Fulbert Steffensky, Theologe am Vierwaldstättersee in Luzern fotografiert.Sophie Stieger
30.04.2011
Michaelis - Tag des Erzengels Michael und aller Engel
Der Verkläger unserer Brüder ist verworfen.
Offenbarung 12,7-12

Luther hat vom Jakobusbrief gesagt: „Mit dem Jeckel werde ich den Ofen heizen.“ Eine „stroherne Epistel“ hat er ihn genannt. Und die Offenbarung des Johannes könnte man eine „gefährliche Epistel“ nennen. Zu viele haben damit Gott in die Karten geschaut. Es fließt zu viel Blut, es gibt zu viele Niederlagen und zu viele Siege.

Es gibt aber wundervolle Stellen und Bilder in ihr, die mich zögern lassen, damit den Ofen zu heizen. Eine davon ist der Halbvers, den ich im 12. Kapitel finde: „Der Verkläger unserer Brüder ist verworfen, der sie verklagte Tag und Nacht vor unserem Gott.“ Ich reiße ihn aus seinem blutigen Zusammenhang.

Den Vers finde ich wieder in dem Pfingstlied „Nun bitten wir den heiligen Geist“. In der letzten Strophe heißt es: „. . . dass in uns die Sinne nicht verzagen, wenn der Feind wird das Leben verklagen.“ Der Mensch mit seinen „Sinnen“, mit der Mitte seines Herzens, steht vor Gericht. Nichts mehr ist verborgen.

Vor dem großen Verkläger werden wir verstummen

Eine alte Freundin hat kurz vor ihrem Tod gesagt: „Am schwersten ist mir der Gedanke, dass der Grund meines Herzens vor dem Gericht Gottes offenbar wird.“ Das Gericht ist ein öffentlicher Raum, in dem nichts mehr versteckt werden kann. Der Feind ist der Ankläger, der unerbittliche und unbestechliche Staatsanwalt, der unsere Lebensfrüchte untersucht und befragt, was sie taugen.

Er ist der Anwalt einer eisernen Wahrheit, die heißt: Es ist zu wenig! Je älter man wird, umso mehr wird man sein eigener Ankläger, und man stellt fest: Die Bruchstücke des eigenen Lebens reichen nicht aus zur Selbstverteidigung.

Ich meine damit nicht einen allgemeinen und abstrakten Satz, etwa der Art, dass der Mensch immer schon Sünder ist. An abstrakte Sätze glaube ich nicht, und seien sie noch so theologisch.

Ich meine es eher konkret: Es gibt immer wieder Stellen im Leben und vor allem am Ende des Lebens, wo man auf sich selbst stößt und erkennt: Es reicht nicht, und man kann sich nicht durch sich selbst rechtfertigen. Mehr als Fragmente haben wir nicht fertiggebracht.

Wenn wir gewogen werden, werden wir als zu leicht befunden. Wir sind nicht in uns selbst geborgen, und vor dem großen Verkläger werden wir verstummen.

Der Engel und Gewichtefälscher

Es gibt vor Gericht eine andere Figur, den Advokaten, den Rechtsbeistand, den Tröster, den Geist Christi, der den Verkläger überwunden hat „durch des Lammes Blut“, wie es im 11. Vers dieses Kapitels heißt. Nein, ich glaube an keine Sühnetheologie. Aber es ist ein wundervolles Bild, dass vor diesem Gericht einer mit seinem Herzblut für uns steht und dass der so mächtig redende Verkläger vor ihm verstummen muss.

Das Kapitel aus der Offenbarung ist der Text für den Michaelistag. Michael ist in den bildlichen Darstellungen der große Seelen wäger. Da steht er mit seiner unerbittlichen Waage und taxiert das Gewicht der guten Taten und des Versagens des Menschen.

Ich traue ihm nicht. Er bilanziert zu genau, und er ist zu sehr auf der Seite des Anklägers. Den Typen mit der Waage ist man immer erbarmungslos ausgeliefert. Gelegentlich aber finden wir bei solchen Darstellungen einen Engel als Gewichtefälscher, der von der Schale des niederdrückenden Gewichts etwas nimmt und es auf die andere Seite schmuggelt.

Zu unserem Glück gibt es diese himmlischen Gewichtefälscher. Michael, der große Überwinder, ist überwindbar. Und am Ende muss auch er, wie es in der Sterbeliturgie heißt, die Toten „in das ewige Licht“ führen, das Abraham und seinen Nachkommen verheißen ist.

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