Kirchentag in Berlin.
epd-bild/Friedrich Stark
Mancherorts scheine Wahrheit gar nicht mehr zu zählen, beklagt der Bundespräsident auf dem evangelischen Kirchentag in Berlin.
27.05.2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat angesichts einer Zunahme von Fake News, Hass und Hetze im Internet vor einer "Zersetzung der Demokratie" gewarnt. Mancherorts werde Wahrheit nicht nur absichtlich gefälscht, sondern scheine gar nicht mehr zu zählen, sagte Steinmeier am Samstag auf dem evangelischen Kirchentag in Berlin. Schon eine Stunde im Netz genüge, "um einen nachdenklichen Leser zur schieren Verzweiflung zu bringen".

"Dauerregen an Informationen"

Zwar verschaffe das Internet Zugang zu einer nie gekannten Fülle von Informationen, sagte der Bundespräsident in einer Veranstaltung zum Thema "Ist die Vernunft noch zu retten?" Dieser "Dauerregen an Informationen" dürfe aber nicht mit Wissen und Weisheit verwechselt werden. "Gefühlte Wahrheiten drohen dauerhaft an die Stelle von überprüfbaren Fakten zu treten", erklärte Steinmeier. "Häme, Hass und Härten werden aber langfristig an unserer Gesellschaft nicht spurlos vorbeigehen."

Das "Abbilden und Verstärken von Stimmungen" sei einerseits der Reiz der neuen Medien, andererseits aber "auch eine Gefährdung einer aufgeklärten demokratischen Kultur", sagte er: "Ich finde, dieser Preis ist nicht nur hoch, sondern zu hoch." Ein "spielerischer Umgang mit alternativen Wahrheiten" sei "nicht nur ärgerlich oder ein flottes Label". Vielmehr stecke darin eine "existenzielle Gefahr für unser politisches Gemeinwesen".

Weltpolitisch scheine es immer mehr Verbündete zu geben, sagte der Bundespräsident: "Aber warum so wenig Vernunft?" In Zusammenhang mit dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA im vergangenen Jahr sei die Rede gewesen von einem "Virus des Absurden" und einem "Zeitalter des Postfaktischen". Doch auch in Deutschland sei eine "zunehmend aggressive Aversion gegen Fakten" und eine verstärkte "Suche nach Sündenböcken" festzustellen, sagte Steinmeier. Zu den Gründen gehöre, dass viele Menschen sich angesichts von Digitalisierung und Beschleunigung überfordert fühlen und einen Verlust von Kontrolle und Identität befürchteten.