20.10.2010

"Es ist Zeit, mich bei euch zu bedanken", schrieb vor kurzem eine ehemalige Kollegin in einer Mail. Ich habe mich gefreut, zu den Menschen zu gehören, die diesen Brief bekamen. Die Kollegin, von der er stammt, hatte nach Monaten der Arbeitslosigkeit eine neue Stelle gefunden ­ wenn auch nur auf Zeit. "Die Zeit seit meiner Kündigung war intensiv und ereignisreich", schrieb sie. "Aber ohne eure Unterstützung wäre sie mühsamer verlaufen. Darum möchte ich mich bedanken für das Mutmachen und das Zutrauen, für die Hinweise auf offene Stellen, für die Empfehlungen bei Arbeitgebern, die Hilfe bei Entscheidungen und ganz besonders für eure liebevolle Präsenz."

Die Konfrontation mit der "Autorität des Arbeitsamtes"

Meine Exkollegin, eine Pädagogin und Beraterin, beschrieb, welche Verunsicherungen und Selbstzweifel sie erlebt hat. Dazu gehörten die Konfrontation mit der "Autorität des Arbeitsamtes" (vor deren emotionalen Wirkungen man sich schützen sollte, wie sie sagt); die unklaren Perspektiven; das Abseitsstehen, wenn alle Gespräche ums Arbeiten kreisen, um Geld und Zeit, um Status und Stress, um Organisationen und Hierarchien. Wer draußen stehe, so schrieb sie, ohne Kalender und Funktion, ohne Sekretärin und Visitenkarte, sei verletzbar, werde empfindsamer und manchmal auch ungerecht gegenüber anderen. Sie bezog sich auf Vorgesetzte, die Kündigungen aussprechen mussten, und auf Kollegen, die sich vor dieser schmerzhaften Erfahrung schützen wollten. Die glaubten, verschont zu werden, wenn sie ihre Leistung steigerten und die Reihen fester schlossen. Und sie bezog sich auf all die, die glauben, über die Kompetenzen und Anstrengungen der 4,5 Millionen Arbeitslosen urteilen zu können.

Die Unternehmensberaterin Dorothee Echter schrieb: Jeder und jede, selbst Manager, sollten damit rechnen, entlassen zu werden und freiwillig oder unfreiwillig einige Zeit ohne Job zu leben und dabei einige schmerzliche Erkenntnisse zu machen: zum Beispiel, dass wir für viele Menschen nur auf Grund unserer Position interessant sind. Oder dass sich Jobentzug anfühlen kann wie Liebesentzug. Wer das erlebt hat, wird die eigenen Abhängigkeiten und Grenzen realistischer einschätzen, vielleicht aber auch innerlich unabhängiger werden. Leicht ist das tatsächlich nicht. Nicht nur der 16-seitige Fragebogen zum Arbeitslosengeld II, sondern auch neue Zumutbarkeitsregeln und Debatten über Kündigungs-schutz steigern das Gefühl von Abhängigkeit und Unsicherheit. Flexibilität, Unabhängigkeit und berufliche Souveränität wachsen auf einem anderen Boden.

Sie ist neugierig geblieben und hat einen Blick für die offenen Türen behalten

Meine Kollegin hat es geschafft. Sie hat Visitenkarten drucken lassen, eine Jobbörse für Akademikerinnen organisiert und verschiedene Minijobs angenommen. Sie ist neugierig geblieben und hat einen Blick für die offenen Türen behalten. Und sie hatte Freunde. Am Ende ihrer Rundmail schreibt sie: "Danke, dass ihr meine Anflüge von Selbstentwertung, Frustration, Aggression und Zynismus ausgehalten und mich manches Mal auf den Boden der Tatsachen und der Möglichkeiten zurückgeholt habt. Manchmal braucht man jemanden, der oder die den Blick weitet und Irrationalitäten aushält." Ich dachte beim Lesen: Bewunderswert, diese Offenheit und dieser Mut, über die eigenen Erfahrungen zu sprechen.

Einen "Ruck" in unserer Gesellschaft, wie ihn der frühere Bundespräsident Roman Herzog wünschte, kann es nur geben, wenn Menschen über ihre Erfahrungen sprechen. Ebenso wichtig: ehrliche Solidarität, tragfähige Netzwerke ­ und die eigene Bereitschaft, danke zu sagen. Wer danken kann, weiß, dass eine Arbeitsstelle und die Solidarität der Freunde nicht selbstverständlich sind. 

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