Foto: Katrin Binner
Erledigt in Klasse 11
Angenommen, aber nur angenommen – es ginge mir mal der Stoff aus für meine Kolumne "erledigt" in chrismon, dann steht jedenfalls der Nachwuchs schon bereit. Der Leistungskurs Deutsch, Stufe 11, des Gymnasiums Nieder-Olm bei Mainz nahm sich eine "erledigt"-Kolumne zum Vorbild ("erledigt: sensibel") und schrieb eigene Glossen zum Thema Sprache.
Tim Wegner
09.09.2015

"Recht gelungen", findet Deutsch-Lehrerin Gertrud Laux-Hein die ersten Versuche – ja, das findet die "erledigt"-Autorin Ott auch! Und was würden die 17-jährigen am liebsten in die endgültige Ablage versenken? Alles, was verlogen ist. Zum Beispiel den Begriff "mittelprächtig". Florian Sieber schreibt:

"Ein Tier kann prächtig sein. Eine Frisur kann prächtig sein. Ja sogar ein Eisbecher kann prächtig sein. Prächtig vereint viel, ist das Nonplusultra und lässt andere vor seiner Ästhetik erzittern, während "mittel" eben wirklich nur der Durchschnitt ist. 5 Punkte, 4, Ausreichend. Gemacht, aber ohne viel Mühe. Nichts Besonderes und jetzt ab an die Tafel das Datum anschreiben." Nichts Besonderes sein ist doof und genau hier setzt prächtig ein."

Oder das Sprichwort "Alter vor Schönheit", das in Wahrheit gar nicht stimmt, findet Anika Gohlke, denn "was bringt es dir, wenn dein Lippenstift 24 Stunden hält, du aber in 24 Jahren vor einer ungewissen Zukunft stehst?"

###autor###Eine glatte freche Lüge ist meistens die "To-do-Liste", mein persönlicher Favorit unter den Schülerglossen. Das aufgeblasene Business-Deutsch ist ja auch für meine Original-Kolumne ein reicher Fundus für Freude und Frechheit. Das "Ende des Tages" habe ich schon genauso erledigt wie die "Komfortzone", den "Raum" genauso wie den "Dialog". Nun also die "To-do-Liste", erledigt von Johanna Diehl:

"Hand aufs Herz – wie lange muss eine Aufgabe auf dieser Liste vor sich hingammeln, bis sie durch ein energisches Häkchen erlöst wird? Genau, eine Ewigkeit! Viele Anhänger der To-Do-Fraktion loben die Struktur und Übersichtlichkeit dieser Listen, doch bei näherem Hinsehen stellt der naive Erstnutzer fest, dass es sich bei dem Wundermittel doch nur um eine Schummelei aus der Trickkiste der Aufschiebetaktiker handelt. Früher sagte man einfach "Nein, keine Zeit!", aber wer möchte heutzutage nicht mit dem offenen und positiven Strom der Business-Highsociety schwimmen? Diese schafft alles, kann alles und ein "Nein" ist vollkommen ausgeschlossen!"

Genauso verlogen kommt oft das "Wir" daher. "Wir müssen dringend die Wände neu streichen", schreibt Carolina Hey, das heiße in Wahrheit doch eher: "Du!" Hey weiter: "Da hört sich doch alles gleich viel positiver an, wenn der Chef schelmisch grinsend vor einem steht und davon redet, dass wir ab heute ein bisschen mehr in die Hände spucken müssen und – ach ganz vergessen – wir dringend noch den restlichen Papierkram vor dem Wochenende erledigen müssen."

So, und haben wir keine anderen Probleme, als uns um Sprache zu kümmern? Auch das wird von zwei Schülern ganz grundsätzlich diskutiert. Keine Angst vor Anglizismen, fordert Jakob Waffender:

"Mir persönlich stellt sich die Frage, was der Anglizismus seinen Kritikern angetan haben muss, um von diesen dermaßen verrissen zu werden - leben wir doch eigentlich in einer Zeit, in der Integration im allgemeinen als Bereicherung für Kultur und Gesellschaft angesehen wird. Natürlich kann Integration auch schief gehen. Noch aber wurde ich von keinem zwielichtig aussehenden Anglizismus in einer schmutzigen Seitenstraße dazu aufgefordert, ihm sämtliches Bargeld auszuhändigen."

Ja, es lohnt sich, über Sprache nachzudenken und zu schreiben, das findet auch Tabea Fink:

"Stellen wir uns Situationen in der Politik vor. Stellen wir uns vor, was es für die Flüchtlinge bedeutet, wenn Angela Merkel sagt, die Hilfe komme "zeitnah". Stellen wir uns vor, was es für die Griechen bedeutet, wenn Finanzminister Schäuble sagt, die Verhandlungen über finanzielle Unterstützung seien bisher "ergebnisoffen". Faktisch heißt dies für die Flüchtlinge: "Bis Hilfe kommt, ist euer Boot eh abgesoffen." Und den Griechen könnte man auch gleich ins Gesicht sagen, dass sie kein Geld mehr bekommen. Im Alltag verwenden wir alle Worthülsen, das ist nicht weiter schlimm, aber in der Politik stehen sie für leere Aussagen, die wahre Probleme nicht benennen und keine Lösungen mit Substanz bieten. Würden unsere Politiker in Zukunft auf Worthülsen verzichten, wäre ich ganz bei ihnen."

Danke, lieber Leistungskurs Deutsch. Tolle Texte. Wenn ich mal länger Urlaub machen sollte – ruf' ich euch an, dann übernehmt  ihr hier!

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