Fulbert Steffensky, Theologe am Vierwaldstättersee in Luzern fotografiert.Sophie Stieger
30.04.2011
12. Sonntag nach Trinitatis
Als er seine Augen aufschlug, sah er nichts mehr.
Apostelgeschichte 9,1-20

Paulus war nie ein Vertreter von schwächlichen Ideen. Er war ein Täter in seinem alten Leben, er wird ein Täter im neuen. Als Stephanus gesteinigt wurde, war er dabei. Er bewachte die Kleider der Steiniger und „hatte Gefallen an seinem Tod“. Ideen werden nur stark, wenn es nicht nur geglaubte Ideen sind, sondern wenn sie getan werden – dies im Guten wie im Bösen.

Wie entkommt ein Mensch seinen alten falschen Auffassungen? Meistens nur durch eine Katastrophe. Die Katastrophe ist hier geschildert: der Sturz auf die Erde und die Blindheit, die Paulus erleidet. Bekehrungen sind oft katastrophische Lebenswenden und vollziehen sich in großen Brüchen.

Die Bekehrung des Paulus wird als Wunder geschildert. Nicht weniger als ein Wunder ist es, wenn jemand seiner alten Welt, seinen eingeschliffenen festen Überzeugungen und seiner alten Lebenspraxis entkommt. Gerade die Überzeugten haben lange Argumente gesammelt für ihre Lebenspraxis. Die Überzeugung hat sie getragen, sie haben für sie gekämpft und vielleicht auch für sie gelitten. Es war eine Sache ihres Herzens.

Bei Paulus wird nicht alles ausgetauscht. Nur ein Buchstabe. Ein Glück!

Dann zerbricht das Herz, Menschen lassen zu, dass ihr Herz zerbricht – ein Wunder!

Sie werden blind für die alte Welt und werden sehend in der neuen. Das ist die Gefahr aller Konvertiten, dass sie nur noch blind sind und keine Augen mehr haben für ihre eigene Herkunft; die Gefahr ist, dass sie verbrennen, was sie einst angebetet haben, und dass ihre neue Identität hauptsächlich aus der Ablehnung der alten besteht.

Paulus bleibt Jude, das ist der erwachsende Zug seiner Bekehrung. Er schätzt seine Herkunft, er schätzt das Gesetz. Er interpretiert es nur anders. Beschneidung und die Reinheitsgesetze sind ihm keine Heilswege mehr. Das hat er gelernt.

Paulus bekommt einen neuen Namen. Er heißt nicht mehr Saulus. Nur ein Buchstabe in seinem Namen ist verändert. Zum Glück! Es wird nicht alles ausgetauscht, und sein Judentum wird ihm nicht genommen.

Eine Eigenart aller Bekehrten: Sie fangen an, von dem zu reden, was ihnen neu wichtig geworden ist. Paulus wird Apostel, indem er redet. Er fährt unter Gefahren von Land zu Land, und niemand kann ihm den Mund verbieten. Er leidet für seinen neuen Glauben.

Kostenlose Überzeugungen gibt es nicht. Diese bleiben nur fest, wenn sie verbunden bleiben mit der Bereitschaft, etwas für sie einzusetzen, vielleicht sogar das Leben.

Nur paulinische Kompromisslosigkeit, nur petrinische Kompromisse - beides wäre unerträglich

Überzeugte paulinischer Art sind keine Kompromissler. Zum Glück gibt es auch andere Figuren in jener frühen Geschichte des Christentums; Menschen, die Kompromisse eingehen. Petrus ist ein solcher. Er versucht stärker als Paulus den Kompromiss und die Anknüpfung an die alte Weltvorstellung. Er versteht die Menschen jüdischer Herkunft besser, und er kommt ihnen entgegen. Auch Petrus, jener Mensch der Kompromisse und deretwegen von Paulus getadelt, vertritt eine notwendige Wahrheit.

Es wäre unerträglich in einer Kirche, wenn es nur die paulinische Kompromisslosigkeit gäbe. Es wäre ein Unglück, wenn es nur die petrinischen Kompromisse gäbe. Wir haben im Galaterbrief die guten Argumente des Paulus für seine unerbittliche Haltung.

Ich würde gerne einen Petrusbrief haben, in dem er seine Wahrheit mit seinen guten Argumenten verteidigt. Aber wir haben ihn nicht, und so scheint immer nur Paulus recht zu behalten. Wir haben aber die Erzählungen ihres Streits, und uns ist damit ein Instrument überliefert, wie die Wahrheit in unseren Kirchen zu ermitteln ist.

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