Wolfgang HuberRolf Zöllner/epd-bild
20.10.2010

Auf dem Flur erklingt ein Lied: "Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen..." Sängerinnen und Sänger haben sich zusammengetan, um einem Geburtstagskind zu gratulieren. Schnell öffnen sich die Türen der Nachbarbüros, weitere Kolleginnen und Kollegen stimmen in den Kanon ein. Doch dann singen die einen: "Gesundheit und Wohlstand sei auch mit dabei." Die anderen ersetzen den "Wohlstand" verschämt durch "Frohsinn". Heiterkeit erscheint unverdächtig.

Die Armut ist uns nahe gerückt.

"Ich kann einem gut gestellten Westeuropäer doch nicht Reichtum und Besitz wünschen, wenn ich weiß, wie viele Menschen in der Welt und in unserem eigenen Land arm sind", heißt es zur Erklärung. Das Eintreten für die Schwachen und Armen verbiete geradezu einen solchen Wohlstandswunsch.

Tatsache ist: Die Armut ist uns nahe gerückt. Wer mit offenen Augen durch unsere Städte und Dörfer geht, kann ihr nicht entkommen. Die Diskussion in unserem Land wird bestimmt durch Begriffe wie "Armut von Kindern", "Altersarmut", "Arbeitslosigkeit" oder "working poor". Etwa sieben Millionen Menschen, davon mehr als zwei Millionen Kinder, leben derzeit von Leis- tungen auf oder sogar unter dem Sozialhilfeniveau. Jugendliche unter 18 Jahren, alleinerziehende Mütter, Migranten und Senioren gehören zu den besonders Betroffenen. Notunterkünfte, Suppenküchen, Stationen der Bahnhofsmission haben viel zu tun.

In diesen Tagen veröffentlicht der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine Denkschrift zur Armut in Deutschland. Denn: Menschen müssen vor dem Absturz in die Armut bewahrt, ihre Chancen gesellschaftlicher Teilhabe müssen gestärkt werden. Dafür setzt sich unsere Kirche nachdrücklich ein. Die Kräfte der Menschen sollen auf dem Arbeitsmarkt in Anspruch genommen werden.

Ein Wohlstand, bei dem innere Haltung und äußere Lage zusammenstimmen

Gerade angesichts der Armut ist die Rede vom Wohlstand nötig.

Aber was ist damit gemeint? Das Buch Jesus Sirach sagt es anschaulich: "Ob er reich oder arm ist, sein Herz ist guter Dinge, und er ist allezeit fröhlich." Ein Wohlstand ist gemeint, bei dem innere Haltung und äußere Lage zusammenstimmen. Oft klafft das auseinander, wie Martin Luther in seiner Übersetzung der Sprüche Salomos beherzt verdeutlicht. Er formulierte: "Mancher ist arm bei großem Gut, und mancher ist reich bei seiner Armut."

Für Wohlstand braucht es mehr als ein auskömmliches Bankkonto. Wohlstand meint, dass es um unser Leben wohl steht. Er ist wie Gesundheit ein kostbares Gut, ein Gottesgeschenk. Auch ein Gespräch, das innerlich erfüllt und die Gesprächspartner weiterbringt, lässt sich als Ausdruck von Wohlstand verstehen.

Unsere Kirche wird gleichwohl wachsende Armut und fortbestehende Massenarbeitslosigkeit nicht tatenlos hinnehmen. Ein Geist wird sich ausbreiten, der Teilhabe und Teilnahme an der Gesellschaft fördert. Übrigens gerade auch für die junge Generation. Zahlreiche junge Menschen brauchen Ausbildungsplätze. Viele Unternehmen bemühen sich darum, sie anzubieten. Aber es müssen noch mehr werden.

Vor diesem Hintergrund bekommen die Wünsche des Geburtstagsständchens einen besonderen Klang: "Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen, Gesundheit und Wohlstand sei auch mit dabei."

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