Anja Lehmann
Europa ist ein Ort der Freiheit und der Demokratie, nicht allein des Euro und der Banken. Eine Vision, für die es sich zu kämpfen lohnt

Zwölf Sterne auf dunkelblauem Grund. Wann wurde so viel über Europa gesprochen wie im Jahr 2011? Vor allem die Jüngeren werden sich kaum daran erinnern können. Unser Europa, einst als Friedens-, Freiheits- und Demokratieversprechen gegründet, fällt, rennt, stolpert von einer Krise in die nächste. Es geht nur noch um den Euro, die Banken, Staaten, die gerettet werden müssen, weil sonst Schlimmstes – der Zusammenbruch der Wirtschaft! – bevorstehe.

Deutschland hat viel gezahlt, aber noch mehr zurückbekommen

Europa war in diesem Jahr in aller Munde. Aber nur noch selten im positiven Sinne. Die Frage danach, warum wir dieses Europa überhaupt brauchen, warum es sinnvoll ist, am Euro festzuhalten, wird lauter. Nun, mit dem Euro ist es noch relativ einfach, gerade für die Deutschen, denn er hat uns über Jahre in einem stabilen Wirtschafts- und Währungsraum leben und unseren Wohlstand wachsen lassen. Ja, wir haben viel gezahlt, aber umso mehr zurückbekommen – gerade auch die ostdeutschen Bundesländer!

Ist das schon genug, um überzeugte Europäerin, mit ganzem Herzen Europäer zu sein? Was antworten, wenn Zweifel kommen? Die erste Antwort, die wir bekommen und geben, ist: Frieden! Seit 66 Jahren herrscht Frieden in Europa, seit 21 Jahren sind die Grenzen in Europa offen. Die letzten zwei Jahrzehnte haben Europa größer, freier und noch einmal friedlicher und demokratischer gemacht. Wenn man an den alten Grenzen steht, gerade auch der innerdeutschen im Eichsfeld, in der Rhön oder im Böhmerwald, kann man sich kaum noch vorstellen, dass hier bis vor wenigen Jahren der Kontinent und seine Menschen durch Mauern und Stacheldraht getrennt waren.

Europa hat immer wieder Bewährungsproben bestanden

Wir müssen immer wieder daran erinnern: Viele kennen es gar nicht anders, was schön ist, aber die Gefahr birgt, als gegeben zu nehmen, was auf den Gräbern von Millionen errichtet wurde. Die Generation derjenigen, die Europa zum Frieden führten, erzählt uns Geschichten aus einer anderen Zeit.

Europa ist der Ort, an dem Freiheit und Demokratie nicht nur ihre Wiege haben, sondern auch immer wieder Bewährungsproben bestanden und bestehen, sich neu ausprobieren, neu anfangen. Die Revolutionen in Osteuropa erinnerten daran, dass Freiheit eben keine Selbstverständlichkeit ist. Und dass Freiheit nicht einfach heißt, dass jede und jeder tun kann, wozu ihm oder ihr zumute ist. Es ist eine Freiheit zu etwas, und wir wissen spätestens seit 1989, dass sie auch immer wieder erkämpft werden muss.

Warschau, Madrid, Athen: Die Freiheit ist unteilbar

Die Voraussetzung für eine solche Freiheit ist es eben, dass die Jungen in Warschau, Madrid, Athen und Berlin gleichermaßen davon wissen, dass sie Chancen haben für ihre Zukunft und dass sie nur erfolgreich sind, wenn auch die anderen diese Chance haben – wenn Freiheit also unteilbar ist und den gemeinsamen Weg von individueller Selbstverwirklichung und gegenseitiger Verantwortung bedeutet.

Wenn sie sich träfen, um der Freiheit willen, in einer Sprache sprechend und den Regierungen deutlich machend, dass für sie Europa mehr ist als eine Währung und irgendwelche Gipfeltreffen: dann hätte es sich gelohnt, dass in diesem Jahr 2011 so intensiv über Europa gesprochen wurde. 
Wir erinnern uns: Die Weisen aus dem Morgenland machten sich damals auf, weil sie einen einzigen Stern gesehen hatten am Himmel, und gingen ihm nach. Die ­Europaflagge hat zwölf Sterne. Ob das nicht Gründe genug sind, sich aufzumachen für dieses Europa, in dem wir frei l­eben können?

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