen Terrasse hoch über der kolumbianischen Millionenstadt Medellín saß, versagten gleich zwei Versuche, halbwegs höflich in ein Gespräch zu kommen. „Schöne Aussicht hier“, sagte ich und zeigte vage auf einen grünen Hügel. „Da liegen unsere Schwestern und Tanten begraben, ermordet von Paramilitärs“, zuckten die Frauen mit den Schultern. Mein zweiter Versuch: „Wie schön, dass Kolumbien jetzt den Friedensnobelpreis bekommen hat“ – das klang erst recht wie ein schlechter Witz. „Für mich herrscht kein Frieden“, sagte Nora, eine der Frauen, „mein älterer Sohn ist tot. Und wer beschützt jetzt meinen Jüngsten?“

Von Nora handelt die Titelgeschichte im neuen chrismon. Nora hat das Pech, an der Durchfahrtsstraße in Richtung USA zu wohnen – links davon herrscht das eine Drogenkartell, rechts das andere. Wenn ihr Sohn Maximiliano seinem dementen Opa das Essen brachte und dabei die unsichtbare Grenze überschritt, fragten die Drogenbosse ihn jedes Mal, ob er bei ihnen mitmache. Er sagte jedes Mal Nein. Als er 18 war, brachten sie ihn um.

„Frieden ist für viele ein Schimpfwort in Kolumbien“, sagt Josefina Echavarría, Friedensforscherin in Innsbruck. Josefina und ich waren in derselben Woche in Medellín, ihrer Heimatstadt. Es war die Woche, in der die Guerillagruppe Farc ihre Waffen niederlegte. „Aber siehst du vielleicht jubelnde Menschen am Straßenrand? Nichts!“ Wenn ein Land 50 Jahre nur Krieg kannte, dann weiß man nur, wie Krieg geht. Wie er riecht, wie er klingt. Frieden muss man lernen, sagte uns die Friedensforscherin.

Frieden ist harte Arbeit. Und er fängt damit an, dass man den Gegner wieder als Menschen begreift, dass man ihm zutraut, ein anderer zu werden. Diesen zutiefst christlichen Gedanken formuliert der evangelische Theologe Martin Leiner. Leiner ist begeistert von den Fotos, die chrismon-Fotograf Nick Jaussi Anfang 2017 in einem Demobilisierungs-Camp gemacht hat. Soldatinnen, die ihre Kinder stillen. Die sich schminken, sich gegenseitig Facebook beibringen. Menschen wie du und ich. „Den Feind zivilisieren, den viele nur als wildes Tier wahrgenommen haben“, das gelinge mit solchen neuen Bildern, sagt der Versöhnungsforscher.

Gar nicht zufrieden ist der Theologe mit der Rolle der Kirche im kolumbianischen Friedensprozess. Scharfmacher haben in beiden großen Kirchen den Frieden in Kolumbien eher verhindert als befördert. Dabei hat gerade dieser Kirchentag wieder gezeigt: Der Traum vom Frieden, er wird von Hunderttausenden von Christen geträumt. "I have a dream", sagte der anglikanische Erzbischof Thabo Makgoba aus Kapstadt gestern beim Abschlussgottesdienst in Wittenberg. Sein Traum: "Dass wir Narzissmus und Nationalismus überwinden und uns wieder bewusst werden, dass wir alle einer Menschheit angehören." Wer auf den Elbwiesen dabei war und "We shall overcome" sang - der mochte wenigstens für diese eine Stunde den Traum tatsächlich mitträumen.

Weil die Kirchen zu den wichtigsten Akteuren für Frieden und Versöhnung gehören, hat auch das Auswärtige Amt letzte Woche eine eigene Abteilung geschaffen für „Friedensverantwortung der Religionen“. Paradebeispiel: Ruanda. Dort haben Kirche und Staat eine schier unfassbare Versöhnungsarbeit geleistet, von der wir vieles lernen können.

Mich beeindrucken Menschen, die vergeben können. In Ruanda der Hotelrezeptionist Justin, dessen drei Kinder von den Hutu ermordet worden waren – und der dennoch später Hutu-Kinder in Pflege nahm.

In Kolumbien die Verkäuferin Maryluz, in deren Leben so viel Gewalt war, dass der Fotograf und ich uns nach dem Gespräch beide gleichzeitig fragten: „Wie konnte sie das überleben?“ Maryluz arbeitet heute in einer Kleiderkammer für Afroamerikaner, denen es, wie sie findet, „noch viel schlechter geht als mir.“

Was für ein großes Herz! Das wünsche ich Ihnen auch. Und eine friedliche Woche, Ihre

Ursula Ott, Chefredakteurin

PS: Lesen Sie auch unsere Themenseite "Friedenskirchen".