Foto: Rufus46/Wikipedia
31.12.2014

Bewertung

Liturgie
1
Predigt
4
Musik
2
Atmosphäre
2

Der alte Bettler vor der Türe hat seine Krücke zur Seite gelegt und nickt jedem auffordernd zu, der die Christuskirche im Münchner Westen betritt. 46 Mal muss er nicken, nicht allzu oft für die mit 9000 Mitgliedern größte evangelische Gemeinde Münchens. Wenig später singt die Gemeinde „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Der Bettler setzt sich in die letzte Bankreihe und schließt die Augen.
Pfarrerin Ilka Wieberneit hat an diesem Morgen schon um 8.30 Uhr in der Kapelle des Rotkreuz-Krankenhauses vorm Altar gestanden, sie feiert ihren zweiten Gottesdienst. Das Lukasevan­gelium, über das sie predigen soll, macht ihr zu schaffen. „Eine schwere Proble­matik“ sei das, gerade jetzt im Advent, wo alle harmoniesüchtig durch die Einkaufsstraßen schlendern. Darüber hat der Evangelist nichts geschrieben, aber vom Brausen und Wogen des Meeres und dass den Völkern bange sei, bis der Menschensohn auf einer Wolke daherkomme, „mit großer Kraft und Herrlichkeit“. Wenn’s soweit ist, solle man sein Haupt erheben, weil die Erlösung naht. Uff.

Der 47. Gottesdienstbesucher aus der letzten Reihe blinzelt. Man weiß nicht recht, ob er überhaupt die deutsche Sprache versteht. Ilka Wieberneit setzt zum Gedankenflug über das Bild der Wolke an, auf der der Menschensohn sitzt. Sie sei nichts anderes als die Würde des Menschen, die sich in jedem Einzelnen zeige. Auch in jenen, die keine acht Kilometer Luftlinie von der Christuskirche entfernt zur selben Zeit in der Bay­ern­kaserne auf Asyl warten.

„Unsere Welt ist ins Wanken geraten“, sagt die Pfarrerin. „Wir brauchen neue Lösungen, weil die alten nicht mehr taugen.“ Und dann sagt sie den schönen Satz, von dem sie nicht weiß, wo sie ihn gelesen hat: „Probleme sind Lösungen, die nicht mehr passen.“ Schade, dass 8954 eingetragene Protestanten im Stadt­teil Neuhausen-Nymphenburg diesen und andere Sätze nicht hören, die so verstörend wirken vor den mit Kerzen und Sternen geschmückten Butzenscheiben der benachbarten Jugendstilvillen.

Lösungen muss man sich erarbeiten. Indem man aufsteht und sein Haupt erhebt. So steht es bei Lukas und so hat ­­ es die Pfarrerin ins Heute übersetzt: Christen sind „Rebellen des Lebens“.

Der ambitionierte Organist greift in die Tasten, der Klingelbeutel macht die Runde. Auch der Bettler nimmt ihn und steckt tief seine Hand hinein. Mesnerin Christiane Fischl kennt den alten Mann. Er nimmt nie etwas heraus, das weiß sie. Er wirft etwas von dem hinein, was er zuvor erbettelt hat.

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Christuskirche München (Neuhausen)
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Montag bis Freitag von 8.00 bis 17.30 Uhr
Samstag von 10.00 bis 17.30 Uhr

Kontakt
Ev.-Luth. Pfarramt Christuskirche
Dom-Pedro-Platz 5
80637 München
Telefon: 089/1579040
Mail an: pfarramt.christuskiche.m@elkb.de

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