18.02.2013

Bewertung

Liturgie
3
Predigt
4
Musik
3
Atmosphäre
4

Viele san mit’m Radel da. In Rollstühlen sitzend, auf Rollatoren gestützt. Einige geschoben, manche schaffen es allein. Beim Gottesdienst in der Schlosskapelle von Stetten im Remstal sind jene in der Minderheit, denen körperlich nichts fehlt. 

Musst mir vier Bonbons kaufen und sechs weiße Luftballons.“ Eine ältere Dame in der Stuhlreihe hinterm Kirchgänger lässt nicht locker: „Und einen Schulranzen musst mir kaufen, und ein rotes Kleid.“ Sie zählt noch lange auf, was sie sich vom Kirchgänger alles wünscht, da hat Pfarrerin Anja Wessel dem Organisten schon ein Zeichen gegeben. Er greift in die Tasten und überbrückt die Zeit, bis schließlich das Kirchlein fast bis auf den letzten Platz gefüllt ist.

Mit fast 8 000 Betreuten ist die Dia­konie in Stetten eine der größten Behinderteneinrichtungen Deutschlands, ein Sozialkonzern. Für viele Bewohner des Stammhauses im beschaulichen Rems­tal nordöstlich von Stuttgart ist der Gottesdienst ein wichtiger Markstein der Woche. Pfarrerin Wessel ist nach der Lesung durch eine Türe hinter dem Altar verschwunden und taucht kurz später fast unter der Kirchendecke weit oben auf der Kanzel wieder auf. Die Berufung des Zöllners Matthäus zum Jünger (Matthäus 9) steht auf ihrer Perikopenordnung. Sie hat sich Gedanken zu einem Jesus zugeschriebenen Satz gemacht, der für ihre Gemeindemitglieder eine besondere Bedeutung hat: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.“

Früher wandelte hier der Herzog mit Mätresse

Mit der Berufung des ehemaligen ­Zöllners Matthäus zum Jünger hat Jesus einen Vertreter des römischen Establishments auf seine Seite gezogen. Matthäus wird „Aussteiger“, „Leistungsverweigerer“. Er zeigt dem System den Stinkefinger. „Wer ist stark, wer ist schwach, wer ist gut, wer ist böse? Wir sind von allem etwas“, sagt Anja Wessel.

Sie nimmt in ihrer Predigt keine besondere Rücksicht darauf, dass wahrscheinlich einige Zuhörer ihren intellektuellen Ausführungen nicht folgen können. Sie behandelt die Behinderten nicht wie Kinder, denen nur einfache Wahrheiten zugemutet werden dürfen. Das irritiert zunächst. Doch zeigt sich gerade darin, mit welcher Würde man in Stetten den Bewohnern begegnet. Wer etwas aus der Predigt mitnehmen kann, möge das tun, den anderen bleibt die Liturgie. – Nach einer Stunde rollen die meisten über den Schlosshof zurück in die Wohngruppen. Früher wandelte hier der Württemberger Herzog mit Mätresse. Ein starker Mann, ein schwacher Mann.

Zur Gemeinde

Kontaktinformationen der Gemeinde

Diakonie Stetten
Pfarramtlicher Dienst
Schlossberg 2
71394 Kernen

Pfarrerin z. A. Anja Wessel

www.diakonie-stetten.de
 

Heilige Abendmahl mit Traubensaft in Einzelkelchen am ersten Sonntag (Kirchsaal Hangweide) und am zweiten Sonntag im Monat (Schlosskapelle in Stetten)

In Waiblingen (Devizesstrasse) wird am dritten Sonntag im Monat das Abendmahl gefeiert.

Gottesdienstorte und – zeiten (an allen Sonn- und Feiertagen):

  • Schlosskapelle Stetten um 9.30 Uhr
  • Kirchsaal Hangweide um 11.00 Uhr
  • Waiblingen, Zentrum an der Devizesstrasse, Haus Nr. 10 um 11.00 Uhr

Für Kinder und Jugendliche, die in Stetten im Wohnbereich leben, finden Kinderkirche, sowie Jugendkreise und Jugendgottesdienste statt.

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