29.04.2011
Jubilate
Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wieder­sehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
Johannes 16,16-23a

Einer meiner Lieblingsfilme heißt „Tatsächlich Liebe“. Mehrere Liebesgeschichten werden parallel erzählt. Einige gehen gut aus, andere enden traurig. Entscheidend für mich ist die Stimme aus dem Off, die sagt: Immer wenn der Erzähler sich frage, ob es noch Liebe gebe in dieser Welt, gehe er an einen Flughafen. Beim Abschied wie bei der Ankunft sei zu er­leben, dass es tatsächlich noch Liebe gibt. Dazu werden wunderbare Szenen eingeblendet: Ein Vater umarmt seine Kinder, zwei Verliebte rennen aufeinander zu, ein Junge strahlt das Mädchen an, in das er verschossen ist.

Herausfinden aus dem Käfig der Trauer

Darin liegt eine tiefe Erfahrung: Wenn wir uns trennen müssen, spüren wir neu, was der andere uns bedeutet. Wenn wir auf die Ankunft warten, wird uns bewusst, wie sehr wir diesen Tag ersehnt haben. Trennung und Wiederkehr öffnen Raum für Gefühle, Sehnsucht, Zärtlichkeit, Liebe, Geborgenheit. Gästebücher in Flughafenkapellen spiegeln das wider. „Meine Tochter geht auf eine große Reise. Ich mache mir solche Sorgen! Gott behüte sie.“ – „Die Eltern kommen nach langer Zeit zu mir: Ich freue mich so, danke, Gott, dass das nach so langen Jahren möglich ist.“

Trennung und Abschiedsschmerz prägen auch die Reden Jesu im Johannesevangelium. Bei den Jüngerinnen und Jüngern wird Unsicherheit spürbar. Wohin geht Jesus? Was wird werden? Wie lange wird die Trennung dauern? Wie misst sich denn diese „kleine Weile“, von der Jesus laut ­Johannes spricht? Er versucht, sie zu trösten: Ja, ihr werdet weinen, aber die Trauer wird nicht bleiben. Ihr werdet sehen. Es wird neu werden. Was wie ein Abschied erscheint, läutet nur eine Zwischenphase ein. Die Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Das ist ein einfühlsamer Zuspruch von Trost. Ein Versuch, in dieser Situation Mut zu machen. Er kann leicht missverstanden werden als billiger Trost. Wer tiefe Trauer erlebt, kann meist schwer glauben, dass es wieder Freude und Fröhlichkeit geben wird. Wie soll ich herausfinden aus dem Käfig der Trauer, aus dem Tal der Tränen? Wie soll es ein Leben geben nach diesem Verlust, nach dieser Angst? Ich hänge so sehr an dem verstorbenen Menschen, er begleitet mich in meinen ­Gedanken, im Alltag. Und ich will nicht vertröstet werden, ich bin schlicht untröstlich.

Der Geburtsprozess von Gottes neuer, zukünftiger Welt dauert an

Wie sich eine schmerzvolle Erfahrung in Freude verwandeln kann, zeigt dieser Predigttext sehr gut mit dem Bild einer ­Geburt. Da ist zunächst die Angst. Wie wird es sein? Werde ich große Schmerzen haben? Kann ich das bewältigen? Über­lebe ich? Wird mein Kind gesund sein? Das sind Fragen, die schwangere Frauen zutiefst bewegen. Aber fast alle Frauen m­achen die Erfahrung: Wenn Schmerz und Angst und Sorge überwunden sind und das neugeborene Kind in den Armen liegt, dann sind alle Ängste und Schmerzen vergessen. Sie zählen im Grunde nicht mehr. Wichtig ist jetzt nur noch das Neue – das neu Geborene.

Ein schönes Bild, finde ich. Die „kleine Weile“ zum Wiedersehen mit Jesus ist inzwischen zu einem langen Zeitraum geworden. Der Geburtsprozess von Gottes neuer, zukünftiger Welt dauert an. Aber im Warten spüren wir den Trost, der uns für diese Wartezeit zugesagt ist. Und wir ­spüren die Sehnsucht nach der Zeit, in der Neues geboren wird, in der Tod, Leid, Not und Geschrei ein Ende haben werden.

Diese Liebe treibt uns an, schon im Hier und Jetzt Vorzeichen des neuen Himmels und der neuen Erde zu setzen. Indem wir etwa für Flüchtlinge eintreten, für Leidende beten, Sterbenden die Hand halten, Frieden und Gerechtigkeit anmahnen. So verstreicht die Wartezeit nicht nutzlos. Die Vorfreude bringt uns dazu, sie bewusst zu gestalten – bis aller Kummer vergangen und aus dem Ende (Exitus) ein neuer Anfang (Introitus) geworden ist.

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