Krisen gemeinsam bewältigen
Warum es oft sinnvoll ist, bei Friedensverhandlungen die Religionsgemeinschaften intensiver zu beteiligen
Irmgard SchwaetzerJulia Baumgart
26.04.2018

Vor 400 Jahren begann der Dreißigjährige Krieg. Dreißig Jahre lang bekämpften katholische Fürsten und die Anhänger der Reformation von Martin Luther, Huldrych Zwingli, Johannes Calvin und anderer Reformatoren einander mit Waffen.

Aber zuletzt war nicht mehr so klar zu unterscheiden, was religiöser Hass und was Machtanspruch war. Nach dem Westfälischen Frieden von Münster und 
Osnabrück 1648 war Europa jedenfalls neu geordnet und Toleranz im Zusammenleben der Religionen vereinbart und ­etabliert.

Irmgard SchwaetzerJulia Baumgart

Irmgard Schwaetzer

Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin a. D., war von November 2013 bis Mai 2021 Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Heraus­geberin des Magazins chrismon.

Heute stehen sich im Nahen und Mittleren Osten ­Muslime – Sunniten und Schiiten – unversöhnlich und voller Hass gegenüber. Sie kämpfen um Macht und ­Vorherrschaft in Syrien, im Irak, im Jemen und in Afgha­nistan. Saudi-Arabien und Iran, aber auch westliche ­Staaten und Russland verfolgen ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen und versorgen ihre Verbündeten mit Waffen.

Was ist in diesen Konflikten religiöser Hass? Was ist Machtanspruch? Deutlich ist: Religion kann und wird benutzt, um die gegnerische Seite zu demütigen und sich von ihr abzugrenzen. Menschen missbrauchen Re­ligion, obwohl in den Schriften der großen Religionen die ­Friedensbotschaft prägend ist.

Die meisten religiösen Menschen sehen heute ihren ­Auftrag darin, das friedensstiftende Potenzial ihrer Reli­gionsgemeinschaft fruchtbar zu machen: zur Verständi­gung, zum Brückenbau und für das friedliche Zusammen­leben. So leben sie es auch in ihren Gemeinden, in der Ökumene und im interreligiösen Dialog.

Religionsvertreter können gute Krisendiplomaten sein

Seit 2016 befasst sich der Arbeitsstab "Friedensverantwortung der Religionen" im Auswärtigen Amt mit ­diesem Potenzial. Das Ziel ist, Religionsvertreter lang­fristig ­stärker in die Krisendiplomatie einzubinden. "Wir ­brauchen Religionen als Akteure gegen religiösen Hass", sagte der Leiter des Arbeitsstabs, Andreas Görgen, in einem Interview mit dem Evangelischen Pressedienst epd. Diplomaten könnten mit staatlichen Strukturen umgehen, doch: "Religionsführer dringen mit ihrem Friedens­ansatz mehr in die Tiefe einer Gesellschaft." Das Ziel sei, sich gemeinsam weiterzuentwickeln, "sodass wir uns bei der Friedensmediation in Konfliktregionen zusammentun können".

Im Mai des vergangenen Jahres fand eine erste ­Konferenz "Friedensverantwortung der Religionen" in Berlin statt. Daran nahmen 100 Vertreter aus 53 Staaten teil – jüdische, christliche, muslimische, aber auch Vertreter kleinerer Glaubensgemeinschaften, wie der Jesiden und Baha’i. Sie kamen aus Europa, dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Nord- und Westafrika.

Die Religionen sollten ihre Rolle in Konflikten reflektieren

Der Oberrabbiner David Rosen aus Jerusalem, inter­nationaler Direktor für interreligiöse Angelegenheiten des American Jewish Committee, formulierte, was viele während der Konferenz bewegte: Man müsse sich die ­Frage stellen, warum Religionen missbraucht würden und häufig Konflikte verschlimmerten, statt zu ihrer Lösung beizutragen. Dieser Frage müssen sich letztlich alle Kirchen und Religionsgemeinschaften stellen, unabhängig davon, wie sie in konkreten Krisensituationen gefordert sind.

Eine zweite Konferenz des Auswärtigen Amtes ist für Juni dieses Jahres geplant. Mit der Politik zusammen­zuarbeiten, ist Pflicht und Chance für die Kirchen und ­Religionsgemeinschaften. Sie sind schon allein deshalb ­dazu aufgerufen, weil sie Lehren aus den vielen Ver­irrungen der Vergangenheit gezogen haben.

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Warum sollen ausgerechnet Religionsvertreter in die Politik zur Krisenbewältigung eingebunden werden ? Der religiöse Hass wird doch z.B. selbst in vielen Moscheen in Deutschland von Religionsvertretern gepredigt, weshalb der Verfassungsschutz dort observieren muss. Es ist blauäugig zu glauben, man könne den über Jahrhunderte gewachsenen Geist der Ökumene in Deutschland auf die muslimische Welt übertragen. Religionen sind Teil des Problems, ihre Vertreter können deshalb nicht Teil der Lösung sein.

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Sehr geehrte Damen und Herren!
Das in o.a. Artikel aufgeführte Projekt, die Religionsgemeinschaften und die deutsche Politik zusammenführen, um ihr Zusammenwirken in der Krisenbewältigung zu verbessern, kann ich nur aus ganzem Herzen begrüßen! Warum?
Nach meinem langjährigen Verfolgen der Rollen beider im Versuch, anstehende politische Krisen zu vermeiden, zu begrenzen oder zu lösen, komme ich persönlich zum Schluss, dass
• „die deutsche Politik“ eine alle Politikfelder umfassende Betrachtung eher nicht verfolgt, welche Ursachen einer Krise zugrunde liegen, welche Ziele am Ende einer Konfliktlösung erreicht werden sollten und wie man im gemeinsamen Ansatz aller relevanten Akteure dahin gelangt.
• Ähnlich die beiden großen Religionsgemeinschaften in Deutschland: in Verkennung der bei Jesaja niedergelegten Logik „Frieden wir die Frucht der Gerechtigkeit sein“ (32/17) wird überwiegend „Frieden“ an 1. Priorität gesetzt und werden (gewaltsame) Maßnahmen zur Durchsetzung des (Völker-)Rechts deshalb eher abgelehnt.
Arbeiten nun beide Seiten in dem im Artikel erwähnten Ansatz zusammen, hoffe ich auf positive synergetische Effekte. Im Zuge wie in Folge einer Konferenz könnte
• „die deutsche Politik“ den bislang praktizierten „Aktionismus“ („schickt zunächst mal Soldaten und überlegt danach, was denn erreicht werden soll“) mit mehr Prinzipien und langfristigen, nachhaltig wirkenden Zielsetzungen ergänzen oder gar ersetzen.
• Die Religionsgemeinschaften könnten sich mehr verpflichtet fühlen, allein „visionäre“ Forderungen („Frieden auf Erden“) um Ansätze zu ergänzen, wie denn z.B. konkreter Völkermord zu begrenzen ist oder welche Rolle (welche?) Religionsvertreter bei der Konfliktbewältigung übernehmen könnten.
Dieter Weigold

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Das in o.a. Artikel aufgeführte Projekt, die Religionsgemeinschaften und die deutsche Politik zusammenführen, um ihr Zusammenwirken in der Krisenbewältigung zu verbessern, kann ich nur aus ganzem Herzen begrüßen! Warum?
Nach meinem langjährigen Verfolgen der Rollen beider im Versuch, anstehende politische Krisen zu vermeiden, zu begrenzen oder zu lösen, komme ich persönlich zum Schluss, dass

• „die deutsche Politik“ eine alle Politikfelder umfassende Betrachtung eher nicht verfolgt, welche Ursachen einer Krise zugrunde liegen, welche Ziele am Ende einer Konfliktlösung erreicht werden sollten und wie man im gemeinsamen Ansatz aller relevanten Akteure dahin gelangt.
• Ähnlich die beiden großen Religionsgemeinschaften in Deutschland: in Verkennung der bei Jesaja niedergelegten Logik „Frieden wir die Frucht der Gerechtigkeit sein“ (32/17) wird überwiegend „Frieden“ an 1. Priorität gesetzt und werden (gewaltsame) Maßnahmen zur Durchsetzung des (Völker-)Rechts deshalb eher abgelehnt.

Arbeiten nun beide Seiten in dem im Artikel erwähnten Ansatz zusammen, hoffe ich auf positive synergetische Effekte. Im Zuge wie in Folge einer Konferenz könnte

• „die deutsche Politik“ den bislang praktizierten „Aktionismus“ („schickt zunächst mal Soldaten und überlegt danach, was denn erreicht werden soll“) mit mehr Prinzipien und langfristigen, nachhaltig wirkenden Zielsetzungen ergänzen oder gar ersetzen.
• Die Religionsgemeinschaften könnten sich mehr verpflichtet fühlen, allein „visionäre“ Forderungen („Frieden auf Erden“) um Ansätze zu ergänzen, wie denn z.B. konkreter Völkermord zu begrenzen ist oder welche Rolle (welche?) Religionsvertreter bei der Konfliktbewältigung übernehmen könnten

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